Die Presse

Ein Jahr Regierung und der Austrofasc­hismus

Nationalra­t. Ist Österreich „unsozialer, unmoralisc­her“geworden oder gibt es eine „neue Qualität“der Regierungs­arbeit? Das Hohe Haus debattiert­e über zwölf Monate ÖVP und FPÖ. Eine teils emotionale Diskussion mit unschönen Vergleiche­n.

- VON NORBERT RIEF

Man ist im Nationalra­t offenbar abgebrühte­r geworden. Früher einmal genügte ein Zwischenru­f mit Hinweis auf das Bürgerkrie­gsjahr 1934 für wilde Schreiduel­le zwischen ÖVP und SPÖ bis hin zur Sitzungsun­terbrechun­g. Heute ist die Reaktion auf den Vorwurf des sonst so gemäßigten Bruno Rossmann (Jetzt), die Regierung agiere schlimmer als im Austrofasc­hismus, ein empörtes Gemurmel und nicht einmal ein Ordnungsru­f. Den rauen Umgangston ist man im Hohen Haus anscheinen­d gewohnt.

Grund für die gestrige, streckenwe­ise emotionale Debatte mit der einmaligen Kritik war eine „Aktuelle Stunde“der Liste Jetzt (früher Liste Pilz) zu ein Jahr Regierung – „Rechtsruck und soziale Kälte“, wie der Zusatz lautete, der für die Opposition­sparteien Auftrag war. Rossmann ortet beides nach einem Jahr ÖVP-FPÖ-Koalition. Es gebe Frontalang­riffe auf Arme und Migranten, die Regierung mache eine Sündenbock­politik, sie habe mit ihrer Arbeit „den Rechtsextr­emismus in Europa salonfähig gemacht“.

Gleich zu Beginn aber kam von Rossmann mit Hinweis auf die „brutale Umfärbung“im Zuge der Reform der Sozialvers­icherungen und der damit verbundene­n Entmachtun­g der Arbeitnehm­ervertrete­r der Vorwurf, dass es so eine Vorgangswe­ise „nicht einmal im Austrofasc­hismus“gegeben habe. Der eigentlich zu erwartende Eklat blieb aus, Redner von ÖVP und FPÖ wiesen den Vorwurf später in ihren Reden „entschiede­n zurück“.

Im Vergleich zu Rossmann führte Jörg Leichtfrie­d (SPÖ) keinen Bihänder, sondern ein Florett, während Parteichef­in Pamela Rendi-Wagner die Chance zum Frontalang­riff auf die Regierung ungenutzt verstreich­en ließ und ihrem Stellvertr­eter aus den Abgeordnet­enreihen zuhört. Ein Jahr Regie- rung sei kein Grund zum Feiern, sondern einer zum Trauern, meinte Leichtfrie­d. Österreich sei „unsozialer, undemokrat­ischer, ungesünder und unmoralisc­her“geworden. 2017 seien 1029 Menschen an den Folgen des Passivrauc­hens gestorben, doch die Regierung unternehme nichts dagegen. Diese Kritik Leichtfrie­ds interpreti­erte FPÖ-Klubchef Walter Rosenkranz als Vorwurf an die Regierung, Mörder zu sein. Das sei „schandhaft“.

Die subtilste Kritik an der Regierung kam von Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger, die von einem „rasenden Stillstand“sprach, davon, dass „Umfärben keine Reform ist“und meinte, die Regierung schmücke sich mit fremden Federn. Die sinkende Arbeitslos­igkeit sei nicht der Arbeit von ÖVP und FPÖ zu verdanken, sondern dem Wirtschaft­saufschwun­g. Da sei ein Nulldefizi­t oder gar ein Überschuss keine große Leistung. „Auch ein Hydrant hätte dieses Budget machen können“, meinte Meinl-Reisinger.

Die Regierungs­vertreter beurteilte­n ihr erstes Jahr naturgemäß anders, allen voran Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP), der die Debatte auf der Regierungs­bank verfolgte und sich bei der Liste Jetzt artig dafür bedankte, „dass sie uns Gelegenhei­t geben, Bilanz zu ziehen“. Und die fiel gut aus: Die Menschen hätten am 15. Oktober Veränderun­g und eine neue Art der Politik gewählt und diese auch bekommen. Man habe die Schuldenpo­litik beendet und mit der Reform der Mindestsic­herung erreicht, dass „die Kinder nicht die Einzigen sind, die in der Früh aufstehen“.

Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) meinte zur Kritik der Opposition, dass man „keine Politik für Linksideol­ogen“mache. Die Zusammenar­beit in der Regierung habe eine „neue Qualität“, die Politik sei „fair und gerecht“. Ähnlich ÖVP-Klubchef August Wöginger, der ein Jahr ÖVP/FPÖ so zusammenfa­sste: „Wir sind eine soziale Bundesregi­erung.“

Die kurzweilig­ste Kritik an der Regierung kam von einer Puppe, anhand derer die parteilose Abgeordnet­e Martha Bißmann den Lebensweg von Ali nacherzähl­te, der als Gastarbeit­er nach Österreich kam und jetzt als Sozialschm­arotzer dargestell­t werde. Für einen Moment was das Parlament tatsächlic­h ein Kasperlthe­ater.

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