Neuer Atomwettlauf der upermächte
USA/Russland. Der INF-Vertrag, der die Entwicklung nuklearer Mittelstreckenraketen stoppte, steht vor dem Aus. Moskau weist das US-Ultimatum zurück – und darauf hin, wer einen Krieg auszubaden hätte: die Europäer.
New York. Die Reaktion aus Moskau kam umgehend, und sie wird die Gemüter weiter erhitzen. Man werde den geplanten US-Ausstieg aus dem Abkommen zum Produktionsstopp nuklearer Mittelstreckenraketen nicht einfach so hinnehmen, verkündete Wladimir Putin am Mittwoch. Auf eine Wiederaufnahme amerikanischer Waffentests gebe es „eine einfache Antwort“, sagte der russische Präsident. „Wir werden das ebenfalls machen und neue Raketen entwickeln.“
Noch düsterer wurde Russlands Generalstabschef, Waleri Gerassimow. Vor ausländischen Militärattaches´ machte er deutlich, wer einen Konflikt zwischen Russland und den USA auszubaden hätte: Europa. „Sie als Militärprofis müssen wissen, dass nicht das US-Territorium Ziel russischer Vergeltung wäre, sondern die Staaten, in denen die Mittelstreckenraketen stationiert sind“, erklärte Gerassimow. 30 Jahre nach dem Handshake zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow steht die Welt vor einem neuen Atomrüstungswettlauf. 1988 trat der INF-Vertrag in Kraft, darin einigten sich die USA und Russland auf eine Vernichtung aller landgestützten Flugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern. Diese gelten als besonders gefährlich, weil sie eine Atombombe innerhalb von Minuten an einem weit entfernten Ziel detonieren lassen können. Nehmen Washington und Moskau die Produktion wieder auf, wird die weltweite nukleare Bedrohung zunehmen.
Dabei bahnte sich das aktuelle Säbelrasseln zwischen den USA und Russland keineswegs über Nacht an. Laut US-Außenminister Mike Pompeo verletzt Moskau das Abkommen seit mindestens fünf Jahren. Washington habe Beweise, dass Russland seit 2013 regelmäßig verbotene SSC-8 Raketen teste. Mehr als 30 Mal habe man „auf allen Ebenen“mit Russland darüber gesprochen, um eine
Ziel russischer Vergeltung wären die Staaten, in denen die Raketen stationiert sind. Waleri Gerassimow, Generalstabschef
Lösung zu finden – ohne Erfolg. Man habe deshalb, so Mike Pompeo, keine andere Wahl gehabt, als eine endgültige Frist festzulegen und in der Folge aus dem Vertrag auszusteigen.
Noch ist es nicht zu spät. 60 Tage habe Russland nun Zeit, um die verbotenen Tests einzustellen, verkündete Pompeo bei einem Treffen der Nato in Brüssel. Offiziell tickt nun also die Uhr, inoffiziell ist schon jetzt ziemlich klar, dass es zu keiner Einigung kommen wird. Putins Reaktion zeigt, dass Moskau nicht zurücksteckt. Der Kreml bestreitet die Vorwürfe, man habe den Vertrag keineswegs verletzt, sondern reagiere lediglich auf die Animositäten aus Washington.
Mit dem Setzen der Zweimonatsfrist läutet Washington einen formalen Prozess ein. Man stellt Moskau ein letztes Mal die Rute ins Fenster, ehe Präsident Donald Trump Anfang Februar den tatsächlichen Ausstieg verkünden will. Selbst dann könnte es theoretisch noch zu einer Einigung kommen, weil die Vereinbarung eine sechsmonatige Frist bis zum endgültigen Ende vorsieht. Das offizielle Wettrüsten dürfte also im Sommer seine volle Fahrt aufnehmen. „Ich bedaure, dass wir höchstwahrscheinlich das Ende des Vertrags sehen werden“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
Ausbau der Nato-Basen?
Die 29 Mitglieder des Militärbündnisses, deren wichtigster Beitragszahler die USA sind, zeigten sich einig in ihrer Kritik an Russland. „Keine Vereinbarung zur Waffenkontrolle funktioniert, wenn sich nur eine Partei daran hält“, so Stoltenberg. Tatsächlich wird ein Wettrüsten zwischen den USA und Russland auch auf den Schultern Europas ausgetragen werden. Washington wird seine Basen in den europäischen Nato-Staaten aufstocken. Russland wiederum dürfte alles daran setzen, in den ehemaligen Sowjetstaaten nicht an Einfluss zu verlieren.
Auch wenn sich die meisten Beobachter in den USA einig sind, dass Russland den INF-Vertrag seit Jahren systematisch bricht, orten viele einen ganz anderen Grund für die plötzliche Härte der Regierung Trumps. Das eigentliche Problem sei China, heißt es, weil die asiatische Supermacht an keinen Vertrag zur Waffenkontrolle gebunden ist. Trump schießt seit Monaten scharf in Richtung Peking. Der schwelende Handelskrieg ist ungelöst, ebenso wie der Konflikt um die Dominanz im Südchinesischen Meer.
Trump will China einbeziehen
Eine Lösung im russisch-amerikanischen Konflikt wird ohne Einbeziehung Chinas kaum möglich sein. Auch Trump selbst stellte diesen Konnex bereits mehrfach her. „Solang Russland nicht auf uns zugeht und solang China nicht auf uns zugeht“, werde sich Washington nicht länger an den INF-Deal halten, sagte der US-Präsident Anfang November. Keines der drei Länder „sollte diese Waffen entwickeln“. Nur: Auf einen Neuvertrag, der auch China umfasst, deutet momentan nichts hin.