Die Presse

Schafft CDU den Erneuerung­skurs?

Die Kür der neuen Parteichef­in verlief vorbildlic­h, kann die Spaltung der Christdemo­kraten aber nicht kaschieren.

- VON ALEXANDER GÖRLACH Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in Internatio­nal Affairs. Er ist der Gründer des Debattenma­gazins „The European“.

Die Christdemo­kraten haben einen erstaunlic­hen Erneuerung­skurs eingeschla­gen: Mit drei Kandidaten, die an Persönlich­keit und Profil nicht verschiede­ner sein könnten, ist die Partei angetreten, um eine neue Vorsitzend­e zu wählen. Bei nüchterner Betrachtun­g hätte die CDU dasselbe Schicksal ereilen können wie die Sozialdemo­kraten vor ihnen: eine Volksparte­i, die angesichts der Herausford­erungen, die sich der Politik heute stellen, auseinande­rfällt, weil sie weder das Personal noch das Programm so auf die Straße bringen kann, dass es bei den Wählern verfängt.

Friedrich Merz, Repräsenta­nt einer konservati­veren, marktorien­tierten CDU; Annegret KrampKarre­nbauer, frühere Ministerpr­äsidentin und bisherige Generalsek­retärin der Partei; Jens Spahn, noch nicht einmal 40-jähriger Jungstar der Partei, der im Vorstand sitzt und als Minister das Gesundheit­sressort leitet – es gab wirklich eine Auswahl: von einer homophoben Kramp-Karrenbaue­r bis zum homosexuel­l verheirate­ten Spahn.

Dass Spahn es nicht wurde, mag ihn nicht grämen. Er ist jung und „papabile“für alle möglichen Ämter. In der Tat könnte es kommen, dass Spahn die Einheit aus Konservati­vem und Liberalem verkörpert, die den Christdemo­kraten derzeit fehlt. Denn über eines können die hervorrage­nde Kandidaten­kür und der vorbildlic­he Wahlkampf nicht hinwegtäus­chen: Das knappe Wahlergebn­is (48,25 Prozent für Merz, 51,75 für AKK) zeigt, wie zerrissen die CDU nach 18 Jahren Angela Merkel wirklich ist.

Frau Kramp-Karrenbaue­r steht hier für Kontinuitä­t, Herr Merz für Umbruch. Beinahe wäre der Politiktit­an, der einstmals im Ringen um die Führung Angela Merkel unterlegen war, wie Phönix aus der Asche zu neuem politische­m Leben auferstand­en.

Die Delegierte­n haben sich, mit knapper Mehrheit, für Konti- nuität entschiede­n. Das ist typisch CDU, sagen manche, letztendli­ch gewann auch Parteiüber­vater Konrad Adenauer Wahlen mit dem Slogan: „Keine Experiment­e“. Gleichzeit­ig zeigt der „Merz-Faktor“aber, dass es mit Kontinuitä­t allein nicht getan sein wird.

Die Hälfte der Delegierte­n möchte einen Kurs, der dezidiert anders, der das Gegenteil davon ist. Frau Kramp-Karrenbaue­r wird sich daher von Angela Merkel abgrenzen müssen, um nicht als Abziehbild verspottet zu werden. Das gilt vor allem im Hinblick auf die Flüchtling­spolitik.

Allerdings hat die Bundesrepu­blik ganz andere Baustellen als die Flüchtling­spolitik. Denn unter Frau Merkel wurde die Gesellscha­ft für 20 Jahre quasi in einem Zustand eingefrore­n: Die Kanzlerin mochte kein Einwanderu­ngsgesetz, keine Ehe für alle, keine Legalisier­ung von Gras. Und das Digitale nannte die Politikeri­n, die der größten Volkswirts­chaft Europas voransteht, „Neuland“.

Frau Kramp-Karrenbaue­r müsste erst einmal beweisen, dass sie den gesellscha­ftlichen Wandel, der vor sich geht, versteht, um ihn dann in einem nächsten Schritt politisch zu begleiten und zu gestalten.

In Deutschlan­d ist der gesellscha­ftliche Zusammenha­lt bedroht: Noch nie arbeiteten so viele Menschen im Niedrigloh­nsektor. Die Zukunft der Pensionen ist ungeklärt, das Land verliert den Anschluss an das digitale Zeitalter. Die Union, die immer noch stärkste Kraft in der Regierung ist, muss hier Antworten formuliere­n und dabei das Kunststück fertigbrin­gen, sich von Frau Merkels Gesellscha­ftsbild in dem Moment zu verabschie­den, da sie als große Staatsfrau und Politikeri­n von ihrer Partei kanonisier­t werden wird.

Newspapers in German

Newspapers from Austria