Bergsteiger Hans Kammerlander: „Die Höhe zählt jetzt nicht mehr“
Film. Zwei Freunde hat Hans Kammerlander am Manaslu verloren. Und kehrte zurück. Eine klassische Heldengeschichte ist der Film über ihn aber nicht.
Eigentlich, sagt Hans Kammerlander, wollte er nach jenen Tagen nie wieder auf einen Berg. Als er im Mai 1991 vom Manaslu herunterstieg, wo er binnen vier Stunden zwei seiner besten Freunde verloren hatte, sei er sicher gewesen, dass er das allerletzte Mal von einem Berg absteige. Und ganz sicher, dass er niemals mehr versuchen würde, den 8163 Meter hohen Gipfel zu erklimmen.
26 Jahre später hat der Südtiroler Extrembergsteiger es doch getan. Dazwischen, zwischen der Bergtragödie von einst und der Rückkehr vor einem Jahr, die der Anlass für einen aktuellen Film über den nunmehr 61-Jährigen war, liegt Kammerlanders größter Erfolg. Und seine größte Niederlage.
Über all das erzählt Kammerlander langsam, leise. Fast schüchtern, aber bestimmt. Wer beim Stichwort Extrembergsteiger einen Bären erwartet hat, ist überrascht: Kammerlander ist kein großer Mann, sehnig freilich. Und gerade schnippt er eine Zigarette in den Aschenbecher: Ab und zu rauche er, natürlich nur, wenn er im Tal sei.
Dort, nicht am Berg, hat er seinen größten Tiefpunkt erlebt. Vor fünf Jahren verursachte er in seiner Heimat betrunken einen Verkehrsunfall, bei dem ein 21-Jähriger starb. „Das war mein größter Fehler. Es ist meine Schuld, ich kann es nicht mehr ändern. Und es tut mir leid“, sagt er. Und er spricht auch über die Anpassungsschwierigkeiten, die man als Bergsteiger mitunter hat, wenn man sich nach Monaten wieder einem Regelwerk unterwerfen muss.
Am Berg ist das anders. Dort ist man eigenverantwortlich, muss auf die Naturgewalten reagieren. Dort liegt auch sein größter Erfolg, sagt Kammerlander nach einigem Nachdenken: der Mount Everest. Im Jahr 1996 stellte er dort einen bis heute ungebrochenen Rekord auf: In nur 16 Stunden und 40 Minuten trug er ohne Sauerstoff ein Paar Schi hinauf – und fuhr danach auf den Brettern die Flanken des höchsten Bergs der Welt hinunter.
Die Schi waren eine Nische, die sich Kammerlander bewusst gesucht hatte, nachdem er in den Wettlauf auf die Achttausender eingestiegen war. Begonnen hatte dieser mit dem Cho Oyu im Jahr 1982, Kammerlanders erster derartiger Expedition, gemeinsam mit seinem Südtiroler Kollegen Reinhold Messner, mit dem er sieben sei- ner zwölf Achttausender bewältigt hat. Messners Anruf damals veränderte für Kammerlander vieles.
Zuvor war der Bergbauernbub, der später als Kranfahrer und als Bergführer arbeitete, in den Alpen geklettert, Solobegehungen schwieriger Wände inklusive. Seine Faszination für die Berge war erwacht, als er als Bub einst einem Touristenpaar auf seinen Hausberg, den 3059 Meter hohen Großen Moosstock folgte. Rund 1600 Höhenmeter, die Kammerlander später in einer guten Stunde hinauflief.
Die Zeit seiner Wettläufe auf die höchsten Berge der Welt ist für ihn inzwischen vorbei, das liegt auch an seiner zehnjährigen Tochter. „Die Höhe
(61) ist Südtiroler Extrembergsteiger und -schifahrer. Er hat zwölf Achttausender bestiegen. Einen Rekord stellte er am Mount Everest auf, den er 1996 in Rekordzeit ohne Sauerstoff bestieg und von dem er mit Schi fuhr. Traumatisch war die Erfahrung am Manaslu 1991, wo zwei seiner engsten Freunde starben.
„Manaslu – Berg der Seelen“ist ab 14. Dezember im Kino zu sehen. ist jetzt gar nicht mehr ausschlaggebend“, sagt Kammerlander. „Jetzt geht es um die schönen Berge und darum, viel Zeit mitzunehmen für die Landschaft und die Kultur. Das habe ich in den gut 25 Jahren Wettlauf vernachlässigt.“Wenn er jetzt auf einem Berg stehe, empfinde er keinen Gipfelerfolg mehr, sondern „einfach wieder Gipfelglück“. Glücklich war Kammerlander auch, als er wegen eines Versprechens an sein Patenkind ein Jahr nach dem Manaslu doch wieder am Berg stand.
Wie es kommt, dass er lebt, während viele seiner Freunde am Berg blieben? „Die Frage habe ich mir oft gestellt“, sagt Kammerlander. Der Blitz, der am Manaslu einst seinen Freund traf, hätte auch ihn treffen können, ja müssen. „Ich kann mir vorstellen, es ist einfach Glück“, sagt er. „Oder Zufall.“
Aber er habe in seinem Bergsteigerleben auch oft entschieden, umzukehren – übrigens auch im Vorjahr am Manaslu. Er hat es nicht auf den Gipfel seines Schicksalsbergs geschafft. Geschmerzt hat ihn das nicht. „Es war so befreiend“, sagt er über die Expedition. „Ich habe viel zu lange gewartet, zum Manaslu zurückzukehren.“