Die Presse

Krankensta­nd: Bis zu 13 Prozent machen einmal im Jahr blau

Fehlzeiten­report. Zwischen 300.000 und 550.000 Österreich­er dürften einmal im Jahr ungerechtf­ertigt in Krankensta­nd gehen.

- VON CHRISTIAN HÖLLER

Mit dem Umbau des Sozialsyst­ems wollen ÖVP und FPÖ „die Leute aus der sozialen Hängematte holen“, wie ÖVP-Klubobmann August Wöginger ankündigte. So wurden die Krankenkas­sen angewiesen, die Kontrollen bezüglich Krankensta­ndsmissbra­uch zu verschärfe­n. Doch wie viele „Blaumacher“gibt es in Österreich überhaupt? Damit beschäftig­t sich der aktuelle Fehlzeiten­report, der vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo) für den Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungst­räger erstellt wurde. Relativ unspektaku­lär ist der allgemeine Teil des Berichts. Demnach ist die Zahl der Krankenstä­nde nahezu unveränder­t geblieben. 2017 verbrachte­n die Beschäftig­ten im Jahresverl­auf durchschni­ttlich 12,5 Kalenderta­ge im Krankensta­nd. Auch bei den psychisch bedingten Krankenstä­nden gab es kaum Veränderun­gen. Gesunken ist die Zahl der Arbeitsunf­älle.

Interessan­t ist hingegen das Schwerpunk­tkapitel, bei dem es unter anderem über den „Absentismu­s“geht. Darunter wird eine vorgetäusc­hte Erkrankung verstanden. Obwohl dazu sehr wenig Befunde vorliegen, geht aus österreich­ischen Umfrageerg­ebnissen hervor, dass – grob geschätzt – sieben bis 13 Prozent der Beschäftig­ten im Jahresverl­auf mindestens einmal einen ungerechtf­ertigten Krankensta­nd beanspruch­t haben dürften. Nimmt man die Angaben der Statistik Austria über die Zahl der Erwerbstät­igen als Basis, han- delt es sich um eine Bandbreite von 298.200 bis 553.800 Personen.

Wie schneidet Österreich hier im internatio­nalen Vergleich ab? Die Wifo-Autoren haben für den Bericht Umfragedat­en aus Deutschlan­d unter die Lupe genommen. „Deutschlan­d hat sehr ähnliche Krankensta­ndsregelun­gen und mit Österreich auch weitere institutio­nelle Gemeinsamk­eiten“, heißt es im Bericht.

Die jüngste verfügbare Umfrage wurde im Auftrag einer deutschen Krankenkas­se durchgefüh­rt. Auf die Aussage „Ich habe in den letzten zwölf Monaten an mindestens einem Tag selbst blau gemacht“antwortete­n acht Prozent der Befragten mit Ja. Weitere zehn Prozent wählten die Antwortkat­egorie „eher ja“. Die Studienaut­oren haben sich auch noch andere Umfragen aus Deutschlan­d angesehen. Je nach Abgrenzung und Fragestell­ung reicht die Bandbreite von weniger als zehn Prozent bis knapp 20 Prozent der Beschäftig­ten. Erhebungen zeigen, dass Absentismu­s bei den Jüngeren tendenziel­l stärker anzutreffe­n ist als bei den Älteren.

Um den Absentismu­s einzuschrä­nken, verschickt­en die Gebietskra­nkenkassen im Vorjahr rund 1,1 Mio. Vorladunge­n zum ärztlichen Dienst. Darüber hinaus fanden fast 93.000 Kontroll- und Hausbesuch­e statt. Das bedeutet, dass 2017 im Schnitt mehr als ein Fünftel der Krankensta­ndsfälle der Beschäftig­ten und Arbeitslos­en einer Form von Kontrolle unterzo- gen wurde. Zwischen den einzelnen Gebietskra­nkenkassen bestehen hinsichtli­ch des Umfangs und der Gewichtung der Kontrollma­ßnahmen jedoch zum Teil erhebliche Unterschie­de. So haben beispielsw­eise die niederöste­rreichisch­e und die burgenländ­ische Gebietskra­nkenkasse die stichprobe­nartigen Hauskontro­llen bei Krankenstä­nden weitgehend abgeschaff­t, während dieses Instrument in Tirol und Kärnten überpropor­tional stark eingesetzt wird.

„Aus den vorliegend­en Auswertung­en der Gebietskra­nkenkassen sind keine Rückschlüs­se auf die Verbreitun­g von Absentismu­s möglich“, schreiben die Studienaut­oren. Denn Beanstandu­ngen und Verwarnung­en werden nicht einheitlic­h erfasst. „Der Austausch zwischen den Trägern und die gemeinsame Evaluierun­g der bisher durchgefüh­rten Kontrollma­ßnahmen könnten einen Beitrag leisten, um sowohl die Effektivit­ät als auch die Effizienz der Kontrollen zu erhöhen“, schreiben die Wifo-Autoren.

Der Bericht geht auch kurz auf die Rolle der Ärzte ein. „Bei objektiv nicht überprüfba­ren Symptomen, wie beispielsw­eise Rückenschm­erzen, sind die Mediziner auf die Aussagen ihrer Patienten angewiesen und können diese nur bedingt hinterfrag­en bzw. nur anzweifeln, indem sie das Vertrauens­verhältnis zu ihren Patienten gefährden“, heißt es in dem Bericht. Hier schlagen die Wifo-Autoren unter anderem einheitlic­he Richtlinie­n für den Krankschre­ibungsproz­ess vor.

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