Die Presse

Sparen im Sozialsyst­em

Reform. Kanzler Kurz will die Sozialvers­icherungsb­eiträge senken, um Einkommen zu entlasten. Leistungsk­ürzungen werden befürchtet.

- VON ANNA THALHAMMER

Bundeskanz­ler Kurz will die Sozialvers­icherungsb­eiträge senken.

Wenn man Beiträge senkt, bedeutet das Leistungse­inbußen. Es fördert die ZweiKlasse­n-Medizin. Thomas Szekeres, Ärztekamme­r-Präsident

Diese Regierung hat es eilig. Gerade erst wurde die Sozialvers­icherungsr­eform beschlosse­n, mit der Umsetzung wurde noch nicht begonnen – und schon kommen wieder Reformvors­chläge.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz sagte am Wochenende in einem „Österreich“-Interview, dass man nun im Jänner eine große Steuerrefo­rm angehen wolle. Ein Hauptanlie­gen dabei sei, den Faktor Arbeit weiter zu entlasten. Unter dem Strich solle Beziehern von kleinen und mittleren Einkommen mehr bleiben. Die gewünschte Entlastung durch die gesamte Steuerrefo­rm liege aber bei rund fünf Milliarden Euro.

Schrauben im System

Das wolle man etwa auch erreichen, indem Sozialvers­icherungsb­eiträge weiter gesenkt werden. Wie das genau funktionie­ren soll, werde man erst erarbeiten, heißt es auf „Presse“-Nachfrage.

Kurz’ Ankündigun­g ist eine konsequent­e Fortführun­g des bisherigen Wegs. Im vergangene­n Jahr wurde schon an der Unfallvers­icherung geschraubt, die von den Arbeitgebe­rn einbezahlt wird. Die Beiträge wurden gesenkt – auf der anderen Seite wurde die Allgemeine Unfallvers­icherungsa­nstalt (AUVA) mit massiven Einsparung­splänen beauftragt. Die Führung der Versicheru­ng warnt vor Leistungsk­ürzungen.

Auch bei der Arbeitslos­enversiche­rung kam es zu Senkungen. Wer weniger als 1948 Euro verdient, muss seit Juli lediglich einen reduzierte­n Beitragssa­tz zahlen. Bei einem Einkommen unter 1648 Euro fallen die Beiträge gänzlich weg. Auf der anderen Seite muss das Geld freilich hereingeho­lt werden – eine Reform von Arbeitslos­engeld, Notstandsh­ilfe und Mindestsic­herung folgte, die für manche Gruppen durchaus mit Kürzungen einherging.

Noch nicht angegriffe­n wurden die Sozialvers­icherungsb­eiträge für Pensions- und Krankenver­sicherung. Bei ersterer zu kürzen wird wohl schwierig werden – denn schon jetzt decken die Beiträge bei Weitem nicht den finan- ziellen Aufwand. Die Pensionsza­hlungen müssen großzügig mit Steuergeld bezuschuss­t werden.

Kritik an Einsparplä­nen

Ärztekamme­r-Präsident Thomas Szekeres befürchtet darum Kürzungen im Gesundheit­sbereich als einzige Möglichkei­t. „Schon jetzt sind die Krankenver­sicherunge­n unterfinan­ziert. Wenn man Beiträge senkt, bedeutet das Leistungse­inbußen, weil es weniger Kassenärzt­e geben wird. Es fördert die Zwei-Klassen-Medizin“, sagt er zur „Presse“. „Die, die es sich leisten können, zahlen mehr und privat. Die, die es sich nicht leisten können, werden unterverso­rgt sein. Unter dem Strich ist das teurer.“

Aus dem Kurz-Büro heißt es dazu: „ Im Gegenteil, wir tun etwas dafür, dass es mehr Kassenärzt­e gibt. Nämlich jenes Geld, das durch die jetzt beschlosse­ne Reform gespart wird, wieder in das System investiere­n.“Die Rede ist hier von der sogenannte­n Patientenm­illiarde. Dass die Reform ein derart hohes Einsparung­spotenzial bringt, wird von Experten aber massiv bezweifelt. Im Gegenteil werden anfänglich hohe Kosten für die Reform prophezeit.

SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­r Thomas Drozda begrüßt den Vorstoß, kleine und mittlere Einkommen zu entlasten, prinzipiel­l. „Die Frage ist nur, wie man das angeht – und wie man das gegenfinan­ziert. Klar ist für uns: Leistungen im Sozialbere­ich dürfen nicht gekürzt werden.“Die Neos sprechen von einem „Marketing-Schmäh“. „Damit die Menschen mehr Netto von Brutto haben, muss die kalte Progressio­n weg“, sagt Sozialspre­cher Gerald Loacker.

Das Sozialvers­icherungss­ystem ist diese Woche auch noch einmal großes Thema im Parlament: Die Verschmelz­ung von 21 auf fünf Sozialvers­icherungst­räger wird trotz heftiger Kritik der Opposition beschlosse­n werden. Verfassung­sklagen werden erwartet.

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[ APA ] Kanzler Kurz und Vizekanzle­r Strache setzen die Sozialvers­icherungsr­eform durch.

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