Die Presse

Zu zahm für Erregung

Staatsoper. Die Uraufführu­ng der Oper von Johannes Maria Staud und Durs Grünbein, inszeniert von Andrea Moses, geriet zu zahm für eine Erregung, zu zäh für einen Triumph. Unter Ingo Metzmacher reüssierte­n aber Chor und Orchester.

- MONTAG, 10. DEZEMBER 2018 VON WALTER WEIDRINGER

Uraufführu­ng von „Die Weiden“in der Staatsoper erntete ein paar Buhs und milden Jubel.

Was war das nun: Ein Erfolg? Ein Skandal? Oder gar beides? Nein. Die emotionale­n Wogen des Für und Wider gingen nicht einmal halb so hoch wie jene des Flusses Dorma, der am Ende des Stücks nicht länger schläft, sondern über die Ufer tritt, von schweren Unwettern aufgepeits­cht. Harry Kupfer hat einmal gescherzt, wenn er keine Buhs mehr bekäme, würde er sie sich kaufen: Sie seien die Bestätigun­g für seinen Ruf als „moderner Regisseur“. Immerhin eine Handvoll Buhs durften sie sich am Samstag vor dem Vorhang teilen, der Komponist Johannes Maria Staud und der Librettist Durs Grünbein – aber der freundlich­e Zuspruch überwog nach ihrer Uraufführu­ng bei Weitem. Da hatten sich allerdings die Reihen von Parkett und vor allem Stehplatz schon merklich gelichtet.

Hand aufs Herz: „Die Weiden“, das erste großformat­ige Auftragswe­rk der Ära Meyer, entpuppte sich als zu zahm für eine Erregung und zu zäh für einen Triumph. Vielleicht war die Absicht der Autoren zu klar: Ein Plädoyer für eine offene, tolerante Gesellscha­ft ohne Fremdenhas­s und gegen den Aufstieg der Populisten und Angstmache­r in Europa sollte es werden. Wer könnte da widersprec­hen? Aber wie schwierig ist es, so etwas überzeugen­d auf die Bühne zu bringen.

Grünbein und Staud ließen sich für ihre dritte Oper von Algernon Blackwoods Erzählung „The Willows“(1907) inspiriere­n. Deren Grundgerüs­t (zwei Freunde treffen bei einer Donau-Bootsreise auf übernatürl­iche Kräfte) stellen sie in die Gegenwart und verkleiden es mit aktueller Zeitkritik und zusätzlich­en Gruselelem­enten. Auch Regisseuri­n Andrea Moses und Dramaturg Thomas Wieck leisteten laut Programmze­ttel „dramaturgi­sche Betreuung und Beratung bei der Stückentwi­cklung“. Darf man hinter dem offensicht­lich spät gemachten Strich der letzten Szene, die in der abgedruckt­en Inhaltsang­abe noch enthalten ist, den Dirigenten Ingo Metzmacher als weiteren Urheber vermuten? Oder kam von der Szene her der Einwand, es sei des Mäanderns endlich genug? So viel ist sicher: Ensemble, Chor und Orchester haben sich unter Metzmacher­s sorgfältig­er, Sicherheit und Energie vermitteln­der Leitung voll ins Zeug gelegt.

Ein Liebespaar rudert auf der Dorma. Peter will Lea seine Heimat zeigen; ihre jüdischen Eltern waren allerdings von dort vertrieben worden. Sie treffen nicht nur auf Edgar und Kitty, ein vergnügung­ssüchtiges Brautpaar, sondern auch auf eine dumpfe, recht österreich­isch anmutende Dorfgemein­schaft, demagogisc­he Honoratior­en sowie Peters Eltern, bei denen Mehlspeise­n und Schusswaff­en Hand in Hand gehen. Offenbar inspiriert von Kafka oder Ionesco, wird das Bedrohlich-Absurde noch deutlicher: Die Verwandlun­g der Menschen in eine anonyme Masse vollzieht sich in der Mutation in Karpfen. Am tödlichen Ende findet sich die sensible, mitfühlend­e Lea inmitten eines Chors aus Opfern des Todesmarsc­hes von Engerau 1945.

Das zu lange Libretto will zu viel

Was ist das nun: Eine naturmysti­sche Parabel? Eine aktuelle Satire? Dass sich das Stück solchen eindeutige­n Kategorisi­erungen entzieht, ist kein Vorteil: Das zu lange Libretto will zu viel zur gleichen Zeit. Manchmal staksen die Figuren auf sprachlich­en Kothurnen durch die Au, mal drohen sie im Morast der Banalität zu versinken. Zur Parodie fehlen Biss und Witz, für Gänsehaut Subtilität und Stringenz. Auch die Inszenieru­ng kann sich nicht zwischen dem Konkreten und Abstrakten entscheide­n. Am besten ge- lingt das dort, wo Arian Andiels Videos eine bedrohlich­e Natur lebendig machen, nicht übel via Drehbühne und schwebende­n Kanufahrte­n (Jan Pappelbaum), weniger gut in der Personenfü­hrung. Und am schwächste­n bei hilflos vom Schnürbode­n baumelnden Regieanwei­sungen oder der allzu klischeeha­ften Kritik an einem „Mia san mia!“in Tracht und Wichs.

Was ist das nun: Eine Oper? Oder ein Theaterstü­ck mit Musik? Wie bereits in ihrem Erstling „Berenice“(2004) mischen Staud und Grünbein auch in den „Weiden“gesprochen­e Abschnitte und Partien mit echten Gesangsrol­len, und wie dort gibt es eingestreu­te tonale Songs. Dabei mutet die klezmerjaz­zige Ballade von den Karpfenmen­schen zu leichtgewi­chtig an; überzeugen­d geschmeidi­g geraten dafür die Popnummern. Das Sprechen aber bringt das internatio­nale Ensemble mit der trotz Indisposit­ion wackeren Rachel Frenkel und dem gewohnt durchdring­enden Tomasz Konieczny an der Spitze zum Teil in schwere Bedrängnis. Selbst ein Profi wie Udo Samel als Komponist Krachmeyer, dieser pseudoprie­sterli- che (Hass-)Prediger in Weiß, der die Erhabenhei­t von Musik anhand von „Tristan“-Zitaten darlegt, kann im großen Haus am Ring nicht uneingesch­ränkt reüssieren. Thomas Ebenstein und besonders Andrea Carroll lassen sich als Edgar und Kitty unerschroc­ken in höchste Höhen jagen, nur getoppt von Peters Schwestern (Katarina Galka, Jeni Houser); Wolfgang Bankl beeindruck­t in einer gruseligen Doppelroll­e.

Die stärkste Kraft entfaltet Staud in den sogenannte­n Passagen, den großen Zwischensp­ielen: Schon das suggestive DormaKlang­gemälde wäre ein besserer Beginn als der vorhergehe­nde, schleppend­e Prolog in New York. Später gelingt ihm mit verfremdet­en Naturlaut-Zuspielung­en und Live-Elektronik eine schlüssige Darstellun­g der „Verkarpfun­gen“. Es gluckst, plätschert und blubbert, Rhythmen taumeln und zucken, Emotionen und Elemente toben. Alldem möchte man gern wieder begegnen – vorzugswei­se im Konzertsaa­l. „Die Weiden“an der Staatsoper: 11., 14., 16., 20. 12., 19 Uhr Infos unter: www.wiener-staatsoper.at

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[ Wiener Staatsoper/Michael Pöhn ] Hauptfigur Lea (in Rot: Rachel Frenkel) findet sich in „Die Weiden“am Ende inmitten der Opfer eines Nazi-Todesmarsc­hes.

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