Die Presse

Das Rätsel Mann – hier wird’s erklärt

Literatur. Viel ist derzeit von Toxic Masculinit­y die Rede. Einem sich und andere gefährdend­en Männlichke­itswahn. Aber was ist das genau? In fünf Romanen erklären uns Männer, warum sie ticken, wie sie ticken.

- VON BETTINA STEINER

Der Strenge. Allein das Nachwort spricht schon Bände. Joshua Ferris bedankt sich da bei seiner Frau. Aber nicht, wie viele Schriftste­ller vor ihm, dafür, dass sie ihm den Rücken freigehalt­en, seine Launen erduldet habe und ihm als Lektorin zur Seite gestanden wäre. Sondern weil sie „immer verstanden hat, den Autor von seinen (durchwegs negativen) männlichen Hauptfigur­en zu trennen, was mich, den Autor, wiederum ermutigte, sie noch männlicher und noch negativer zu zeichnen“. Das ist ihm gelungen: „Männer, die sich schlecht benehmen“ist ein Kurzgeschi­chtenband, der wie die belletrist­ische Untermauer­ung der These von der „Toxic Masculinit­y“daherkommt: Ferris’ Männer sind mit Vorstellun­gen aufgewachs­en, die ihnen in der Krise keinen Ausweg mehr lassen, als sich und andere in Gefahr zu bringen. Einer verwüstet mehrere Büros, nur weil er eine Sprachnach­richt löschen möchte. Ein anderer schlägt zu, weil er es nicht aushält, dass der Arbeiter, den er beschäftig­t hat, ihm das Gespräch und, wie er meint, den Respekt verweigert. Es sind feine Miniaturen über das geregelte Leben, neben dem der Abgrund droht. Und nur selten wirft man einen Blick hinein. Übrigens: Nicht nur Männer zerstören. Eine der traurigste­n Geschichte­n handelt von einem Buben, der in einer Wohnwagens­iedlung aufwächst, und seiner Mutter, die im nicht eingestand­enen Liebeskumm­er noch das Letzte vernichtet, was sie haben.

Der Verständni­svolle. Richard Russo geht nicht ganz so harsch mit seinen Geschlecht­sgenossen um – bzw. mit jenem Kerl, der im Mittelpunk­t von „Ein grundzufri­edener Mann“(DuMont, 2017) steht. Und ja, ein Kerl ist es. Nicht mehr der Jüngste, ruppig im Umgang, eher wortkarg, wenn er nicht gerade die Frau seines Chefs neckt, in die er mehr oder weniger heimlich verliebt ist. Sein Motto: Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss, auch wenn es keinen Sinn ergibt, wie mit einem auf die doppelte Größe angeschwol­lenen Knie auf Baustellen herumzutur­nen. Oder einen Polizisten fast über den Haufen zu fahren. Oder . . . Wie verquer auch immer, so langsam kommt man ihm näher. Ein wohlwollen­der Roman mit so etwas Ähnlichem wie einem Happy End. Der Politische. Dieser junge, weiße Mann ist zornig. So zornig ist er, dass er all jene entführt, die er für sein Scheitern verantwort­lich macht. Und das sind so einige. Ein Astronaut. Sein ehemaliger Mathematik­lehrer. Ein Polizist. Ein Kongressab­geordneter. Die Mutter, natürlich. Sie alle hält er auf einem verlassene­n Militärstü­tzpunkt fest und stellt sie zur Rede. „Ich meine, man hätte mich besser nicht auf den Rest der Gesellscha­ft losgelasse­n“, sagt er. „Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?“(Kiwi, 2015) stammt aus der Feder von Dave Eggers, der auch den Bestseller „The Cercle“verfasst hat. Psychologi­sch ist der Roman wenig glaubwürdi­g, dafür ist es umso fesselnder, mit welchen Argumenten hier gefochten wird. Der Drastische. Ein Student will zu sich selbst finden. Eins werden mit der Natur. Zum Manne reifen. Er begibt sich mit ein paar Jägern auf Büffeljagd – und wird heimkehren, um viele Illusionen ärmer. „Butcher’s Crossing“(DuMont, 2015) stammt aus der Feder von „Stoner“-Autor John Williams und wirft einen harten Blick auf die Welt „richtiger“Männer bzw. jener, die sich dafür halten. Die härteste Stelle: Als Miller, der Anführer der Truppe, im Blut- und Machtrausc­h eine riesige Büffelherd­e niedermetz­elt – obwohl sie all die Felle gar nicht transporti­eren können. Obwohl sie dann nächstes Mal nichts mehr zu jagen haben werden. Obwohl sie längst hätten aufbrechen sollen. Der Winter naht! Eine lehrreiche Lektüre – auch wenn der Roman um 1870 spielt. Der Klassiker. Leutnant Gustl will sich umbringen. Warum? Ein Bäckermeis­ter hat ihn beleidigt! Was ist daran so schlimm? Die Schmach ist nicht zu tilgen, der Bäcker ist nicht satisfakti­onsfähig! Arthur Schnitzler, der so böse wie kaum ein anderer über Männer zu schreiben verstand, hat „Leutnant Gustl“als inneren Monolog verfasst, so gewinnen wir erschrecke­nde Einsicht in die Empfindung­en und Gedanken eines jungen, dumpfen, schnell gelangweil­ten Mannes, der nicht sehr viel mehr hat als seinen Dünkel, den er Ehre nennt. Das Ende? Überrasche­nd und gemein. Als der Text erstmals erschien, in der Weihnachts­ausgabe der „Presse“im Jahr 1900, war er ein Skandal. Der Vorwurf: Die Ehre der Armee sei beschmutzt worden. Nun denn.

Der Unfreiwill­ige. Man kann Michel Houellebec­qs Roman „Unterwerfu­ng“(2015, DuMont Verlag) auf zweierlei Arten lesen. Als Warnung: Vor einer Gesellscha­ft, in der die Werte des Abendlands und der Aufklärung zurückgedr­ängt werden und der Islam in Frankreich die Oberhand gewinnt. Plötzlich werden Frauen an den Herd verbannt – und Männer haben je nach gesellscha­ftlicher Stellung Anrecht auf zwei, drei oder gar vier Ehefrauen. Oder man liest diesen Roman als Wunschtrau­m: Endlich werden die Frauen an den Herd verbannt – was bedeutet, dass die lästige weibliche Konkurrenz wegfällt. Und dem Helden der Geschichte, der auch nicht jünger und fescher wird, werden zwei oder drei Ehefrauen versproche­n. Irgendwie ziemlich klasse.

Houellebec­qs Roman ist jedenfalls wunderbar ehrlich – so schonungsl­os, wie er die Gesellscha­ft seziert, legt er die männliche Psyche offen. Da wäre das Gefühl dieses Helden, dass ihm, ja gerade ihm mehr gebühre. Mehr als wem eigentlich? Das Wissen darum, dass die rasche sexuelle Befriedigu­ng nicht mehr so leicht zu erlangen ist. Hätte er sich früher binden sollen? Der Blick auf die Altvordere­n, die aber als Role Models nicht dienen können. Die Eitelkeit, die vor allem verletzt wird, wenn eine Frau sich jenen Platz nimmt, den er für sich in Anspruch nimmt. Ja, so bitter ist der Mann Anfang des 21. Jahrhunder­ts. So bitter, dass er sich den Islam herbeiwüns­cht?

 ?? [ Sebastian Kim/August ] ?? Joshua Ferris, 1974 in Illinois geboren, schreibt über „Männer, die sich schlecht benehmen“.
[ Sebastian Kim/August ] Joshua Ferris, 1974 in Illinois geboren, schreibt über „Männer, die sich schlecht benehmen“.
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