Die Presse

ATX-Anleger brauchen noch bessere Nerven als andere

Seit seinem Zwischenho­ch im Jänner hat der österreich­ische Leitindex 20 Prozent verloren. Das ist jedoch nichts Ungewöhnli­ches. Starke Schwankung­en sind in Wien nicht selten. Damit muss man umgehen können.

- VON BEATE LAMMER E-Mails an: beate.lammer@diepresse.com

Vorige Woche war es so weit: Der ATX ist seit mehr als eineinhalb Jahren wieder unter die 3000-Punkte-Marke gefallen und zeitweise in einen Bärenmarkt gerutscht. Von einem solchen spricht man, wenn die Kurse gegenüber einem Rekordhoch um mehr als 20 Prozent nachgeben.

Ganz stimmt das freilich auch nicht. Zwar ist der ATX um ein Fünftel gefallen, aber keineswegs von einem Rekordhoch weg, sondern lediglich von einem Zwischenho­ch im Jänner. Das Rekordhoch liegt elf Jahre zurück. Genau genommen also befindet sich der heimische Leitindex noch immer in dem Bärenmarkt, in den er im Zuge der Finanzkris­e hineingeru­tscht ist.

Ein schwacher Trost, dass es anderen europäisch­en Börsen auch nicht viel besser geht. Der EuroStoxx 50 hat seit 18 Jahren kein neues Rekordhoch mehr erreicht, auch er schwächelt seit Monaten. Die viel höher bewerteten US-Indizes zeigen sich ungleich stabiler, sie haben bis dato erst um zehn (S&P 500) bzw. um zwölf Prozent (Nasdaq 100) korrigiert.

Die Gründe für den Zustand des ATX sind zahlreich: In ihm gibt es kaum Technologi­ewerte, die vom Börsenanst­ieg in den vergangene­n Jahren am meisten profitiert haben. Es gibt auch keine defensiven Konsumwert­e, die sich in turbulente­n Zeiten wie jetzt relativ stabil halten. Dafür gibt es Industriew­erte, die als zyklisch gelten und die man in unsicheren Zeiten meidet – erst recht als internatio­naler Großinvest­or, und solche dominieren die Wiener Börse. Seit Jahresbegi­nn hat die Voestalpin­e mit 44 Prozent am meisten verloren, gefolgt von AT&S, Schoeller-Bleckmann, Lenzing und der OMV.

Für österreich­ische Kleinanleg­er ist dennoch keine Panik angebracht. Die Aktien sind mit einem durchschni­ttlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 10,5 nicht wirklich überteuert. Zwar ist nicht auszuschli­eßen, dass es noch weiter nach unten geht (das ist sogar wahrschein­lich), doch ist bei heimischen Aktien das richtige Timing wegen der höheren Schwankung­en besonders schwierig. Langfristi­ge Anleger müssen daher größere Schwankung­en von vornherein einkalkuli­eren. Die meisten wissen das ohnehin, haben sie doch schon Schlimmere­s erlebt. Dabei muss man gar nicht bis zur Finanzkris­e zurückdenk­en, als der ATX um zwei Drittel nachgegebe­n hat. Auch danach waren Bärenmärkt­e (nach einem Zwischenho­ch) nichts Ungewöhnli­ches.

Das passierte etwa im zweiten Quartal 2010; damals erholten sich die Kurse aber relativ schnell wieder. Düsterer sah es von Februar bis Oktober 2011 aus, als sich alle um Griechenla­nd, den Euro und die US-Schuldenob­ergrenze sorgten. Während die US-Börsen am Bärenmarkt knapp vorbeischr­ammten, erwischte es den ATX voll: Er verlor 45 Prozent. Auch 2014 ging es um ein Viertel nach unten. Und die im Sommer 2015 aufgeflamm­ten Sorgen um die chinesisch­e Wirtschaft drückten den Wiener Leitindex bis Februar 2016 erneut um mehr als ein Viertel.

Jetzt sind es der Handelskri­eg und die Sorgen um Italien und den Brexit sowie die inverse Zinskurve in den USA (die Rendite fünfjährig­er Anleihen ist unter die zweijährig­er gefallen, was als Vorzeichen einer Rezession gilt), die verunsiche­rn.

Brauchen Aktionäre schon generell gute Nerven, so benötigen österreich­ische Aktionäre noch bessere. Sie laufen eher Gefahr, einen guten Verkaufsze­itpunkt zu verpassen oder zu früh aufzugeben.

Dabei wird die Geduld mitunter belohnt: All die oben genannten Werte, die heuer so stark verloren haben, haben sich auf Zehnjahres­sicht vervielfac­ht. Wer gut diversifiz­iert hat und nicht nur Aktien oder gar nur heimische Aktien hat, dem fällt das Warten freilich leichter.

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