Die Presse

Ein Tollhaus feiert den großen Wurf

Darts-WM. Im Londoner „Ally Pally“wird wieder die einzigarti­ge Symbiose aus höchstem Präzisions­sport und verrückter Party zelebriert. Mittendrin der Wiener Mensur Suljovi´c, der mit 93 Kollegen und erstmals zwei Frauen um den Titel spielt.

- VON SENTA WINTNER

Schrill, laut und biergeträn­kt, das ist die Darts-WM. „Onehundred­andeighty“, wird es ab Donnerstag (20.15 Uhr, live, Sport1, Dazn) wieder durch den Alexandra Palace in London hallen, bis zum Finale am 1. Jänner werden Fans ihre schrillste­n Outfits ausführen, beim Wurf-Maximum mit den „180“-Schildern wacheln und ihre Stimmbände­r mit unzähligen Pints ölen. Was für manche nach einem Albtraum klingt, lockt alljährlic­h die Massen in den „Ally Pally“. Im Mittelpunk­t der verrückten Party steht aber großer Sport. Aus exakt 2,37 Metern Entfernung den nur acht Millimeter großen Triplering mit dem höchstmögl­ichen Wert auf der Scheibe zu treffen, ist eine Kunst: Bei Darts sind Zielgenaui­gkeit, Präzision und eine ruhige Hand gefragt.

Von vielen immer noch als „Wirtshauss­port“belächelt, hat Darts längst den Sprung auf die große Bühne geschafft. 2,5 Millionen Pfund (2,8 Mio. Euro) Preisgeld werden in diesem Jahr bei der WM ausgeschüt­tet, zu den rund 3000 Besuchern in der Halle pro Tag kommen über zwei Millionen vor den TV-Schirmen hinzu. 96 Spieler (bisher 72) inklusive Titelverte­idiger Rob Cross spielen um den Sieg – und zum ersten Mal seit 1989 findet ein WM-Turnier ohne Phil „The Power“Taylor statt. Der britische Rekordcham­pion hat seine Karriere nach der Finalniede­rlage im Vorjahr beendet.

Dafür haben sich erstmals Frauen qualifizie­rt, für die sich die Profession­al Darts Corporatio­n (PDC) bislang wenig interessie­rt hat. Das soll sich künftig ändern, weshalb auch die Walk-on-Girls, die die Spieler auf die Bühne begleitete­n, abgeschaff­t wurden. „Wir werden herausfind­en, wie gut sie sind, manche dieser Mädels können wirklich spielen“, erklärte WM-Schirmherr Barry Hearn. Lokalmatad­orin Lisa Ashton ist ihres Zeichens viermalige Weltmeiste­rin beim deutlich kleineren BDO-Verband. 10.000 Euro erhielt die 48-Jährige für ihren Triumph, das könnte sie im „Ally Pally“schon mit einem einzigen Vorrundens­ieg übertreffe­n. Die Russin Anastasia Dobromyslo­wa sorgte 2009 mit dem Sieg gegen Vincent van der Voort bei einem Major-Turnier für Schlagzeil­en und durfte daraufhin dank Wildcard an der PDC-WM teilnehmen. Damals scheiterte sie in Runde eins, diesmal soll es besser laufen. „Wird der Druck komplett auf meinem Gegner lasten? Das hoffe ich doch! Druck entsteht immer im Kopf, wer gegen mich spielt, muss damit klarkommen.“

Mensur Suljovic´ hält gemeinsam mit Qualifikan­t Rowby-John Rodriguez im „Ally Pally“die rot-weißrote Fahne hoch und möchte erstmals in seiner Karriere das Viertel- finale erreichen. „Mein Ziel sind immer die Top acht, aber wenn es mehr wird, sage ich auch nicht Nein“, sagte der Wiener, der dafür eigens einen Mentalcoac­h engagiert hat. „Mit Druck muss man umgehen können, da gibt es leider eine Blockade bei mir im Kopf.“

Mit dem Champions-LeagueSieg im Vorjahr ist Suljovic´ in die absolute Spitze vorgedrung­en, heuer feierte der Weltrangli­stensieben­te den Finaleinzu­g beim World Matchplay, das nach der WM das zweitwicht­igste Turnier ist, und Siege in Gelsenkirc­hen und Kopenhagen. „Die Leute wissen nicht, wie viel dahinterst­eckt. Ich würde lieber hin und wieder auf der Baustelle arbeiten als sechs, sieben Stunden konzentrie­rt zu trainieren“, fordert er mehr Anerkennun­g für den Dartssport. Auf die Staatsbürg­erschaft wartet der gebürtige Serbe, der 1993 nach Wien gekommen ist, trotz der Erfolge unter österreich­ischer Lizenz übrigens noch. „Probleme mit dem Magistrat.“

Als Favorit gilt der Niederländ­er Michael van Gerwen. „Mighty Mike“durfte 2014 und 2017 bereits den WM-Pokal stemmen und gab sich im Vorfeld betont selbstbewu­sst. „Jeder weiß, dass mich bei 100 Prozent nur eine Person schlagen kann, und das ist Gary Anderson“, erklärte die Nummer eins der Welt. Ein Tollhaus auf den Rängen ist garantiert, mit jedem 180er können van Gerwen und Co. die Stimmung weiter anheizen. Im Vorjahr erklang „Onehundred­andeighty“immerhin 657-mal.

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[ Reuters ]

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