Mutter gepflegt, Frau vernachlässigt: Keine Eheverfehlung
Scheidung. Wer der Mutter des Partners nicht hilft, muss akzeptieren, dass dieser es oft tut.
Der Mann sei schuld am Scheitern der Ehe, weil er sich zu sehr um die Betreuung seiner Mutter gekümmert habe. Zu diesem Schluss kamen in einem Scheidungsstreit die ersten beiden Gerichtsinstanzen. Aber kann man jemandem wirklich vorwerfen, dass er den Ehepartner wegen der Pflege eines Elternteils vernachlässigt hat? Der Oberste Gerichtshof (OGH) sah sich gezwungen, einige Klarstellungen in diesem Punkt zu treffen.
25 Jahre lang war die Ehe harmonisch verlaufen. Dann starb der Vater des Mannes. Der Mann begann, sich intensiv um seine hochbetagte Mutter zu kümmern. Bis zu fünfmal pro Woche besuchte er sie. Dabei blieb er zwei bis drei Stunden, manchmal auch noch länger, bei seiner Mutter. Er brachte seine Mutter zum Arzt, zum Friseur oder zum Einkaufen und erledigte Arbeiten rund um ihr Haus.
Der Ehe tat das nicht gut. Hatten die beiden Partner früher noch gemeinsam Sport betrieben, fanden nun kaum noch Gespräche zwischen den Eheleuten statt. Bei der Ehefrau habe sich eine Eifersucht gegenüber der Schwiegermutter entwickelt, sollten später die Gerichte konstatieren.
Umgekehrt behandelte der Mann die Frau zunehmend interesselos, seine Zärtlichkeiten beschränkten sich auf einen Abschiedskuss in der Früh. Beim Thema Geschlechtsverkehr blockte dann wiederum die Frau ab. Selbst im Urlaub wurde die Stimmung nicht besser: Die Partner saßen auf der Terrasse des Hotels und schwiegen sich gegenseitig an.
Zu Weihnachten eskalierte ein Konflikt zwischen dem Mann und der gemeinsamen Tochter der Eheleute. Der Vater war schon länger nicht mit dem Lebensstil seines Kindes einverstanden. Ab diesem Zeitpunkt war für die Ehefrau klar, dass sie die Scheidung wollte. Sie sagte das dem Mann aber nicht, weil er einmal schon gemeint hatte, er würde „eher die Bude abfackeln“, als sich scheiden zu lassen. Überhaupt charakterisierten die Gerichte den Mann als „Person mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur“, die Fehler nicht eingestehen könne. Die Frau wurde als „eher besonnene und ruhige Person“beschrieben.
Rund drei Monate nach dem Weihnachtsstreit zog der Mann aber von sich aus unangekündigt aus der Ehewohnung aus. Er ertrage sie nicht länger, ließ der Mann die Frau noch schriftlich wissen.
Der nächste Akt fand schon vor dem Scheidungsrichter statt. Das Bezirksgericht Graz-Ost kam zum Schluss, dass der Mann allein schuld am Scheitern der Ehe sei. Er habe sich in weit übertriebenem Maß um seine Mutter gekümmert, sich aus dem Familienverband zurückgezogen und sei seiner Frau nicht mehr so begegnet, wie man es als Ehemann sollte. Unter diesen Umständen könne man der Frau nicht vorwerfen, dass sie den Mann nicht bei der Betreuung der Mutter unterstützen wollte.
Für die Scheidungsfolgen (etwa den Unterhalt) ist entscheidend, wer das Ende der Ehe verursacht hat. Das Grazer Landesgericht für Zivilrechtssachen bestätigte, dass der Mann schuld sei.
Der OGH aber sah die Sache mit der Pflege anders. Der Mann sei „mit der Betreuung seiner betagten Mutter einer rechtlichen und moralischen Verpflichtung nachgekommen, die er nicht selbst gewählt hat, sondern die ihm schicksalhaft auferlegt wurde“, erklärten die Höchstrichter. Und die Ehefrau wäre verpflichtet gewesen, bei der Pflege der Schwiegermutter mitzuhelfen. „Ein Gatte, der dem anderen in dieser Situation eine tätige Mithilfe verweigert, kann ihm nicht gleichzeitig vorwerfen, dass er dann auf sich allein gestellt mehr Zeit für seine Aufgabe aufwenden muss“, sagte der OGH.
Die Höchstrichter (8 Ob 111/ 18h) trugen der Unterinstanz daher auf, noch einmal unter dem neuen Blickwinkel zu prüfen, ob der Mann zu viel Zeit bei der Mutter verbracht habe. Auch Details zu gemeinsamen Aktivitäten in der Ehe und den Konflikten müssten noch genauer geklärt werden. Erst dann könne man sagen, wer am Scheitern der Ehe schuld war.