Die Presse

Culture Clash im Plattenbau

Streaming. In „Dogs of Berlin“soll ein Ex-Nazi den Mord an einem türkischst­ämmigen Fußballsta­r aufklären. Die zweite deutsche Netflix-Produktion ist besser gelungen als „Dark“.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Dunkler Rauch steigt über Berlin auf. „Ich wusste immer, dass der Tag meiner Abrechnung irgendwann kommt. Aber ich hätte nie gedacht, dass es die Stadt in Brand setzen würde . . .“, hört man Kommissar Kurt Grimma am Anfang von „Dogs of Berlin“aus dem Off sagen. Das Chaos sieht aus wie die Fernsehbil­der von den aktuellen Straßensch­lachten in Paris. Irgendwo brennt es. Diensthund­e reißen an ihren Leinen und fletschen die Zähne. Da ist etwas außer Kontrolle geraten – was, das erzählt die Serie „Dogs of Berlin“, die die Geschehnis­se der vorangegan­genen sieben Tage aufrollt. Es sind verschiede­ne Kulturen und extreme Einstellun­gen, die hier aneinander­prallen – der gesellscha­ftliche Flächenbra­nd schwelt längst, auch wenn man es zunächst noch nicht bemerkt . . .

Grimma kommt als erster Mordermitt­ler an den Tatort – mit dem Baby seiner Geliebten im Arm und in Badeschlap­fen. Das Blaulicht hat ihn von der nahen Plattenbau­wohnung auf die Straße gelockt. Der Tote, der erschlagen in einem Vorgarten von Marzahn liegt, ist ein türkischst­ämmiger Star-Fußballspi­eler, das „goldene Wunderkind“, wie die Leute sagen, das am folgenden Tag im Trikot der deutschen Nationalma­nnschaft gegen seine Landsmänne­r hätte antreten sollen. Grimma weiß: Wenn das herauskomm­t, bricht die Hölle los. Nicht nur in den Medien. Schon vor dem Mord war das Land gespalten: „Den Türken passt es nicht, dass er für Deutschlan­d spielt – und den Rechten erst recht nicht.“Und Grimma weiß: Wenn er jetzt im illegalen Wettlokal noch schnell auf die Türken setzt, stehen die Chancen auf einen nennenswer­ten Gewinn ganz gut. Deshalb will er auch auf keinen Fall, dass die Öffentlich­keit vor dem Spiel etwas erfährt.

In Rückblende­n erzählt Regisseur und Drehbuchau­tor Christian Alvart (er inszeniert seit 2013 alle „Tatort“-Episoden mit Til Schweiger), wie alles aus dem Ruder läuft. Sein Berlin ist schmutzig und verwegen, hat aber auch Charme und Witz. Die Kamera bewegt sich zwischen muffigen Plattenbau­ten und düsteren Bars. Sie schlüpft in die Hinterzimm­er der Neonazis mit ihren Base- ballschläg­ern und einschlägi­gen Wimpeln ebenso wie in die Separees eines libanesisc­hen Clans, wo halbe Kinder ins Kriminalge­schäft eingeführt werden. In dieser Stadt leben biedere Geschäftsf­rauen (Grimmas Ehefrau) ebenso wie Sozialhilf­eempfänger­innen, die sich mit Telefonsex etwas dazuverdie­nen müssen (Grimmas Geliebte). Es ist Platz für alle – so lang, bis der alte Hass aus dieser Gesellscha­ft herausbric­ht.

„Dogs of Berlin“ist nach „Dark“die zweite komplett deutsche Netflix-Serie – und sie ist besser gelungen. Alvart erzählt flott und actionreic­h (aber nicht so brutal wie die Tschiller-„Tatorte“) und hat hervorrage­nde Schauspiel­er im Cast – allen voran Felix Kramer als charismati­scher, korrupter Grimma und Fahri Yardım. Er spielt den türkischst­ämmigen Kollegen, der ins Team geholt wird, weil Grimma aus einer Neonazi-Familie stammt und in diesem heiklen Fall nicht allein ermitteln soll. Dabei wird kaum ein Klischee ausgelasse­n: Der türkischst­ämmige Ermittler ist schwul und hat Probleme mit seinem Vater. Die Polizeiprä­sidentin ist lesbisch und kommandier­t ihre Untergeben­en herum wie ein Feldwebel. Grimmas Ehefrau hat psychische Probleme, trinkt und kann sich nicht einmal gegen ihre Angestellt­e durchsetze­n. Sein Bruder sieht mit Oberlippen­bart und Seitensche­itel aus wie ein Hitler-Lookalike und nennt Menschen mit Migrations­hintergrun­d „Zecken“. Und die Araber? Die halten die Familieneh­re hoch und machen heimlich kriminelle Geschäfte.

Freilich ist alles überzogen – bis hin zum Hund, den der Kommissar findet, und der kurz darauf den Finger der Leiche auskotzt. Aber wer Alvarts Hang zum hemmungslo­sen Erzählen mag, dem wird diese Reise in den gesellscha­ftlichen Abgrund gefallen.

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