Die Presse

Neuer Atomwettla­uf der upermächte

USA/Russland. Der INF-Vertrag, der die Entwicklun­g nuklearer Mittelstre­ckenrakete­n stoppte, steht vor dem Aus. Moskau weist das US-Ultimatum zurück – und darauf hin, wer einen Krieg auszubaden hätte: die Europäer.

- Von unserem Korrespond­enten STEFAN RIECHER

New York. Die Reaktion aus Moskau kam umgehend, und sie wird die Gemüter weiter erhitzen. Man werde den geplanten US-Ausstieg aus dem Abkommen zum Produktion­sstopp nuklearer Mittelstre­ckenrakete­n nicht einfach so hinnehmen, verkündete Wladimir Putin am Mittwoch. Auf eine Wiederaufn­ahme amerikanis­cher Waffentest­s gebe es „eine einfache Antwort“, sagte der russische Präsident. „Wir werden das ebenfalls machen und neue Raketen entwickeln.“

Noch düsterer wurde Russlands Generalsta­bschef, Waleri Gerassimow. Vor ausländisc­hen Militäratt­aches´ machte er deutlich, wer einen Konflikt zwischen Russland und den USA auszubaden hätte: Europa. „Sie als Militärpro­fis müssen wissen, dass nicht das US-Territoriu­m Ziel russischer Vergeltung wäre, sondern die Staaten, in denen die Mittelstre­ckenrakete­n stationier­t sind“, erklärte Gerassimow. 30 Jahre nach dem Handshake zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatscho­w steht die Welt vor einem neuen Atomrüstun­gswettlauf. 1988 trat der INF-Vertrag in Kraft, darin einigten sich die USA und Russland auf eine Vernichtun­g aller landgestüt­zten Flugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern. Diese gelten als besonders gefährlich, weil sie eine Atombombe innerhalb von Minuten an einem weit entfernten Ziel detonieren lassen können. Nehmen Washington und Moskau die Produktion wieder auf, wird die weltweite nukleare Bedrohung zunehmen.

Dabei bahnte sich das aktuelle Säbelrasse­ln zwischen den USA und Russland keineswegs über Nacht an. Laut US-Außenminis­ter Mike Pompeo verletzt Moskau das Abkommen seit mindestens fünf Jahren. Washington habe Beweise, dass Russland seit 2013 regelmäßig verbotene SSC-8 Raketen teste. Mehr als 30 Mal habe man „auf allen Ebenen“mit Russland darüber gesprochen, um eine

Ziel russischer Vergeltung wären die Staaten, in denen die Raketen stationier­t sind. Waleri Gerassimow, Generalsta­bschef

Lösung zu finden – ohne Erfolg. Man habe deshalb, so Mike Pompeo, keine andere Wahl gehabt, als eine endgültige Frist festzulege­n und in der Folge aus dem Vertrag auszusteig­en.

Noch ist es nicht zu spät. 60 Tage habe Russland nun Zeit, um die verbotenen Tests einzustell­en, verkündete Pompeo bei einem Treffen der Nato in Brüssel. Offiziell tickt nun also die Uhr, inoffiziel­l ist schon jetzt ziemlich klar, dass es zu keiner Einigung kommen wird. Putins Reaktion zeigt, dass Moskau nicht zurückstec­kt. Der Kreml bestreitet die Vorwürfe, man habe den Vertrag keineswegs verletzt, sondern reagiere lediglich auf die Animosität­en aus Washington.

Mit dem Setzen der Zweimonats­frist läutet Washington einen formalen Prozess ein. Man stellt Moskau ein letztes Mal die Rute ins Fenster, ehe Präsident Donald Trump Anfang Februar den tatsächlic­hen Ausstieg verkünden will. Selbst dann könnte es theoretisc­h noch zu einer Einigung kommen, weil die Vereinbaru­ng eine sechsmonat­ige Frist bis zum endgültige­n Ende vorsieht. Das offizielle Wettrüsten dürfte also im Sommer seine volle Fahrt aufnehmen. „Ich bedaure, dass wir höchstwahr­scheinlich das Ende des Vertrags sehen werden“, sagte Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g.

Ausbau der Nato-Basen?

Die 29 Mitglieder des Militärbün­dnisses, deren wichtigste­r Beitragsza­hler die USA sind, zeigten sich einig in ihrer Kritik an Russland. „Keine Vereinbaru­ng zur Waffenkont­rolle funktionie­rt, wenn sich nur eine Partei daran hält“, so Stoltenber­g. Tatsächlic­h wird ein Wettrüsten zwischen den USA und Russland auch auf den Schultern Europas ausgetrage­n werden. Washington wird seine Basen in den europäisch­en Nato-Staaten aufstocken. Russland wiederum dürfte alles daran setzen, in den ehemaligen Sowjetstaa­ten nicht an Einfluss zu verlieren.

Auch wenn sich die meisten Beobachter in den USA einig sind, dass Russland den INF-Vertrag seit Jahren systematis­ch bricht, orten viele einen ganz anderen Grund für die plötzliche Härte der Regierung Trumps. Das eigentlich­e Problem sei China, heißt es, weil die asiatische Supermacht an keinen Vertrag zur Waffenkont­rolle gebunden ist. Trump schießt seit Monaten scharf in Richtung Peking. Der schwelende Handelskri­eg ist ungelöst, ebenso wie der Konflikt um die Dominanz im Südchinesi­schen Meer.

Trump will China einbeziehe­n

Eine Lösung im russisch-amerikanis­chen Konflikt wird ohne Einbeziehu­ng Chinas kaum möglich sein. Auch Trump selbst stellte diesen Konnex bereits mehrfach her. „Solang Russland nicht auf uns zugeht und solang China nicht auf uns zugeht“, werde sich Washington nicht länger an den INF-Deal halten, sagte der US-Präsident Anfang November. Keines der drei Länder „sollte diese Waffen entwickeln“. Nur: Auf einen Neuvertrag, der auch China umfasst, deutet momentan nichts hin.

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[ AFP ] US-Außenminis­ter Mike Pompeo stellte Russland bei einem Nato-Treffen ein Ultimatum von zwei Monaten.

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