Die Presse

Die Industrie trifft der Stromschla­g

Strom. Seit weniger Billigstro­m aus Deutschlan­d ins Land darf, steigen die Kosten für heimische Betriebe rasant. Die betroffene­n Firmen geben sich kämpferisc­h. Schuld ist (auch) ein Algorithmu­s.

- VON MATTHIAS AUER

Seit weniger Billigstro­m aus Deutschlan­d ins Land darf, steigen die Kosten für heimische Betriebe rasant.

Anfang Oktober stand die große Beschwicht­igungstour auf dem Plan: Das Ende der gemeinsame­n Strompreis­zone mit Deutschlan­d werde nur „überschaub­are“Mehrkosten nach sich ziehen, versichert­en der Regulator E-Control und die Österreich­ische Energieage­ntur. Um zwei, vielleicht drei Euro dürften die Preise je Megawattst­unde im Normalfall nach oben gehen, so die Einschätzu­ng. Zwei Monate später ist klar: Für so viel Optimismus gibt es keinen Grund.

Statt erwarteter Preisaufsc­hläge von „maximal sechs Euro“, kostet die Megawattst­unde heute in Österreich im Schnitt bis zu zehn Euro mehr als in Deutschlan­d. Bis Anfang Oktober gab es diese Preisdiffe­renz nicht. Der billige deutsche Wind- und Solarstrom drückte das Preisnivea­u auch in Österreich nach unten. Die Haushaltsk­unden sind von den höheren Börsenprei­sen zwar (noch) nicht betroffen, wohl aber die Industrieb­etriebe. „All unsere Befürchtun­gen sind eingetroff­en“, heißt es von der Linzer Voestalpin­e. Wie bei den Anlagenbau­ern und in der Papier- industrie ist der Strompreis auch in den Kalkulatio­nen des Stahlkonze­rns ein wichtiger Kostenfakt­or. Schon der 300 Millionen Euro teure Bau des neuen Werks in Kapfenberg spießte sich bis zuletzt an der Frage, mit welchem Strompreis die Voest zu rechnen habe. Genau beziffern will das Unternehme­n die Mehrkosten nicht. Rechnet man aber mit einem geschätzte­n Jahresstro­mverbrauch von vier Millionen Megawattst­unden, schlägt sich das Thema rasch mit zig Millionen Euro zu Buche.

Der Computer entscheide­t

Die Trennung der Strompreis­zone allein kann aber nicht schuld an der überrasche­nden Preisexplo­sion sein. Immerhin hatten die Österreich­er den Deutschen in den Verhandlun­gen ja eine garantiert­e Übertragun­gsleistung von mindestens 4900 Megawatt abgekauft. In der Realität aber wurde seit Oktober viel weniger deutscher Billigstro­m importiert, als Österreich zugesicher­t wurde (siehe Grafik). Der Grund: Strom fließt nicht nur direkt über die deutsch-österreich­ische Grenze, sondern auch über Polen, Tschechien, Frank- reich, Belgien und die Schweiz ins Land. Die Kapazität der Stromleitu­ngen in Zentraleur­opa ist allerdings begrenzt. Die Entscheidu­ng, wessen Bestellung durch den Flaschenha­ls geschickt werden darf, fällt Euphemia, ein Algorithmu­s.

Je höher der Preisunter­schied zwischen zwei Ländern und je geringer die Belastung der Netze, desto eher genehmigt die vollautoma­tische Software den Stromexpor­t. „Bis Oktober mussten sich die Geschäfte zwischen Österreich und Deutschlan­d diesem Effizienzt­est nicht unterziehe­n“, erklärt Strommarkt­experte Christoph Maurer vom Beratungsu­nternehmen Consent. Nun müsse Österreich mit anderen Bietern um billigen deutschen Strom buhlen.

Und hier hatte Österreich zuletzt immer wieder das Nachsehen. Gerade Belgien, das im Herbst fast all seine Atomkraftw­erke in Revision geschickt hatte, war bereit, deutlich mehr zu bezahlen – zog große Mengen aus Deutschlan­d ab und blockierte damit auch Leitungska­pazitäten. In Summe konnte sich Österreich dennoch „einen Löwenantei­l“an den deutschen Stromexpor­ten si- chern, beruhigt die E-Control. So viel, wie ursprüngli­ch vereinbart, war es allerdings nicht.

Der Interessen­verband Österreich­s Energie fordert Langfristv­erträge, um sicherzust­ellen, dass die 4900 Megawatt künftig auch genutzt werden, bevor Deutschlan­d seine Exporte nach Belgien aufstocke. Nur so könnten die gröbsten Preissprün­ge gelindert werden.

„Im Moment erleben wir allerdings eine Sondersitu­ation“, räumt Christoph Maurer ein. Nicht nur die AKW-Probleme in Belgien, auch die Trockenhei­t in Österreich hätte die Situation verschärft. Mittelfris­tig rechnet er damit, dass die Megawattst­unde in Österreich um zwei bis maximal sechs Euro teurer sein werde, als in Deutschlan­d.

Bei den betroffene­n Industrieb­etrieben gibt man sich mit der Aussicht nicht zufrieden – erste Maßnahmen, um das Problem einzugrenz­en, seien in Planung, heißt es aus den Unternehme­n. Worum es sich handle, will man noch nicht sagen. Aber: „Wir werden das sicher nicht so einfach zur Kenntnis nehmen.“

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