Die Presse

Leitartike­l von Karl Gaulhofer: Mit Macrons Kniefall scheitert eine optimistis­che Vision für Europa

Ein wirtschaft­lich stärkeres Frankreich sollte Basis für eine geeinte EU sein, die Trump Paroli bietet. Stattdesse­n diktiert ein randaliere­nder Mob die Politik.

- E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

D ie Bescherung fand in Frankreich heuer schon zwei Wochen vor Weihnachte­n statt. Am Montagaben­d trat Präsident Macron seinen Canossagan­g an. Jupiter stieg vom Olymp und entschuldi­gte sich vor der versammelt­en Nation, voller Reue, Demut und Zerknirsch­ung: Er habe einige gekränkt, nicht die richtigen Antworten auf den Zorn gefunden. Dabei bringe er seinen Landsleute­n nicht nur Achtung entgegen, sondern Liebe. Dass diese Liebe auch wieder erwidert wird, lässt sich das Staatsober­haupt einiges kosten. Auf zehn Milliarden Euro summieren sich die sozialen Wohltaten, die er versproche­n hat. Allein das treibt das Budgetdefi­zit auch bei guter Konjunktur wieder über das Drei-Prozent-Limit.

Prompt stiegen am Dienstag die Risikoaufs­chläge auf französisc­he Staatsanle­ihen auf ein Eineinhalb-Jahres-Hoch. Frankreich ähnelt wieder etwas weniger Deutschlan­d und etwas mehr Italien. Aber was macht das schon, wenn dafür wieder Friede einkehrt, pünktlich vor dem Fest. Also alles gut?

Gar nichts gut. Zuvörderst für die Demokratie. Denn das Signal an die radikalen Gelbwesten ist: Die Gewalt macht sich bezahlt, anders als der gesittete Konflikt, mit dem Gewerkscha­ften und Opposition die Maßnahmen der Regierung zu Fall bringen wollten. Wer am lautesten schreit, kriegt, was er will. Ein randaliere­nder Mob diktiert die Politik. Warum sollte er sich mit dem Erreichten zufriedeng­eben? Im Gegenteil. Er hat Blut geleckt. Die nächsten Reformplän­e bei Pensionen und Gesundheit­sversorgun­g kann der in Ketten gelegte Präsident gleich wieder einpacken. Wenn er sie nur in den Mund nähme, würde er schon niedergebr­üllt.

Macrons Projekt ist damit gescheiter­t. Er hatte größere Ambitionen als seine Vorgänger und knickt umso spektakulä­rer ein. Die Kehrtwende ist ökonomisch kontraprod­uktiv. Ein zu hoher Mindestloh­n und steuerfrei­e Überstunde­n machen es für Jugendlich­e noch schwerer, einen Job zu finden. Das Signal nach außen: Frankreich lässt sich nicht reformiere­n, auch nicht mit noch so viel Elan und Entschloss­enheit. Das ist weit mehr als ein innerfranz­ösisches Problem, über das wir amüsiert den Kopf schütteln könnten. Ein fi- nanziell solides Frankreich mit weniger Arbeitslos­en und wettbewerb­sfähigen Unternehme­n: Das war für Macron nur das Fundament für ein größeres Bauvorhabe­n. Sein Plan: Wenn die Deutschen sehen, dass Paris seine Budgetvers­prechen einhält und Strukturre­formen nachholt, von denen die Bundesrepu­blik noch nach eineinhalb Jahrzehnte­n zehrt, wächst das Vertrauen, dass man sich unter der Ägide dieses Partners auf Reformen der Eurozone einlassen kann. Reformen, die Solidaritä­t mit klaren Regeln verbinden und damit den Währungsra­um krisenfest­er machen. Diese Hoffnung ist perdu. Die deutschen Reaktionen zeigen deutlich: Das alte Misstrauen ist wieder da, stärker denn je. D amit ist auch das Endziel von Macrons hoffnungsv­oller Vision vorzeitig zu begraben. Ein geeinteres Europa sollte die schmerzhaf­te Scheidung von den Briten wegstecken und das Banner seiner Werte und Ziele umso höher halten: liberale Demokratie, internatio­nale Institutio­nen, Kampf gegen den Klimawande­l. Als Gegengewic­ht zum nationalis­tischen Populisten im Weißen Haus, zu einer Diktatur in Peking, die durch die wirtschaft­liche Stärke Chinas immer mächtiger wird, und zu einem Zaren im Kreml, der seine Popularitä­t durch militärisc­he Aggression fördert.

Man wirft dem ehrgeizige­n Macron nun vor, er habe darüber die Sorgen der kleinen Leute vergessen, nicht aufs Volk gehört. Aber umgekehrt wird eher ein Schuh draus. Die Franzosen wollten von Anfang an nicht hören, was der frühere Investment­banker ihnen predigte. Sie wollen nicht mehr Europa. Sie wollen keine Strukturen aufbrechen. Und sie pfeifen auf den Kampf gegen den Klimawande­l, wenn sie deshalb mehr für den Sprit zahlen sollen. Da hat der US-Präsident recht, der sich nun die Hände reibt und hämisch twittert, wie „lächerlich“doch Ökosteuern seien. Nur dass die Gelbwesten auf der Straße „Wir wollen Trump“singen, ist wie üblich gelogen. Zumindest noch. Schade, dass eine gute Idee für Europa so kläglich enden muss.

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VON KARL GAULHOFER

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