Die „Gelbwesten“finden Nachahmer
Proteste. Regierungen der Region beschuldigen die eigenen Gegner, auch hinter den Krawallen in Frankreich zu stehen.
Istanbul. Nach dem Vorbild der französischen „Gelbwesten“ist es im Nahen Osten zu ersten Protesten gekommen. In der südirakischen Stadt Basra zogen mehrere Hundert Demonstranten in den vergangenen Tagen die signalfarbenen Schutzwesten an, als sie gegen die schlechten Lebensbedingungen in der Region auf die Straße gingen. Die Gegend von Basra ist zwar reich an Erdöl, doch klagen die Bewohner über verschmutztes Trinkwasser, schlechte Stromversorgung, hohe Arbeitslosigkeit und Korruption.
Nicht nur wegen der „Gelbwesten“Nachahmer in der Nahost-Region sind die Demonstrationen manchen Regierungen unheimlich. Vertreter der dortigen Regime beschuldigen die jeweils eigenen Gegner, auch für die Barrikaden und Straßenschlachten in Frankreich verantwortlich zu sein.
So behaupten regierungstreue ägyptische Medien, die islamistische Muslimbruderschaft stehe hinter der Bewegung der französischen „Gelbwesten“. Mit einem ähnlichen Vorwurf wird ein Regierungsberater in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) zitiert, die ebenfalls zu den Gegnern der Bruderschaft zählen. Die Regierung in Kairo und ihre Verbündeten am Golf sehen die Muslimbrüder als Bedrohung für ihre Herrschaft und betrachten die Bewegung als extremistische Terrororganisation.
„Soros setzt die Welt in Brand“
Die Protestbewegung in Frankreich ist für diese Kreise eine Gelegenheit, auf die angebliche Gefahr durch die Muslimbrüder hinzuweisen. Der Westen habe vor sieben Jahren die Aufstände des Arabischen Frühlings unterstützt und die Muslimbrüder zur Gewalt animiert, twitterte der Journalist Zahack Tanvir in Saudiarabien: „Jetzt erlebt der Westen die Proteste am eigenen Leib.“
In der Türkei, die zu den Unterstützern der Muslimbruderschaft zählt, werden in regierungstreuen Kommentaren dagegen ganz andere Parallelen gezogen. Die Unruhen in Frankreich erinnerten an diverse Aufstände in Osteuropa, die von dem Finanzier George Soros organisiert worden seien, titelte die Zeitung „Türkiye“: „Soros setzt die Welt in Brand.“
Die Zeitung folgt damit Präsident Recep Tayyip Erdogan.˘ Dieser hat Soros beschuldigt, er habe bei den regierungsfeindlichen Gezi-Unruhen in der Türkei im Jahr 2013 die Fäden gezogen. Bei den Unruhen in Frankreich seien auch Anhänger der kurdischen Terrororganisation PKK und der linksextremen türkischen Gruppe DHKP-C am Werk gewesen, sagte Erdogan.˘
Angesichts der Bilder aus Frankreich bekräftigt die türkische Regierung zudem ihren Vorwurf, Europa messe bei Einsätzen der Sicherheitskräfte mit zweierlei Maß. Die türkische Polizei sei bei den Gezi-Protesten und anderswo wegen übertriebener Gewaltanwendung kritisiert worden, doch trotz eines ähnlich entschiedenen Vorgehens der französischen Polizei gebe es solche Kommentare diesmal nicht, lautet das Argument: „Das nennen wir Heuchelei“, sagte Außenminister Mevlüt C¸avus¸og˘lu.
Schadenfreude und Kapitalismuskritik
Aus manchen Kommentaren spricht zudem Schadenfreude über einen als arrogant empfundenen Westen. Wenn die Bilder der Gewalt aus Paris und anderen französischen Städten im Nahen Osten entstanden wären, würden Europa und die USA jetzt die Protestbewegung unterstützen und von einem Diktator sprechen, der zurücktreten müsse, hieß es in zahlreichen Kommentaren auf Twitter. Im Iran sehen manche Regimeanhänger den Aufstand der „Gelbwesten“in Frankreich als Bewegung gegen den westlichen Kapitalismus, dem Teheran bereits seit der Revolution von 1979 die Stirn biete.
Wer wie Frankreich den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen: Der ehemalige iranische Hardliner-Präsident Mahmoud Ahmadinejad belehrte den französischen Staatschef, Emmanuel Macron, auf Twitter, eine Regierung müsse auf die Forderungen der Bürger eingehen. Niemand könne etwas gegen die Macht des Volkes ausrichten, schrieb Ahmadinejad, der nach seinem umstrittenen Wahlsieg im Jahr 2009 die Proteste der Opposition mit Gewalt niederschlagen ließ.