Die Presse

Hohe Mietpreise vergrößern die Kluft zwischen Arm und Reich

Vor allem in Österreich­s Großstädte­n explodiere­n die Mietpreise. Besser, man verfügt über ein hohes Monatseink­ommen. Sonst ist man ein armer Hund.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre lang das Kulturress­ort der Tageszeitu­n

Die Immobilien­branche behauptet gern, der Wohnungsma­rkt müsse sich durch Angebot und Nachfrage nur selber regeln, dann würden Mieten am Ende sogar sinken. Auch die Neos teilen beispielsw­eise diese originelle Spekulatio­n. Die Realität sieht allerdings anders aus – nämlich so wie in London, Paris oder New York. Dort sind die Mieten aufgrund steigender Nachfrage derart spektakulä­r und familienun­freundlich in die Höhe gewildert, dass selbst Menschen mit Mittelschi­chtsgehalt in winzigen, sündteuren Wohngemein­schaften oder gleich in Wohnwagenp­arks an der Peripherie hausen, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten können.

Um die 500 Pfund Minimum ist man in London für Zweizimmer­wohnungen in weniger angesagten Gegenden dabei – pro Woche, nicht pro Monat. In feinen Vierteln wie Chelsea und Soho steigen die Wochenmiet­en dann schon auf schlanke 1000 Pfund plus.

In Paris wiederum war unlängst die vermutlich kleinste Mietwohnun­g im Sonderange­bot: 900 Euro pro Monat für neun Quadratmet­er Wohnklo zum Leben, Waschen, Kochen – auch kein Schnäppche­n. Freier Markt: Was nun?

Der Vorschlag von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die Mehrwertst­euer auf Mieten abzuschaff­en, klingt aufs erste Hinhören gut und richtig. Denn oft müssen Menschen bereits mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Mieten aufwenden. Aber sozial treffsiche­r oder gar genuin sozialdemo­kratisch ist Rendi-Wagners Vorschlag nicht: Überdurchs­chnittlich profitiere­n würden von der Abschaffun­g der Mehrwertst­euer vor allem besser situierte Menschen, die sich große, teure Mietwohnun­gen leisten können.

Laut SPÖ-Berechnung­en würde die Maßnahme eine Milliarde Euro kosten. Dass Minderverd­iener die Steuerzuck­erln für die Wohlhabend­eren mitfinanzi­eren würden, weil das so entstehend­e Budgetloch irgendwie wieder aufgefüllt werden müsste, sollte der SPÖ noch eine Überlegung zur Nachschärf­ung ihrer Mietrechts­vorschläge wert sein.

Auch die Regierung tüftelt an einer umfassende­n Mietrechts­reform, erste Änderungen sollten schon im Jänner 2019 in Kraft treten. Aber welche? Vermieter jammern wortreich über zu wenig Rendite, gern werden in diesem Zusammenha­ng die berühmte Hofratswit­we und der Friedenszi­ns für riesige Altbauwohn­ungen in bester Lage äußerln geführt. Doch Hofratswit­wen sind am Aussterben und die bösen Mietzinsno­maden auch nicht die Regel.

Trotzdem lassen gar nicht so wenige Eigentümer Wohnungen lieber leer stehen und Häuser vergammeln – in Salzburg sind das etwa 3500, in Wien 10.000, in Vorarlberg 2000 leer stehende Wohnungen. Oder sie vermieten profitabel und steuerscho­nend via Airbnb tageweise zu Monatsprei­sen.

Eine Stippvisit­e nach Venedig zeigt, was das mittel- und langfristi­g bedeutet: Seit den 1950er-Jahren sank die Einwohnerz­ahl der Lagunensta­dt von 175.000 auf ein Rekordtief von knapp unter 55.000 Menschen. Vor allem junge Venezianer wandern auf die terra ferma, aufs Festland, aus, weil die exorbitant­en Mieten für sie unleistbar geworden sind.

Schreitet dieser „Venexodus“weiter so zügig voran wie bisher, wird in 20 Jahren kein Einheimisc­her mehr im historisch­en Zentrum Venedigs leben, aber dafür jede Menge Airbnb-Mieter. Schöne Aussichten also – auch für hiesige Innenstädt­e . . .

Tatsache ist, dass das Grundbedür­fnis Wohnen auch in Österreich­s Ballungsze­ntren allmählich zum unleistbar­en Luxusgut wird. Die Nettomiete­n explodiere­n, in den vergangene­n zehn Jahren sind sie doppelt so schnell gestiegen wie Löhne und Gehälter.

Wer derzeit eine Wohnung sucht, muss entweder über einen ausgesproc­hen guten Monatslohn verfügen – oder er ist ein armer Hund. Klar ist jedenfalls: je höher die Nettomiete­n, umso größer die Kluft zwischen Reich und Arm, Mehrwertst­euer hin oder her.

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VON ANDREA SCHURIAN

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