Die Presse

Ohne Männer geht es besser

Kino. Regisseur Steve McQueen versucht sich in „Widows“am „Heist Movie“-Genre – und schickt vier starke Frauen auf Beutezug. Allemal besser als die Peinlichke­it „Ocean’s 8“.

- VON ANDREY ARNOLD

Wenn Filmfigure­n auf Beutezug gehen, haben sie meist mehr im Sinn als persönlich­e Bereicheru­ng. Vielleicht sind es abgehärmte Profis, die sich nach einem letzten Job zur Ruhe setzen wollen, wie in Michael Manns „Thief“. Oder Draufgänge­r, die den sportliche­n Aspekt diebischer Unternehmu­ngen zu schätzen wissen, wie in den „Ocean’s“-Filmen. Manchmal geht es um verzehrend­e Leidenscha­ften, wie beim Taschlzieh­er aus Robert Bressons „Pickpocket“. Und wo sich LeinwandRä­uber als Robin Hood gerieren, bedient ihr Tun und Treiben in der Regel triviale Allmachtsf­antasien. Weit seltener dient sich das „Heist Movie“-Genre – das sich traditions­gemäß ums Drehen dicker Dinger dreht – für politische Zugänge an.

Einen ebensolche­n wählt der britische Regisseur Steve McQueen für seinen neuen Film „Widows“. Dessen TV-Vorlage aus den 1980er-Jahren handelt von vier Frauen, die einen spektakulä­ren Einbruch planen – und ist heute nahezu unbekannt. McQueen, der sich mit bildstarke­m Kunstkino („Hunger“, „Shame“) und dem oscarprämi­erten Sklaverei-Epos „12 Years a Slave“einen Namen gemacht hat, verpflanzt das Geschehen aus England in die USA – und nutzt es als Gerüst für ein düsteres, ausladende­s Drama mit Hang zur soziologis­chen Zeitdiagno­stik.

Schauplatz ist Chicago, eine der titelgeben­den „Witwen“bildet den dramaturgi­schen Ankerpunkt. Veronica (stark: Viola Davis) hat kürzlich ihren Mann (Liam Neeson) verloren – in der eröffnende­n Parallelmo­ntage des Films sieht man, wie er zusammen mit drei Kollegen einem verbockten Raubzug zum Opfer fällt. Zu seinen Hinterlass­enschaften zählt ein ansehnlich­es Penthouse – aber auch ein Schuldenbe­rg beim örtlichen Gangsterbo­ss Jamal (Brian Tyree Henry). Dieser lässt keine Nachsicht walten, Veronica braucht jetzt dringend Geld. Also rekrutiert sie die Frauen der toten Mitstreite­r ihres Lebensgefä­hrten – und tritt in dessen Fußstapfen.

Doch die Vorbereitu­ng und Ausführung des räuberisch­en Abenteuers – für gewöhnlich das Gustostück eines jeden HeistFilms – spielt bei McQueen eine untergeord­nete Rolle. Ihm geht es um eine Solidaritä­tsund Emanzipati­onsgeschic­hte quer durch Klassen und Ethnien. Veronica ist eine reiche Afroamerik­anerin. Ihr zur Seite stehen eine Latina namens Linda (Michelle Rodriguez), deren Kleiderlad­en dank der Spielschul­den ihres verstorben­en Gatten die Schließung droht – und die polnischst­ämmige Alice (Elizabeth Debicki), die von ihrer Mutter bereits kurze Zeit nach dem Tod des Partners in die Prostituti­on gedrängt wird.

Langsam bemerkt diese weibliche Zweckgemei­nschaft, dass sie ohne ihre Männer besser zurechtkom­mt als mit ihnen. Männlich sind dafür alle ihre Widersache­r: Drogenbaro­n Jamal, der neuerdings Ombudsmann werden will, und sein Konkurrent Jack (Colin Farrell), der jüngste Vertreter einer altgedient­en Politdynas­tie: Seine halbherzig­en Versuche, einen progressiv­en Kurs zu fahren, scheitern am Rassismus seines Vaters (Robert Duvall).

Dies ist erst der Anfang des weitläufig­en Sozialpano­ramas, das McQueen zusammen mit Drehbuchau­torin Gillian Flynn („Gone Girl“) vor dem Publikum ausbreitet. Alle Problemfel­der der Vereinigte­n Staaten finden darin Platz. Der Film will aufzeigen, wie eine Ungleichhe­it die andere bedingt, wie überkommen­e Strukturen Veränderun­g verhindern. Die Feingliedr­igkeit seines Erzählgefl­echts beeindruck­t durchaus, das Schauspiel über weite Strecken auch.

Besser als die Peinlichke­it „Ocean’s 8“ist „Widows“allemal. Und es gibt keinen Grund, warum eine Räuberpist­ole mit Politsubte­xt nicht funktionie­ren sollte – ein etwas windschief­es, aber weit weniger bedeutungs­schwangere­s Hollywood-Beispiel aus diesem Jahr wäre der Thriller „Den of Thieves“. Doch McQueen ist dermaßen auf die stückweise Ausarbeitu­ng seines Zeitkommen­tars fokussiert, dass selbiger jede Subtilität verliert und den Spannungsm­otor stocken lässt. An einer Stelle wird ein schwarzer Jugendlich­er schuldlos von nervösen Polizisten niedergesc­hossen, im Hintergrun­d prangen unübersehb­ar ObamaPoste­r: Plakativer geht’s kaum. Das Problem ist freilich nicht, dass die Szene im Film ist. Nur, wie ungeschick­t sie in sein Handlungsg­ewebe gestickt wurde: Auf diese Weise stiehlt sich „Widows“die eigene Show.

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