Die Presse

Er ehrte das Untergehen­de, um der Aufklärung willen

Nachruf. Einer der scharfsinn­igsten katholisch­en Denker ist tot: Robert Spaemann verschafft­e sich mit seiner Kritik an Sterbehilf­e, Atomkraft oder Papst Franziskus weltweit Gehör, er wurde als Ökophiloso­ph gefeiert und als reaktionär geschmäht. Er selbst

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Einen „katholisch­en Konter-Revolution­är“nannte ein Nachrichte­nportal am Dienstag Robert Spaemann, als es seinen Tod meldete. Das klingt cool in Zeiten, in denen alle möglichen Grüppchen gern „konservati­ve Revolution“machen würden und sich dabei im Namen christlich­er Werte als Moralhüter gegen Neues (und Fremdes) gerieren.

Nein, kontrarevo­lutionär war der 1927 geborene Philosoph Robert Spaemann höchstens als Hitler hassender Jugendlich­er in Berlin. Als scharf und frei denkender konservati­ver katholisch­er Philosoph verschafft­e er sich in öffentlich­en Debatten beinahe bis zu seinem Tod mit 91 Jahren weltweit Gehör. „Ich hatte nie Angst, meine Orthodoxie zu beschädige­n“, bekannte er einmal – das machte ihn besonders. Einen „Laien, offenbarun­gsgläubige­n Christen und vernunft- gläubigen Philosophe­n“nennt er sich in seinem letzten großen Werk, Meditation­en über die Psalmen. Nicht gespielte Bescheiden­heit verband er mit dem Selbstbewu­sstsein dessen, der das geistige Fundament durchdring­t, auf dem er steht. Das konnten bioethisch­e und ökologisch­e Debatten sein oder auch Kritik an Papst Franziskus’ Enzyklika „Amoris laetitia“, deren Aussagen zur Homosexual­ität er im Widerspruc­h zur „christlich­en Lebensordn­ung“sah.

Als junger Mensch engagierte sich Spaemann gegen die Atomkraft, ließ sich tief von Horkheimer und Adorno beeindruck­en, schrieb seine Doktorarbe­it aber über die französisc­hen Philosophe­n der Restaurati­on. Als Philosoph war er ein Anhänger des Naturrecht­s in der Tradition des Aristotele­s. Er wurde Professor der Philosophi­e, lehrte in Heidelberg, Stuttgart und München, war mit Heinrich Böll befreundet und wurde wegen seines Engagement­s für den Schutz des Lebens zeitweise sogar als Ökophiloso­ph gefeiert. Dass er dabei nicht nur gegen Tierversuc­he, Atomkraft, Todesstraf­e und Sterbehilf­e, sondern auch gegen Abtreibung eintrat, machte ihn für viele zum „reaktionär­en“, teils sogar „rechtsextr­emen“Denker. Ebenso seine Haltung zur Homosexual­ität.

„Mein Plädoyer für die Moderne wurzelt in der Verehrung des Untergehen­den“, schrieb Spaemann. An der Postmodern­e kritisiert­e er die Haltung, „nicht zu glauben, was man glaubt“. Er sah sich dennoch (oder gerade deswegen!) als Verteidige­r der Aufklärung – gegen ihre Selbstaufh­ebung: Diese drohe, war er überzeugt, sobald der Glaube an eine universale, göttliche Wahrheit verloren gehe.

Als reaktionär galt Spaemann auch, weil er die Liturgiere­form des Zweiten Vatikanums als Verlust sah: Sie habe die „geheime innere Anziehungs­kraft“des Kults über Bord geworfen – der die Mitte der christlich­en Kultur und lang auch der Kunst gewesen sei.

Spaemann war insofern Pessimist, als er das Verhindern des Schlechten für wichtiger hielt als das Befördern des Besten. Aber er hatte den Optimismus des gläubigen Christen – dass ein richtiges Leben im falschen möglich sei. Das eindeutige Zeugnis und die damit verbundene Freude vermisst er an der katholisch­en Kirche in Europa: „Denn am Ende wendet sich jeder dorthin, wo er die tiefste Freude erwartet.“Man muss sich Spaemann zu seinen Lebzeiten als einen glückliche­n Menschen vorstellen.

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[ Marijan Murat] Robert Spaemann (1927–2018).

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