Schafft CDU den Erneuerungskurs?
Die Kür der neuen Parteichefin verlief vorbildlich, kann die Spaltung der Christdemokraten aber nicht kaschieren.
Die Christdemokraten haben einen erstaunlichen Erneuerungskurs eingeschlagen: Mit drei Kandidaten, die an Persönlichkeit und Profil nicht verschiedener sein könnten, ist die Partei angetreten, um eine neue Vorsitzende zu wählen. Bei nüchterner Betrachtung hätte die CDU dasselbe Schicksal ereilen können wie die Sozialdemokraten vor ihnen: eine Volkspartei, die angesichts der Herausforderungen, die sich der Politik heute stellen, auseinanderfällt, weil sie weder das Personal noch das Programm so auf die Straße bringen kann, dass es bei den Wählern verfängt.
Friedrich Merz, Repräsentant einer konservativeren, marktorientierten CDU; Annegret KrampKarrenbauer, frühere Ministerpräsidentin und bisherige Generalsekretärin der Partei; Jens Spahn, noch nicht einmal 40-jähriger Jungstar der Partei, der im Vorstand sitzt und als Minister das Gesundheitsressort leitet – es gab wirklich eine Auswahl: von einer homophoben Kramp-Karrenbauer bis zum homosexuell verheirateten Spahn.
Dass Spahn es nicht wurde, mag ihn nicht grämen. Er ist jung und „papabile“für alle möglichen Ämter. In der Tat könnte es kommen, dass Spahn die Einheit aus Konservativem und Liberalem verkörpert, die den Christdemokraten derzeit fehlt. Denn über eines können die hervorragende Kandidatenkür und der vorbildliche Wahlkampf nicht hinwegtäuschen: Das knappe Wahlergebnis (48,25 Prozent für Merz, 51,75 für AKK) zeigt, wie zerrissen die CDU nach 18 Jahren Angela Merkel wirklich ist.
Frau Kramp-Karrenbauer steht hier für Kontinuität, Herr Merz für Umbruch. Beinahe wäre der Politiktitan, der einstmals im Ringen um die Führung Angela Merkel unterlegen war, wie Phönix aus der Asche zu neuem politischem Leben auferstanden.
Die Delegierten haben sich, mit knapper Mehrheit, für Konti- nuität entschieden. Das ist typisch CDU, sagen manche, letztendlich gewann auch Parteiübervater Konrad Adenauer Wahlen mit dem Slogan: „Keine Experimente“. Gleichzeitig zeigt der „Merz-Faktor“aber, dass es mit Kontinuität allein nicht getan sein wird.
Die Hälfte der Delegierten möchte einen Kurs, der dezidiert anders, der das Gegenteil davon ist. Frau Kramp-Karrenbauer wird sich daher von Angela Merkel abgrenzen müssen, um nicht als Abziehbild verspottet zu werden. Das gilt vor allem im Hinblick auf die Flüchtlingspolitik.
Allerdings hat die Bundesrepublik ganz andere Baustellen als die Flüchtlingspolitik. Denn unter Frau Merkel wurde die Gesellschaft für 20 Jahre quasi in einem Zustand eingefroren: Die Kanzlerin mochte kein Einwanderungsgesetz, keine Ehe für alle, keine Legalisierung von Gras. Und das Digitale nannte die Politikerin, die der größten Volkswirtschaft Europas voransteht, „Neuland“.
Frau Kramp-Karrenbauer müsste erst einmal beweisen, dass sie den gesellschaftlichen Wandel, der vor sich geht, versteht, um ihn dann in einem nächsten Schritt politisch zu begleiten und zu gestalten.
In Deutschland ist der gesellschaftliche Zusammenhalt bedroht: Noch nie arbeiteten so viele Menschen im Niedriglohnsektor. Die Zukunft der Pensionen ist ungeklärt, das Land verliert den Anschluss an das digitale Zeitalter. Die Union, die immer noch stärkste Kraft in der Regierung ist, muss hier Antworten formulieren und dabei das Kunststück fertigbringen, sich von Frau Merkels Gesellschaftsbild in dem Moment zu verabschieden, da sie als große Staatsfrau und Politikerin von ihrer Partei kanonisiert werden wird.