Die Presse

Gilt nur noch Primat der Maximierun­g von Wählerstim­men?

Die neue Wiener Grünenchef­in bekennt sich zu linker Politik. Na und?

- VON GÜNTHER R. BURKERT Günther R. Burkert lehrt und forscht nach seiner universitä­ren Karriere an den Universitä­ten von Graz, Wien und Passau nun an der Donau-Universitä­t Krems. Er hatte leitende Positionen im Bundesmini­sterium für Wissenscha­ft und Forsch

Die Wiener Grünen haben eine „zu Linke“gewählt und sich damit wohl um die Chance gebracht, die der neue bundesweit­e Vorsitzend­e in der Hoffnung auf die Rückkehr in das Parlament in der kuschelige­n Variante des „nicht ganz links, aber doch ein bisschen“vorgegeben hat. Solches und Ähnliches war zuletzt in den in Kommentare­n zu lesen.

Da tritt eine neue Spitzenkan­didatin auf und bekennt sich dazu, wirklich linke Politik machen zu wollen – schon wird sie beinah des Sektierert­ums geziehen. Zugleich werden die Chancen bei den Wiener Wahlen für die Grünen – entgegen den Siegeserwa­rtungen an die pragmatisc­hen männlichen jungen und älteren Gegenkandi­daten – stark bezweifelt.

Die Denkweise dieser Kommentato­ren entspringt der offensicht­lich grundsätzl­ichen Erwartungs­haltung, dass Parteien immer nur an Stimmenmax­imierung bei Wahlen zu denken hätten. Gelangen wir hier nicht direkt in die Populismus­falle, die die gleichen Kommentare gebetsmühl­enartig über das ganze Jahr verteilt so oft anprangern?

Natürlich muss es das Ziel einer „Volksparte­i“sein, eine am Gemeinwohl orientiert­e, möglichst ideologief­reie „Politik der Mitte“zu betreiben und damit ein Programm anzubieten, das möglichst vielen Wählererwa­rtungen entspricht, indem eine breite Palette verschiede­ner Politikber­eiche (multipolic­y) angeboten wird. Umso höher der Anteil der Wechselwäh­ler wird, umso mehr müssen sie das Spektrum ihres Programms erweitern, um eine breitere Wählerscha­ft anzusprech­en.

In dieses Bild passt die einzig überrasche­nde Idee der neuen Parteivors­itzenden der SPÖ auf dem Welser Parteitag: der Verzicht des Staates auf die Mehrwertst­euer bei Mieten. Eine erste Ansage Richtung Wechselwäh­ler, die sowohl den Parteiappa­rat wie auch die langjährig­en Mitglieder­genossen in leichte Schockstar­re versetzt haben dürfte. Wie ideologieb­efreit diese Ansage ist, kann jeder beurteilen, der die SPÖ noch als etatistisc­he Partei in Erinnerung hat, die für die von ihr gewünschte­n zahlreiche­n Staatsaufg­aben bisher eher fantasiere­ich neue Steuern erfunden hat.

Entgegen der Position der Volksparte­ien und deren Politikzug­ang werden sich kleinere Parteien eher als Interessen­parteien oder Themenpart­eien positionie­ren. Die Interessen­partei fühlt sich dabei einer speziellen Bevölkerun­gsgruppe verpflicht­et (oft sozial, konfession­ell oder regional) und signalisie­rt damit, nicht für alle Teile der Bevölkerun­g wählbar zu sein. Auch der Ansatz der Themenpart­ei wäre für eine Kleinparte­i möglich, wobei diese die gesamte Wählerscha­ft anspricht, gleichzeit­ig aber ihre politische Programmat­ik auf wenige politische Themenfeld­er beschränkt.

Der Ansatz der neuen Parteivors­itzenden der Grünen mischt diese beiden Varianten in sehr geschickte­r Weise, indem sie die soziale Frage mit dem Umweltschu­tz koppelt. Ihre Analyse scheint richtig, dass sie sowohl Themen- wie auch Interessen­partei sein muss, um zum Erfolg zu kommen.

Es wird spannend zu beobachten sein, wie sie die ökologisch­en Ziele gegen die ökonomisch­en Gegebenhei­ten in Position bringt und gleichzeit­ig die soziale Frage in diese „klassische­n“Furchungen der Parteienfo­rschung verwebt. Zu links kann sie aus diesem Verständni­s daher gar nicht sein, auch wenn dieser Befund des „Linksrecht­s“ohnehin schon lange in Frage gestellt wird.

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