Ein Museum spaltet Belgien
Geschichte. Nach fünf Jahren Umbau präsentiert das Königliche Afrikamuseum die Unterwerfung des Kongo kritisch. Auch für Restitutionen ist man offen. Doch schon die Eröffnung zeigt, wie gespalten die Belgier ihre Geschichte sehen.
Das umgebaute Königliche Afrikamuseum sieht die Kolonialisierung des Kongo auch kritisch.
Ausgestopfte Afrikaner? Nein, die gab es hier nie zu sehen, auch wenn dieses makabere Gerücht sich nicht zu zerstreuen scheint. „Das Museum hatte nie ausgestopfte Menschen in seinen Sammlungen“, heißt es auf der Webseite des Königlichen Afrikamuseums, das in Tervuren liegt, ruckelige 20 Minuten Straßenbahnfahrt von Brüssel entfernt. Sehr wohl aber gebe es zwei mumifizierte Leichen von Männern, die laut Röntgen- und Erbgutanalysen irgendwann zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert in der ostkongolesischen Region Kivu in einer Höhle verstorben waren. „Aller Wahrscheinlichkeit nach kamen sie in den 1930er-Jahren ins Museum“, erklären die Museumskuratoren, oder vielmehr: erklärten sie, denn diese mit „Mythen und Tabus des Museums“betitelte Webseite ist derzeit offline und nur archivisch zu lesen.
Diese Anekdote lässt erkennen, welchen enorm schweren Rucksack einer, gelinde gesagt, problematischen Geschichte Guido Gryseels, Direktor des Afrikamuseums, bei seinem Amtsantritt im Jahr 2001 geschultert hat, um eine kuratorische Herkulesarbeit zu leisten: aus dem letzten ältlichen Kolonialmuseum Europas eine moderne Bildungsund Forschungseinrichtung mit kritischem Blick auf die eigene Vergangenheit zu machen. Fünf Jahre lang war der 1898 eröffnete klassizistische Prachtbau inmitten weitläufiger Parkanlagen geschlossen, seit vergangenem Wochenende ist er wieder zugänglich.
Der König bleibt fern
Ist die Wandlung gelungen? Optisch zweifellos. Durch einen modernen Besucherpavillon betritt man nun die Dauerausstellungen, einen langen unterirdischen Korridor durchschreitend, an jenem imposanten Einbaum vorüber, in dem König Baudoin 1958 während seines Besuchs der damaligen belgischen Kronkolonie den Kongofluss bereiste. „Alles geht vorbei, außer die Vergangenheit“, steht in großen Lettern auf Französisch, Niederländisch, Deutsch und Englisch an der blendend weißen Wand. Logisch, eine Binsenweisheit. Doch der Blick auf die Vergangenheit, er kann sich ändern und er muss es, wenn es um jenes Unrechtssystem geht, das seinen Ursprung 1885 hatte, bei der Afrikakonferenz in Berlin, auf der sich König Leopold´ II. zur Schaffung eines eigenen Kolonialanspruchs den heutigen Kongo ergaunerte und ihn bis zum Jahr 1908 als persönlichen Privatstaat ausbeuten ließ. Wie viele Kongolesen starben an Überarbeitung in den Gummibaumplantagen, bei Übergrif- fen der Kolonialtruppe Force publique, an Mangelkrankheiten? Man wird es nie wissen, die Schätzungen moderner Historiker pendeln sich im siebenstelligen Zahlenbereich ein. Der belgische Staat zwang Leo-´ pold II. knapp vor seinem Tod, ihm diesen schwer überschuldeten „E´tat inde´pendant du Congo“zu überschreiben, bis 1960 sollte er als belgische Kolonie betrieben werden.
Das hat tiefe Spuren in der belgischen Gesellschaft hinterlassen, in Flandern ebenso wie in der Wallonie. Rund 20.000 ehemalige Kolonialbeamte leben noch, in fast jeder Familie gibt es einen persönlichen Bezug zum Kongo. Für viele Belgier war das die große Zeit Belgiens, den kritischen Blick darauf verbittet man sich. Das erklärt, wieso König Philippe der Eröffnung fernblieb; peinliche Fragen zum Tun seines Vorfahren Leopold´ II. wollte sich das Königshaus ersparen. Und so hielt Entwicklungshilfeminister Alexander de Croo die Eröffnungsrede, in der er damit aufhorchen ließ, dass „die Restitution kein Tabu sein darf“. Das Museum stehe in Verhandlungen mit Einrichtungen im Kongo, in Senegal und Ruanda, er unterstütze dies. „Es ist nicht normal und es kann nicht so bleiben“, dass sich 80 Prozent der Kulturgüter Afrikas in Europa befänden, wiederholte er die Worte von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. „Man kann nicht bloß aus juristischen Gründen Nein sagen. Diese Kunstwerke stellen das kulturelle Erbe eines Landes dar“, erklärte sich auch Museumsdirektor Gryseels offen für Rückgaben. In einem ersten Schritt hat das Museum die gesamten Kolonialarchive Ruandas der ruandischen Regierung digitalisiert zur Verfügung gestellt.
Vergoldetes Herrenmenschentum
Der Gang durch das von Grund auf umgestaltete Museum offenbart das neue historische Bewusstsein im Haus. Gegenüber von jenen beiden Gedenktafeln, auf denen die Namen von rund 1200 in der Kolonie gefallenen Belgiern eingemeißelt sind, sind nun auf den Fenstern die Namen jener sieben Kongolesen angebracht, die anlässlich der Weltausstellung 1897 nach Belgien verschafft wurden, um mit knapp 300 weiteren Landsleuten in nachgebauten Hüttendörfern Eingeborenenleben zu mimen. Zwei starben bereits auf der Seereise, die anderen in Tervuren. Fällt Sonnenlicht durch die Scheiben, kann man ihre Namen als Schatten unter jenen der belgischen Kolonialbeamten lesen. Verspätet, dafür aber nun sehr gründlich stellt die Dauerausstellung des Museums das Gewaltsystem des Kolonialismus dar. Bis 1940 etwa war es legal, die Afrikaner mit der Nilpferdpeitsche zu züchtigen. In einer Vitrine liegen einige dieser „Chicottes“; ihr Anblick macht grauen. Der Blick auf die Kolonialzeit hat sich klar geändert: gleich anfangs öffnet sich ein Nebenraum, in dem unter dem Motto „Außer Gefecht gesetzt“all jene besonders rassistischen Skulpturen zusammengeräumt sind, die nicht mehr in der Dauerausstellung zumutbar sind.
Weiterhin zumuten muss man sich hingegen die vergoldeten Statuen in der großen Rotunde, die die vermeintlichen Segnungen des Kolonialismus in monumental-historistischem Herrenmenschenkitsch präsentieren. „Belgien bringt Afrika die Zivilisation“heißt eine, zwei dankbare schwarze Kinder am Mantelsaum eines gütigen Europäers, in dessen Zügen unschwer Leopold´ II. erkennbar ist. Aus Denkmalschutz leider nicht entfernbar, wird nun auf einer Tafel erklärt. Vielleicht ist es gut so, diesen aus der Zeit gefallenen und schamlosen Schund nun mit entsprechender Kommentierung weiterhin zu zeigen.