Die Presse

Was die EU Theresa May bieten kann

Brexit. Die britische Regierungs­chefin tourt durch EU-Hauptstädt­e, um ihren Austrittsd­eal zu retten. Die Europäer sind prinzipiel­l hilfsberei­t – schließen aber substanzie­lle Zugeständn­isse aus.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Ist es Wahnsinn, Methode – oder gar beides? Angesichts der gestrigen Blitztourn­ee von Theresa May durch drei europäisch­e Hauptstädt­e ist die Frage nach der Brexit-Strategie der britischen Premiermin­isterin dringliche­r denn je. Nachdem May die für den gestrigen Dienstag avisierte Abstimmung im britischen House of Commons über den EUAustritt­svertrag aufgrund fehlender Mehrheit kurzfristi­g absagen ließ, versucht sie nun, einen besseren Deal herauszusc­hlagen.

Gestern machte May in Den Haag, Berlin und Brüssel halt. Die Vorzeichen waren alles andere als günstig, denn ihre Gastgeber machten im Vorfeld der Gespräche klar, dass das vertraglic­he Angebot der EU an Großbritan­nien definitiv sei. „Das ist der einzige Deal“, sagte etwa EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker, während der deutsche Europa-Staatsmini­ster, Michael Roth, feststellt­e, ihm fehle derzeit „die Fantasie, wo und wie wir noch etwas ändern können oder sollten“.

Ganz so verfahren ist die Lage allerdings nicht. Die EU hat mindestens vier Register, die sie ziehen könnte, um May zu unterstütz­en – ob diese Maßnahmen in London als hilfreich angesehen würden, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Was also kann die Europäisch­e Union der bedrängten britischen Premiermin­isterin bieten?

1

Die naheliegen­dste Hilfe ist verbaler Natur – nämlich die unmissvers­tändliche Klarstellu­ng, dass die EU für substanzie­lle Nachverhan­dlungen des britischen Austrittsa­bkommens nicht zu haben ist. In diese Kerbe schlugen gestern alle Gesprächsp­artner Mays. Problemati­sch an diesem Ansatz ist allerdings, dass ein Teil der britischen Abgeordnet­en an gar keinem Deal interessie­rt ist und einen harten Bruch mit Brüssel sucht. Hartgesott­ene EU-Gegner lassen sich so nicht beeindruck­en. Um Skeptiker auf ihre Seite zu ziehen, muss Theresa May den Eindruck erwecken, sie habe wie eine Löwin für einen besseren Deal gekämpft. Der EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag bietet die geeignete Bühne für einen Schaukampf – Ratspräsid­ent Donald Tusk deklariert­e den morgigen Teil des Treffens bereits als Brexit-Gipfel. Was noch benötigt wird, sind kosmetisch­e Zugeständn­isse.

3

Spielraum bietet die dem Austrittsv­ertrag beiliegend­e Absichtser­klärung über die zukünftige­n Beziehunge­n EU–Großbritan­nien, die rechtlich nicht bindend ist – und folglich ohne größere Probleme umgeschrie­ben werden kann. Ein möglicher Annex wäre die Beteuerung, dass die EU einen Freihandel­svertrag mit Großbritan­nien anstrebe und deshalb nicht vorhabe, ihre rechtliche­n Möglichkei­ten auszureize­n, um die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland gegen den Willen Londons offen zu halten. Auch ein angestrebt­es Zieldatum für den Abschluss eines Freihandel­sabkommens könnte in die Absichtser­klärung aufgenomme­n werden.

4

Das wohl größte Problem für May ist die Tatsache, dass der Austrittsv­ertrag eine Zollunion EU–Großbritan­nien als Sicherheit­sklausel eingebaut hat, um eine Rückkehr der Grenzkontr­ollen in Irland zu verhindern – was die britischen Brexit-Befürworte­r nicht akzeptiere­n wollen. Dieses Problem ließe sich – sofern die EU-27 immer noch dafür zu haben sind – durch die Rückkehr zur ursprüngli­ch von der EU favorisier­ten Fassung des Austrittsv­ertrags umschiffen, der als „Backstop“lediglich eine Zollunion mit Nordirland vorgesehen hatte. Der unfreiwill­ige Verbleib des gesamten Vereinigte­n Königreich­s in einer Zollunion mit der EU wäre damit vom Tisch – allerdings um den Preis der Einführung von Zollkontro­llen zwischen Nordirland und Großbritan­nien.

Der Haken an dieser Option: Die nordirisch­e Unionisten­partei DUP, die Mays Regierung die Mehrheit im Unterhaus sichert, ist dezidiert gegen eine Ungleichbe­handlung ihres Landesteil­s.

 ?? [ Reuters ] ??
[ Reuters ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria