In Währing pulsiert Bernsteins New York
Musical. „Wonderful Town“, Leonard Bernsteins Hommage an seine Lieblingsstadt, lohnt sich in der Volksoper gleich mehrfach: Die Aufführung bietet eine überragende Hauptdarstellerin, Tempo und ganz eigenen Humor.
Wonderful Town“von Leonard Bernstein – kennen Sie nicht? Keine Sorge, das ist keine Bildungslücke, es ist das am wenigsten bekannte seiner Musicals. Die Volksoper hat Bernsteins 100. Geburtstag zum Anlass genommen, um dieses liebenswerte Stück auszugraben, das hier 1956 seine von Marcel Prawy initiierte deutschsprachige Erstaufführung erlebte. Es hat sich gelohnt – auf mehreren Ebenen.
Zuallererst ist Matthias Davids, Leiter der Musicalsparte des Linzer Landestheaters und an der Volksoper schon auf NischenMusicals abonniert, eine höchst temporeiche, schwungvolle Inszenierung gelungen, unterstützt von der oft handlungstragenden Choreografie von Melissa King und dem praktikablen, für schnelle Umbauten gemachten Bühnenbild von Mathias FischerDieskau. Im Stil der Screwball-Comedy der 40er-Jahre ist die Geschichte von zwei Landpomeranzen, die in New York künstlerisch Fuß fassen wollen und in Greenwich Village auf skurrile Typen stoßen, umgesetzt – mit flotten Szenen, ja, teils extremem Tempo in den Ensembleszenen, und vor allem mit viel Humor. Natürlich gibt es Hochtrabenderes als diese Story, aber sie ist sympathisch und witzig. Und natürlich funktioniert manches heute nur mehr als Parodie – beispielsweise der Schmachtfetzen „Ohio“– und als Hommage an vergangene Zeiten. Eine Dresdnerin bringt alle zum Lachen
Aber gerade dieser ganz eigene Humor macht „Wonderful Town“liebenswert – und dafür braucht es einen ganz besonderen Typ von Hauptdarstellerin. Was Wunder, dass Davids Sarah Schütz, die Ruth schon an der koproduzierenden Staatsoperette Dresden spielte, an die Volksoper mitnahm. Ihre Ruth beherrscht das Stück mit ihrem trockenen, herben, mit Sarkasmus getränkten Humor. Sie schwankt zwischen bissigen Pointen und Selbstzerfleischung und erinnert stark an Dorothy aus den „Golden Girls“. Sarah Schütz serviert jede Pointe mit scharfer Zunge und ist Garant dafür, dass manche Szenen, die absichtlich hart an der Grenze zum Klamauk angesiedelt sind, nie ganz abdriften. Köstlich, wie sie sich förmlich in sich selbst zusammenfaltet, als beim Dinner auf der engen Couch in der abgewohnten Einzimmer-Souterrainwohnung kein Platz mehr für sie ist. Gekonnt, wie sie teils mit kleinen Gesten oder Gesichtsausdrücken alle zum Lachen bringt. Und höchst glaubwürdig, wie sie (dank leichter Modernisierung durch den Regisseur) auch beim Liebes-Happy-End nicht in plötzliche Lieblichkeit verfällt, sondern toughe Frau bleiben darf.
Ihren Gegenpart findet sie in der ebenfalls aus Dresden importierten Olivia Delaure´ als Ruths Schwester Eileen, der die Männerherzen zufliegen, und die sich sogar im Gefängnis von den Polizisten wie eine Königin bedienen lässt. Sie begeistert mit quirligem Wesen, Charme und teils auch hohen Tönen nicht nur die Männerwelt.
Von den beiden Hauptdarstellerinnen abgesehen kann die Volksoper auf ein starkes Ensemble setzen, das die eigenwilligen, oft überzeichneten Figuren verkörpert: Drew Sarich ist als barscher, eher introvertierter Zeitungsredakteur Robert Baker, der Ruth erst unverblümt kritisiert und sich dann doch in sie verliebt, gegen den Strich und die Gewohnheiten seiner Fans besetzt, er überzeugt dennoch stimmlich wie darstellerisch. Peter Lesiak als ehemaliger College-Footballstar, der zwar Plisseefalten perfekt bügelt, aber seinen Spitznamen nicht buchstabieren kann, trug eine Beinschiene: kein Regieeinfall, sondern ein Unfall bei der Generalprobe. Sein agiles Spiel beeindruckt. Oliver Liebl zeigt als Frank Lippencott, der ständig Sonderangebote verschenkt, Talent zur Schrulligkeit. Ein homogenes Ensemble wird stark unterstützt von geschmeidigen, auf den Punkt agierenden Tänzern. Für Ohrwürmer fast zu anspruchsvoll
Weiterer Garant für Publikumserfolg: Bernstein. In nur einem Monat hat das Universalgenie die Musik zu „Wonderful Town“komponiert, da die für die Uraufführung 1953 vorgesehene Hauptdarstellerin, Rosalind Russell – auch anno dazumal wusste man schon um die Bedeutung derer, die Ruth verkörpern sollte, Bescheid –, nur für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung stand. Was Bernstein schuf, ist eine vielseitige Hommage an New York und an die goldene Broadway-Ära. Genuin amerikanische Musik, die für Ohrwurmcharakter teils zu anspruchsvoll ist, aber vom breiten Broadwaysound über schmissigen, pulsierenden Jazz bis zu volltönend-schwelgerischen Balladen vieles bietet.
Einmal mehr versteht man jene, die sich noch mehr Musicals von Bernstein gewünscht hätten, der sich eigentlich schon vor „Wonderful Town“ausschließlich dem Seriöseren verschreiben wollte. Schön, dass er es sich zumindest noch einmal anders überlegte – und dass das Musical vom VolksoperDebütanten James Holmes am Dirigentenpult mit viel Elan, aber auch, wenn nötig, viel Gefühl umgesetzt wird. Wer Tempo und Humor sucht: Ab zu „Wonderful Town“!