Zu zahm für Erregung
Staatsoper. Die Uraufführung der Oper von Johannes Maria Staud und Durs Grünbein, inszeniert von Andrea Moses, geriet zu zahm für eine Erregung, zu zäh für einen Triumph. Unter Ingo Metzmacher reüssierten aber Chor und Orchester.
Uraufführung von „Die Weiden“in der Staatsoper erntete ein paar Buhs und milden Jubel.
Was war das nun: Ein Erfolg? Ein Skandal? Oder gar beides? Nein. Die emotionalen Wogen des Für und Wider gingen nicht einmal halb so hoch wie jene des Flusses Dorma, der am Ende des Stücks nicht länger schläft, sondern über die Ufer tritt, von schweren Unwettern aufgepeitscht. Harry Kupfer hat einmal gescherzt, wenn er keine Buhs mehr bekäme, würde er sie sich kaufen: Sie seien die Bestätigung für seinen Ruf als „moderner Regisseur“. Immerhin eine Handvoll Buhs durften sie sich am Samstag vor dem Vorhang teilen, der Komponist Johannes Maria Staud und der Librettist Durs Grünbein – aber der freundliche Zuspruch überwog nach ihrer Uraufführung bei Weitem. Da hatten sich allerdings die Reihen von Parkett und vor allem Stehplatz schon merklich gelichtet.
Hand aufs Herz: „Die Weiden“, das erste großformatige Auftragswerk der Ära Meyer, entpuppte sich als zu zahm für eine Erregung und zu zäh für einen Triumph. Vielleicht war die Absicht der Autoren zu klar: Ein Plädoyer für eine offene, tolerante Gesellschaft ohne Fremdenhass und gegen den Aufstieg der Populisten und Angstmacher in Europa sollte es werden. Wer könnte da widersprechen? Aber wie schwierig ist es, so etwas überzeugend auf die Bühne zu bringen.
Grünbein und Staud ließen sich für ihre dritte Oper von Algernon Blackwoods Erzählung „The Willows“(1907) inspirieren. Deren Grundgerüst (zwei Freunde treffen bei einer Donau-Bootsreise auf übernatürliche Kräfte) stellen sie in die Gegenwart und verkleiden es mit aktueller Zeitkritik und zusätzlichen Gruselelementen. Auch Regisseurin Andrea Moses und Dramaturg Thomas Wieck leisteten laut Programmzettel „dramaturgische Betreuung und Beratung bei der Stückentwicklung“. Darf man hinter dem offensichtlich spät gemachten Strich der letzten Szene, die in der abgedruckten Inhaltsangabe noch enthalten ist, den Dirigenten Ingo Metzmacher als weiteren Urheber vermuten? Oder kam von der Szene her der Einwand, es sei des Mäanderns endlich genug? So viel ist sicher: Ensemble, Chor und Orchester haben sich unter Metzmachers sorgfältiger, Sicherheit und Energie vermittelnder Leitung voll ins Zeug gelegt.
Ein Liebespaar rudert auf der Dorma. Peter will Lea seine Heimat zeigen; ihre jüdischen Eltern waren allerdings von dort vertrieben worden. Sie treffen nicht nur auf Edgar und Kitty, ein vergnügungssüchtiges Brautpaar, sondern auch auf eine dumpfe, recht österreichisch anmutende Dorfgemeinschaft, demagogische Honoratioren sowie Peters Eltern, bei denen Mehlspeisen und Schusswaffen Hand in Hand gehen. Offenbar inspiriert von Kafka oder Ionesco, wird das Bedrohlich-Absurde noch deutlicher: Die Verwandlung der Menschen in eine anonyme Masse vollzieht sich in der Mutation in Karpfen. Am tödlichen Ende findet sich die sensible, mitfühlende Lea inmitten eines Chors aus Opfern des Todesmarsches von Engerau 1945.
Das zu lange Libretto will zu viel
Was ist das nun: Eine naturmystische Parabel? Eine aktuelle Satire? Dass sich das Stück solchen eindeutigen Kategorisierungen entzieht, ist kein Vorteil: Das zu lange Libretto will zu viel zur gleichen Zeit. Manchmal staksen die Figuren auf sprachlichen Kothurnen durch die Au, mal drohen sie im Morast der Banalität zu versinken. Zur Parodie fehlen Biss und Witz, für Gänsehaut Subtilität und Stringenz. Auch die Inszenierung kann sich nicht zwischen dem Konkreten und Abstrakten entscheiden. Am besten ge- lingt das dort, wo Arian Andiels Videos eine bedrohliche Natur lebendig machen, nicht übel via Drehbühne und schwebenden Kanufahrten (Jan Pappelbaum), weniger gut in der Personenführung. Und am schwächsten bei hilflos vom Schnürboden baumelnden Regieanweisungen oder der allzu klischeehaften Kritik an einem „Mia san mia!“in Tracht und Wichs.
Was ist das nun: Eine Oper? Oder ein Theaterstück mit Musik? Wie bereits in ihrem Erstling „Berenice“(2004) mischen Staud und Grünbein auch in den „Weiden“gesprochene Abschnitte und Partien mit echten Gesangsrollen, und wie dort gibt es eingestreute tonale Songs. Dabei mutet die klezmerjazzige Ballade von den Karpfenmenschen zu leichtgewichtig an; überzeugend geschmeidig geraten dafür die Popnummern. Das Sprechen aber bringt das internationale Ensemble mit der trotz Indisposition wackeren Rachel Frenkel und dem gewohnt durchdringenden Tomasz Konieczny an der Spitze zum Teil in schwere Bedrängnis. Selbst ein Profi wie Udo Samel als Komponist Krachmeyer, dieser pseudopriesterli- che (Hass-)Prediger in Weiß, der die Erhabenheit von Musik anhand von „Tristan“-Zitaten darlegt, kann im großen Haus am Ring nicht uneingeschränkt reüssieren. Thomas Ebenstein und besonders Andrea Carroll lassen sich als Edgar und Kitty unerschrocken in höchste Höhen jagen, nur getoppt von Peters Schwestern (Katarina Galka, Jeni Houser); Wolfgang Bankl beeindruckt in einer gruseligen Doppelrolle.
Die stärkste Kraft entfaltet Staud in den sogenannten Passagen, den großen Zwischenspielen: Schon das suggestive DormaKlanggemälde wäre ein besserer Beginn als der vorhergehende, schleppende Prolog in New York. Später gelingt ihm mit verfremdeten Naturlaut-Zuspielungen und Live-Elektronik eine schlüssige Darstellung der „Verkarpfungen“. Es gluckst, plätschert und blubbert, Rhythmen taumeln und zucken, Emotionen und Elemente toben. Alldem möchte man gern wieder begegnen – vorzugsweise im Konzertsaal. „Die Weiden“an der Staatsoper: 11., 14., 16., 20. 12., 19 Uhr Infos unter: www.wiener-staatsoper.at