Russland: Ist ein Comeback möglich?
Börse. Einmal sind es die Sanktionen, einmal ist es der Ölpreis, und immer die Geopolitik. Die russische Börse wird dauergebeutelt. Dass sie am Freitag wieder kräftig anzog, muss noch kein Ausbruch sein. 2019 nämlich verheißt nichts Gutes.
Die Welt braucht Russland, und Russland braucht die Welt. Eine These, die in Zeiten des Isolationismus paradox erscheint. Die aber andererseits genau in diesen Zeiten auch erhärtet wird. Nehmen wir die Entscheidung der Opec vom Freitag, die Ölproduktion zu kürzen, um den Preis zu stabilisieren. Hätte Russland nicht mitgezogen, wäre nichts daraus geworden. Und würde umgekehrt die globale Wirtschaft nicht so gut laufen, wäre die russische noch mehr im Eck, als sie aus diversen Gründen ohnehin ist.
So springen auch temporäre Euphoriemomente an den globalen Börsen bis nach Moskau über. So geschehen nach dem G20-Gipfel vor einer Woche: Der in Dollar denominierte russische Leitindex RTS, der heuer durch Dauererschütterungen eine Nullperformance aufweist und noch immer über 50 Prozent unter dem Allzeithoch vor der Finanzkrise notiert, startete die Vorwoche mit über drei Prozent im Plus. Der Abverkauf folgte auf den Fuß, ehe der Index am Freitag infolge der Einigung mit der Opec wieder zulegte.
Die Belastungen
Diese Momente lassen immerhin für kurze Zeit vergessen, was das Börsengeschehen im flächengrößten Staat der Welt seit Langem belastet, den Rubel unter Druck hält und die Gesamtwirtschaft nicht aufblühen lässt: die Isolation des Landes durch die westlichen Sanktionen, die Dauerangst vor neuen Sanktionen und die strukturellen Schwächen der Wirtschaft, die sich im Griff dirigistischer Hardliner befindet und an der jahrelangen Reformverschleppung laboriert.
Kreml-Chef Wladimir Putin zeichnet die wirtschaftliche Lage dennoch positiv. Neulich erklärte er, dass sich die Wirtschaft an die Schwierigkeiten anpasse und „sich sicher fühlt“, wobei das aber nicht ausreiche, um das Wohlstandsniveau wesentlich zu heben. Punkt eins und drei davon stimmen. Punkt zwei zu Sicherheit und Stabilität wirft Fragen auf.
Zwar liegt die Arbeitslosigkeit unter fünf Prozent und die Inflation historisch tief unter vier Prozent. Aber das BIP-Wachstum wird im Gesamtjahr wohl maximal 1,8 Prozent erreichen. Nach der ölpreis- und sanktionsbedingten Rezession von 2015 und 2016 bleibt die Erholung also schwach. Russland sei in den vergangenen zehn Jahren in ein „Stagnationsloch“gefallen, sagte dieser Tage Ex-Finanzminister Alexej Kudrin, seit Kurzem Chef des Rechnungshofs.
Neben den strukturellen internen Hürden leidet Russland weiter unter den Sanktionen. Gerade die Verschärfungen seit April und August und die Androhungen weiterer Strafmaßnahmen verhindern eine Entfesselung. Dies treibt nicht nur die Inflation wieder an, weshalb die Zentralbank den Leitzins am 14. September zum ersten Mal seit Dezember 2014 wieder – um einen Viertelpunkt auf 7,5 Prozent – erhöht hat. Es lastet auch auf dem Rubel, der trotz dem bis Anfang Oktober hohen Ölpreis unter Druck blieb. Seit der Zeit vor der Krim-Annexion hat er zum Dollar den halben Wert verloren.
Gewiss, die RubelAbwertung hat auch Vorteile, da sie externe Schocks abfe- dert. In Kombination mit einem relativ hohen Öl- preis wird sie gar zum Segen für die exportorientierten Branchenkonzerne. Und dem zweiten, in Rubel denominierten Börsenleitindex brachte sie heuer sogar ein Kursplus von über 15 Prozent.
Hartes Jahr . . .
Das künftige Problem für den russischen Aktienmarkt ist jedoch, dass mit 2019 ein makroökonomisch richtig schwieriges Jahr bevorsteht. Die Moskauer Higher School of Economics prognostizierte soeben, dass sich das BIP-Wachstum auf 1,3 Prozent abbremse. Die Hauptrisken dafür liegen in einem Rückgang des Exports, da sich die globale Konjunktur verlangsame. Weitere Risken bestünden in der Erhöhung der Mehrwertsteuer. Vor diesem Hintergrund haben die internationalen Investoren ihr Engagement in
Russland zu- letzt zurückgefahren. In der vorvorigen Woche flossen 180 Millionen Dollar aus den in Russland investierten Fonds ab – ein Rekordvolumen in den vergangenen fünf Monaten, wie BCS Global Markets errechnete.
. . . mit einigen Chancen
Was theoretisch immer für russische Aktien spricht, ist das extrem niedrige Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das bei gut fünf liegt. Solang allerdings der für das Land notorische Risikomix besteht, wird auch das KGV nicht anspringen.
Einer Umfrage der russischen Agentur Prime unter Analysten zufolge erwarten diese für Dezember im Schnitt ein Minus des RTS-Index von 0,9 Prozent. Denn der Ölpreis werde trotz Opec-Einigung nicht so schnell wieder auf die heuer erreichten 80 Dollar je Barrel zurückkehren.
Aber das Opec-Treffen könne gerade den Öl- und Gaskonzernen, speziell Rosneft, Lukoil, Novatek und Gazprom, einen Impuls geben, schreibt Alfa Bank Research. Und von einer etwaigen Entspannung im US-chinesischen Streit würden russische Metallurgiekonzerne profitieren.
Einer, der von den sensationellen Palladiumpreisen profitiert, ist der weltgrößte Produzent Norilsk Nickel. Und Großinvestoren engagierten sich zuletzt beim Gold- und Silberproduzenten Polymetal, der nun in den MSCI Russia Index aufgenommen worden ist.
Als einer der Favoriten gilt weiter die allseits privilegierte Sberbank, Russlands größte und staatliche Bank. Sie trägt freilich auch ein erhöhtes Risiko, sollte es zu neuen Sanktionen kommen.
Generell hat die russische Börse den Bonus, dass dort so hohe Dividendenrenditen wie sonst kaum irgendwo auf der Welt winken.