Die Presse

Macron bittet um zweite Chance

Analyse. Mit einer Fernsehred­e hoffte Frankreich­s Präsident Macron die „Gelbwesten“besänftige­n zu können. Der finanziell­e Spielraum, um sozialen Frieden zu erkaufen, ist jedoch begrenzt.

- Von unserem Korrespond­enten RUDOLF BALMER

Mit einer Fernsehred­e hoffte Frankreich­s Präsident, die „Gelbwesten“besänftige­n zu können. Der finanziell­e Spielraum ist begrenzt.

Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron bittet die Nation, ihm eine zweite Chance zu geben. Nach einem mehrwöchig­en Konflikt mit den „Gelben Westen“hat sich die Lage bis an den Rand eines Volksaufst­ands zugespitzt. Seine eigene Glaubwürdi­gkeit und Popularitä­t ist auf einen Tiefpunkt gesunken. Auf den Demonstrat­ionen verlangen die aufgebrach­ten Bürger in ihren gelben Warnwesten längst nicht mehr nur eine Senkung der Abgaben auf Treibstoff oder mehr Kaufkraft, sie fordern den Kopf des Staatsober­haupts.

Für Macron geht es darum, seine Amtszeit bis 2022 über die Runden zu retten. Und ob das gelingt, ist nicht garantiert. Der Preis für ein Einlenken oder eine Beruhigung ist von Woche zu Woche gestiegen. Das hat sich der Präsident, der sich in Schweigen hüllte und auf Zeit spielen wollte, selber zuzuschrei­ben. Seiner Regierung war es weder gelungen, mit ersten Zugeständn­issen wie dem Verzicht auf eine Erhöhung der Treibstoff­abgaben am 1. Jänner die Forderunge­n zu erfüllen, noch mit harter Hand Ruhe und Ordnung im Land wiederherz­ustellen.

Der Präsident konnte sich nicht länger hinter seinem exponierte­n Premiermin­ister verbergen. Die „Gelbwesten“richten ihre Reklamatio­nen an ihn, weil sie ihn verantwort­lich machen für alle Ungerechti­gkeiten, über die sie klagen. Noch am Montagmorg­en hat sich der Staatschef mit den Sozialpart­nern der Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er, mit den Präsidente­n der Nationalve­rsammlung und des Senats und befreundet­en Politikern getroffen, um mit ihnen einen Ausweg

AUF EINEN BLICK

Die Proteste der Gelbwesten entzündete­n sich an der Erhöhung der Dieselsteu­er, die am 1. Jänner in Kraft treten hätten sollen. Mittlerwei­le hat die französisc­he Regierung die Öko-Maßnahme um ein ganzes Jahres verschoben. Doch die Demonstran­ten hat dieses Zugeständn­is nicht beruhigt. 136.000 Menschen gingen am Samstag erneut auf die Straße, wieder kam es zu Ausschreit­ungen. Die Gelbwesten verlangen die Senkung aller Steuern sowie eine Erhöhung der Mindestlöh­ne und der Pensionen. aus der Krise zu diskutiere­n. Mit diesen eilends einberufen­en Sondierung­sgespräche­n wollte der Präsident zeigen, dass er nicht isoliert sei, sondern durchaus auf andere hört, auch wenn sie ihm dringend eine soziale Wende oder wenigstens eine faire Verteilung der Sparanstre­ngungen nahelegen.

Senkung der Einkommens­teuer

All diesen Ratgebern ist bewusst, dass Macron nicht mit spektakulä­ren großzügige­n Gesten aus dem Vollen schöpfen kann, wenn er den Staatshaus­halt nicht total aus dem Lot bringen will. Eine mehr als symbolisch­e Erhöhung des gesetzlich­en Minimalloh­ns oder der Altersrent­en beispielsw­eise oder moderate Senkung der Einkommens­teuer erscheint aus der Sicht der Buchhaltun­g der Nation nicht vernünftig. Andere bezahlen zu lassen, ist auch nicht einfach: Die Unternehme­n, die es vermögen, sollen den Arbeitnehm­ern eine außerorden­tliche Gehaltsprä­mie gewähren und für dieses Weihnachts­geld keine Abgaben oder Sozialbeit­räge entrichten. Nicht alle Arbeitgebe­r sind bereit, die Rechnung für das zerschlage­ne Porzellan der Staatsführ­ung zu begleichen.

Noch bevor sich Macron im Fernsehen an die Nation richten konnte, wurden im Internet bereits Aufrufe zur nächsten Auflage der Steuerrevo­lte der Gelbwesten publiziert. Zweifellos sollte so mit der Drohung mit einem weiteren, womöglich noch schlimmere­n Chaos-Samstag in Paris

und in der Provinz der Druck auf die Staatsführ­ung noch vergrößert werden. Frankreich und seine Hauptstadt stehen noch unter dem Schock der gewaltsame­n Krawalle, am Montag waren auf den Straßen von Paris nicht alle Spuren der Plünderung­en, Sachbeschä­digungen und Konfrontat­ionen mit der Polizei beseitigt.

Die Aussicht, dass sich ähnliche Zwischenfä­lle ein drittes Mal wiederhole­n, erscheint der Bevölkerun­g beängstige­nd, für die Geschäftsl­eute, deren Kaufhäuser oder Boutiquen aus Angst vor Verwüstung­en und Plünderung­en mitten im Weihnachts­geschäft geschlosse­n bleiben mussten, ist der Konflikt eine Katastroph­e. Der Konflikt hat nach Angaben des Wirtschaft­sministers, Bruno Le Maire, bereits 0,1% BIP-Wachstum gekostet, und mit dem bereits letzte Woche zugestande­nen Verzicht auf die Erhöhung der Öko-Steuer auf Diesel und Benzin werden der Staatskass­e vier Milliarden Euro Einnahmen fehlen. Das ist die Kehrseite des Aufstands gegen die Steuerlast.

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