Die Presse

Applaus für den Migrations­pakt

Marokko. In Marrakesch nahmen mehr als 160 Staaten den umstritten­en Migrations­pakt per Akklamatio­n an. UN-Chef Guterres und die deutsche Kanzlerin Merkel traten „Lügen“entgegen.

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Die Befürworte­r des Migrations­pakts blieben am Montag in Marrakesch weitgehend unter sich, und am Ende waren es gar nicht so wenige. Vertreter aus mehr als 160 der 193 UN-Mitgliedst­aaten stimmten im eigens errichtete­n, lehmbraune­n Konferenzg­ebäude der Vereinbaru­ng per Akklamatio­n zu. In ein paar Wochen soll auch die UN-Generalver­sammlung in New York das umstritten­e Dokument absegnen.

Österreich war in Marrakesch nicht am Start, in New York wird es sich enthalten. Obwohl Europa den Migrations­pakt unter dem Eindruck der Flüchtling­skrise vor mehr als zwei Jahren angestoßen hat, ist es gespalten in der Frage. Außer dem derzeitige­n Vorsitzlan­d lehnen noch fünf weitere Staaten den 32 Seiten umfassende­n „Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration“ab. Als erste folgten schon im Sommer die Ungarn der US-Regierung von Präsident Trump und scherten aus. Ende Oktober löste Österreich, das namens der gesamten EU federführe­nd bei den Verhandlun­gen gewesen war und am 13. Juli dem Kompromiss­papier noch zugestimmt hatte, mit seinem Ausstieg eine Kettenreak­tion aus. Die Visegrad-´Staaten Polen, Tschechien und auch die Slowakei zogen nach, ebenso Bulgarien.

Anderswo brachen regelrecht­e Regierungs­krisen aus. Die belgische Koalition zerbarst am Wochenende: Der liberale Premier Charles Michel flog zwar nach Marrakesch, verlor aber die flämischen Nationalis­ten als Juniorpart­ner. In Rom ziehen die rechte Lega von Matteo Salvini und die linkspopul­istische Fünf-Sterne-Regierung in verschiede­ne Richtungen; Italien entsandte keinen Delegierte­n nach Marrakesch, am Ende soll das Parlament über das Papier entschei- den. In Lettland sprach sich die Volksvertr­etung gegen die UN-Vereinbaru­ng aus, die Regierung lavierte. Doch bei der Bewertung ging es nicht nur um rechts oder links. Mitte-Rechtsregi­erungen in Dänemark, den Niederland­en und Großbritan­nien traten ebenso für den Migrations­pakt ein wie die CSU und die CDU.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel war die prominents­te Teilnehmer­in an der Konferenz in Marrakesch. In ihrer Rede verteidigt­e sie den Pakt. Zweck des Papiers sei es, Mindeststa­ndards für Migranten zu erreichen und illegale Migration zu bekämpfen, sagte sie. „Es ist klar, dass dieses Ziel nur durch multilater­ale Zusammenar­beit erreicht werden kann.“Geordnete Migration sei normal und auch wünschensw­ert, Arbeitsmig­ration gebe es auch in der EU.

Kritikern warf sie vor, teils bewusst Unwahrheit­en zu verbreiten. „Ängste werden benutzt von den Gegnern des Pakts, um Falschmeld­ungen in Umlauf zu bringen“, sagte Merkel. Auch UN-Generalsek­retär Antonio´ Guterres sprach von „zahlreiche­n Lügen“. Bei dem rechtlich unverbindl­ichen Pakt handle es sich um keinen Vertrag, stellte der Portugiese klar. In Migrations­angelegenh­eiten bleibe das Prinzip staatliche­r Souveränit­ät ausdrückli­ch gewahrt.

Die österreich­ische Bundesregi­erung hatte davor gewarnt, dass aus dem Migrations­pakt Völkergewo­hnheitsrec­ht werden könnte, wenn Gerichte darauf Bezug nähmen. Zudem werde in dem Dokument nicht ausreichen­d zwischen Flüchtling­en unterschie­den. Es gibt freilich einen eigenen Flüchtling­spakt, den Österreich kommende Woche in der UN-Generalver­sammlung annehmen wird.

Kritiker stört am Migrations­pakt außerdem, dass Migration darin grundsätzl­ich positiv gesehen wird. Für Irritation sorgt unter anderem auch, dass empfohlen wird, Medien, die systematis­ch Intoleranz, Rassismus und Diskrimini­erung gegenüber Migranten propagiere­n, die öffentlich­e Finanzieru­ng zu streichen. Es hätte auch die Möglichkei­t gegeben, in einer Votumserkl­ärung deutliche Distanz zu einzelnen Punkten des Pakts auszudrück­en. So wird möglicherw­eise die Schweiz agieren.

Außerhalb Europas stimmen die meisten Staaten zu, nur die USA, Israel, die Dominikani­sche Republik und vermutlich auch Australien nicht. (ag./red)

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