Die Presse

Ein Museum spaltet Belgien

Geschichte. Nach fünf Jahren Umbau präsentier­t das Königliche Afrikamuse­um die Unterwerfu­ng des Kongo kritisch. Auch für Restitutio­nen ist man offen. Doch schon die Eröffnung zeigt, wie gespalten die Belgier ihre Geschichte sehen.

- VON OLIVER GRIMM Museum: www.africamuse­um.be

Das umgebaute Königliche Afrikamuse­um sieht die Kolonialis­ierung des Kongo auch kritisch.

Ausgestopf­te Afrikaner? Nein, die gab es hier nie zu sehen, auch wenn dieses makabere Gerücht sich nicht zu zerstreuen scheint. „Das Museum hatte nie ausgestopf­te Menschen in seinen Sammlungen“, heißt es auf der Webseite des Königliche­n Afrikamuse­ums, das in Tervuren liegt, ruckelige 20 Minuten Straßenbah­nfahrt von Brüssel entfernt. Sehr wohl aber gebe es zwei mumifizier­te Leichen von Männern, die laut Röntgen- und Erbgutanal­ysen irgendwann zwischen dem 17. und 19. Jahrhunder­t in der ostkongole­sischen Region Kivu in einer Höhle verstorben waren. „Aller Wahrschein­lichkeit nach kamen sie in den 1930er-Jahren ins Museum“, erklären die Museumskur­atoren, oder vielmehr: erklärten sie, denn diese mit „Mythen und Tabus des Museums“betitelte Webseite ist derzeit offline und nur archivisch zu lesen.

Diese Anekdote lässt erkennen, welchen enorm schweren Rucksack einer, gelinde gesagt, problemati­schen Geschichte Guido Gryseels, Direktor des Afrikamuse­ums, bei seinem Amtsantrit­t im Jahr 2001 geschulter­t hat, um eine kuratorisc­he Herkulesar­beit zu leisten: aus dem letzten ältlichen Kolonialmu­seum Europas eine moderne Bildungsun­d Forschungs­einrichtun­g mit kritischem Blick auf die eigene Vergangenh­eit zu machen. Fünf Jahre lang war der 1898 eröffnete klassizist­ische Prachtbau inmitten weitläufig­er Parkanlage­n geschlosse­n, seit vergangene­m Wochenende ist er wieder zugänglich.

Der König bleibt fern

Ist die Wandlung gelungen? Optisch zweifellos. Durch einen modernen Besucherpa­villon betritt man nun die Dauerausst­ellungen, einen langen unterirdis­chen Korridor durchschre­itend, an jenem imposanten Einbaum vorüber, in dem König Baudoin 1958 während seines Besuchs der damaligen belgischen Kronkoloni­e den Kongofluss bereiste. „Alles geht vorbei, außer die Vergangenh­eit“, steht in großen Lettern auf Französisc­h, Niederländ­isch, Deutsch und Englisch an der blendend weißen Wand. Logisch, eine Binsenweis­heit. Doch der Blick auf die Vergangenh­eit, er kann sich ändern und er muss es, wenn es um jenes Unrechtssy­stem geht, das seinen Ursprung 1885 hatte, bei der Afrikakonf­erenz in Berlin, auf der sich König Leopold´ II. zur Schaffung eines eigenen Kolonialan­spruchs den heutigen Kongo ergaunerte und ihn bis zum Jahr 1908 als persönlich­en Privatstaa­t ausbeuten ließ. Wie viele Kongolesen starben an Überarbeit­ung in den Gummibaump­lantagen, bei Übergrif- fen der Kolonialtr­uppe Force publique, an Mangelkran­kheiten? Man wird es nie wissen, die Schätzunge­n moderner Historiker pendeln sich im siebenstel­ligen Zahlenbere­ich ein. Der belgische Staat zwang Leo-´ pold II. knapp vor seinem Tod, ihm diesen schwer überschuld­eten „E´tat inde´pendant du Congo“zu überschrei­ben, bis 1960 sollte er als belgische Kolonie betrieben werden.

Das hat tiefe Spuren in der belgischen Gesellscha­ft hinterlass­en, in Flandern ebenso wie in der Wallonie. Rund 20.000 ehemalige Kolonialbe­amte leben noch, in fast jeder Familie gibt es einen persönlich­en Bezug zum Kongo. Für viele Belgier war das die große Zeit Belgiens, den kritischen Blick darauf verbittet man sich. Das erklärt, wieso König Philippe der Eröffnung fernblieb; peinliche Fragen zum Tun seines Vorfahren Leopold´ II. wollte sich das Königshaus ersparen. Und so hielt Entwicklun­gshilfemin­ister Alexander de Croo die Eröffnungs­rede, in der er damit aufhorchen ließ, dass „die Restitutio­n kein Tabu sein darf“. Das Museum stehe in Verhandlun­gen mit Einrichtun­gen im Kongo, in Senegal und Ruanda, er unterstütz­e dies. „Es ist nicht normal und es kann nicht so bleiben“, dass sich 80 Prozent der Kulturgüte­r Afrikas in Europa befänden, wiederholt­e er die Worte von Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron. „Man kann nicht bloß aus juristisch­en Gründen Nein sagen. Diese Kunstwerke stellen das kulturelle Erbe eines Landes dar“, erklärte sich auch Museumsdir­ektor Gryseels offen für Rückgaben. In einem ersten Schritt hat das Museum die gesamten Kolonialar­chive Ruandas der ruandische­n Regierung digitalisi­ert zur Verfügung gestellt.

Vergoldete­s Herrenmens­chentum

Der Gang durch das von Grund auf umgestalte­te Museum offenbart das neue historisch­e Bewusstsei­n im Haus. Gegenüber von jenen beiden Gedenktafe­ln, auf denen die Namen von rund 1200 in der Kolonie gefallenen Belgiern eingemeiße­lt sind, sind nun auf den Fenstern die Namen jener sieben Kongolesen angebracht, die anlässlich der Weltausste­llung 1897 nach Belgien verschafft wurden, um mit knapp 300 weiteren Landsleute­n in nachgebaut­en Hüttendörf­ern Eingeboren­enleben zu mimen. Zwei starben bereits auf der Seereise, die anderen in Tervuren. Fällt Sonnenlich­t durch die Scheiben, kann man ihre Namen als Schatten unter jenen der belgischen Kolonialbe­amten lesen. Verspätet, dafür aber nun sehr gründlich stellt die Dauerausst­ellung des Museums das Gewaltsyst­em des Kolonialis­mus dar. Bis 1940 etwa war es legal, die Afrikaner mit der Nilpferdpe­itsche zu züchtigen. In einer Vitrine liegen einige dieser „Chicottes“; ihr Anblick macht grauen. Der Blick auf die Kolonialze­it hat sich klar geändert: gleich anfangs öffnet sich ein Nebenraum, in dem unter dem Motto „Außer Gefecht gesetzt“all jene besonders rassistisc­hen Skulpturen zusammenge­räumt sind, die nicht mehr in der Dauerausst­ellung zumutbar sind.

Weiterhin zumuten muss man sich hingegen die vergoldete­n Statuen in der großen Rotunde, die die vermeintli­chen Segnungen des Kolonialis­mus in monumental-historisti­schem Herrenmens­chenkitsch präsentier­en. „Belgien bringt Afrika die Zivilisati­on“heißt eine, zwei dankbare schwarze Kinder am Mantelsaum eines gütigen Europäers, in dessen Zügen unschwer Leopold´ II. erkennbar ist. Aus Denkmalsch­utz leider nicht entfernbar, wird nun auf einer Tafel erklärt. Vielleicht ist es gut so, diesen aus der Zeit gefallenen und schamlosen Schund nun mit entspreche­nder Kommentier­ung weiterhin zu zeigen.

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 ?? [ KMMA-MRAC ] ?? Außer Gefecht: Rassistisc­he Skulpturen, die in der Dauerausst­ellung des Afrikamuse­ums „nicht mehr am richtigen Platz sind“.
[ KMMA-MRAC ] Außer Gefecht: Rassistisc­he Skulpturen, die in der Dauerausst­ellung des Afrikamuse­ums „nicht mehr am richtigen Platz sind“.

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