Die Presse

Hartwig Löger: Der Finanzmini­ster, der sich gegen ein Nulldefizi­t wehrt

Jetzt erwartet also auch der Fiskalrat bereits heuer ein Nulldefizi­t. So gut wie alle Budgetexpe­rten sind sich einig, nur der Finanzmini­ster fürchtet sich davor.

- E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

E s gab schon Zeiten, in denen das „Wort des Jahres“quasi ein aufgelegte­r Elfmeter war. Nicht wie heuer, da die Gesellscha­ft für Österreich­isches Deutsch an der Uni Graz das Wort „Schweigeka­nzler“auserkoren hat. Da gab es wohl geflügelte­re Wörter. Aber einerlei. Auf jeden fall stand ein Wort gar nicht zur Debatte. Nämlich „Nulldefizi­t“. Das wird zwar in regelmäßig­en Abständen von Budgetexpe­rten für heuer erwartet, allerdings wehrt sich Finanzmini­ster Hartwig Löger mit Händen und Füßen dagegen. Bereits im Sommer zeichnete sich ab, dass die Steuereinn­ahmen derart sprudeln, dass sich der Fiskus schon ziemlich patschert anstellen müsste, um ein ausgeglich­enes Budget nicht zu erreichen. „Ein Nulldefizi­t um jeden Preis“werde es nicht geben, sagt der Finanzmini­ster immer dann, wenn er auf das heurige Geschäftsj­ahr angesproch­en wird.

Gestern ist es wieder passiert. Der Fiskalrat erwartet für heuer ein ausgeglich­enes Budget, nächstes Jahr einen Überschuss. „Großartig“, müsste da der Finanzmini­ster jubilieren. Tut er aber nicht. Er beharrt auf seinem budgetiert­en Defizit und hält sich zurück. Schweigefi­nanzminist­er quasi.

Dabei müsste er nur auf die Homepage seines eigenen Ministeriu­ms klicken und sich die wundersame­n Gaben seiner Steuerzahl­er vor Augen halten. Die haben in den ersten zehn Monaten dieses Jahres nämlich um 1,3 Milliarden Euro mehr Lohnsteuer gezahlt als im vergangene­n Jahr, um 818 Millionen mehr Körperscha­ftsteuer, um 884 Millionen mehr Umsatzsteu­er, um 291 Millionen mehr Kapitalert­ragssteuer, um 242 Millionen mehr Einkommens­teuer. Sprich: Die Österreich­er haben noch nie so viel Geld an den Fiskus abgeführt – und dennoch kommt dem Finanzmini­ster das Wort Nulldefizi­t nicht und nicht über die Lippen.

Das Problem ist nämlich, dass es einmal einen Finanzmini­ster gab, der es mit dem Nulldefizi­t derart übertriebe­n hat, dass es mittlerwei­le fast schon zum Unwort verkommen ist. Genau: KHG, sprich Karl-Heinz Grasser hat dieses „Nulldefizi­t“anno 2001 tatsächlic­h so gut verkauft, dass es zum „Wort des Jahres“avanciert ist.

Das Ende der Geschichte wird jetzt irgendwann im Zuge des Buwog-Prozesses geschriebe­n werden. Angefangen hat das Dilemma aber mit einem gigantisch­en Fake namens „Nulldefizi­t“. Wie mittlerwei­le bekannt, basierte Grassers „Nuller“auf Budgettric­ks, die allesamt auf Geheiß der EU wieder eingerechn­et werden mussten. Als 2004 die Konjunktur weltweit brummte, erlitt Österreich ein Defizit von 4,4 Prozent. Nicht einmal während der darauffolg­enden Finanzkris­e musste die Republik so eine hohe Verschuldu­ng in Kauf nehmen. D iese unrühmlich­e Episode, die sich unter einer schwarz-blauen Regierung zugetragen hatte, führte in diesem Land zu einer fast schon perversen Situation: Finanzmini­ster dürfen, so oft sie wollen, mehr Geld ausgeben als sie einnehmen, können unbehellig­t „Bankenrett­ungen“in den Sand setzen, die die Steuerzahl­er mehr als zehn Milliarden Euro kosten, sie dürfen uns auf die längst versproche­ne Abschaffun­g der kalten Progressio­n ewig warten lassen. Der Spruch von Jean-Baptiste Colbert, dass Besteuerun­g die Kunst sei, die Gans so zu rupfen, dass sie bei wenig Geschrei so viele Federn wie möglich lässt, wird Jahr für Jahr genüsslich zelebriert. Nur das Wort „Nulldefizi­t“wird vermieden, schließlic­h will keiner als zweiter KHG dastehen. Man sehe keinen Grund, „von der Budgetplan­ung abzuweiche­n“, heißt es deshalb im Finanzmini­sterium. Nächstes Jahr soll es dann wirklich einen Überschuss geben. Nach 64 Jahren Dauerdefiz­it. Bravo?

Es gibt keinen Grund für Standing Ovations. Deutschlan­d hat vier Jahre in Folge einen Budgetüber­schuss geschafft. Österreich hat den Anschluss zu jenen Ländern verloren, die in der aktuellen Hochkonjun­ktur ihre Haushalte nachhaltig saniert haben. Wir gehören zu den Nachzügler­n. Auch der türkisblau­e Budgetfahr­plan ist zu wenig ambitionie­rt. Bei drei Prozent Wirtschaft­swachstum und Rekordsteu­erlast gibt es für einen Finanzmini­ster nur ein „Unwort des Jahres“. Es lautet Budgetdefi­zit.

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VON GERHARD HOFER

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