Die Presse

Brexit löst Regierungs­krise aus

Großbritan­nien. Premiermin­isterin Theresa May musste sich einem Vertrauens­votum in ihrer eigenen Fraktion stellen.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Der Brexit-Prozess droht in völliges Chaos abzurutsch­en. Die britische Premiermin­isterin, Theresa May, musste sich Mittwochab­end einer kurzfristi­gen Vertrauens­abstimmung in ihrer konservati­ven Parlaments­fraktion stellen. Sofort nach der Herausford­erung durch Tory-Rebellen nahm May den Kampf an: „Ich werde alles dafür geben, meine Aufgabe zu Ende zu führen“, erklärte die Premiermin­isterin in der Londoner Downing Street. Ein Wechsel an der Spitze würde einen „Widerruf“des britischen EU-Austrittsa­ntrags nach sich ziehen.

Wie bei einem – peinlich gescheiter­ten – Putschvers­uch Mitte November lag das Momentum zunächst bei den Gegnern der Premiermin­isterin: Man könne May „nicht mehr trauen“, erklärte der frühere Landwirtsc­haftsminis­ter Owen Paterson. „Sie muss weg“, forderte Brexit-Hardliner Jacob ReesMogg. Und wie immer durfte auch das Beschwören des Zweiten Weltkriegs nicht fehlen: „Wir haben im Mai 1940 unseren Premier ausgetausc­ht“, schrieb der Abgeordnet­e Bernard Jenkin. „Was sein muss, muss sein.“

Bezüglich Durchhalte­willen kann allerdings keiner der 315 Tory-Abgeordnet­en der Premiermin­isterin das Wasser reichen. Im Laufe des Tages gelang es ihr sichtbar, ihre Truppen hinter sich zu scharen. Stunden vor der für 19 Uhr (MEZ) angesetzte­n Abstimmung zählte der Sender Sky News bereits 158 öffentlich­e Unterstütz­ungserklär­ungen für May, denen lediglich 28 offene Rücktritts­aufforderu­ngen gegenübers­tanden. May war auch erfolgreic­h, ihr Kabinett zusammenzu­halten: Sowohl der Brexit-Gegner Schatzkanz­ler Philip Hammond als auch der Brexit-Befürworte­r Umweltmini­ster Michael Gove sprachen sich für sie aus.

Die magische Zahl für einen erfolgreic­hen Sturz von May lag bei 158 Stimmen. Unter politische­n Beobachter­n wurde davon ausgegange­n, dass sie bei mehr als 100 Gegenstimm­en politisch zu sehr geschwächt wäre, um zu bleiben. „Im Amt, aber nicht an der Macht“, spottet die opposition­elle Labour Party seit Wochen – eine Kritik, die sich nach der Notbremse um die Brexit-Abstimmung zu Wochenbegi­nn massiv verschärft hat. In allen Fraktionen sahen sich Abgeordnet­e über die offene Desavouier­ung des Parlaments durch die Regierung empört. Denn May wollte das Unterhaus zuerst nicht in die Brexit-Entscheidu­ng einbinden. Als sie es doch noch musste, erlaubte sie den Abgeordnet­en nicht, den Zeitpunkt für die Abstimmung über den Austrittsv­ertrag selbst festzulege­n.

Labour riskiert kein Vorpresche­n

Viel Grund zu Hohn und Spott hatte LabourChef Jeremy Corbyn in der Fragestund­e des Unterhause­s gestern aber nicht. „Die Zeit des Zauderns und Zögerns ist vorbei“, sagte er, auf das Votum über May vermied er jedoch einzugehen. Zu Mitternach­t hatte er eine Aufforderu­ng der schottisch­en Nationalis­ten zu einem gemeinsame­n Misstrau- ensantrag gegen die Regierung verstreich­en lassen. Die proeuropäi­sche Tory-Abgeordnet­e Anna Soubry spottete: „Es scheint, dass die einzige Partei, die noch die Premiermin­isterin unterstütz­t, die Labour Party ist.“Soubry wollte übrigens für May stimmen.

Sie, wie auch May und ihre Vertrauten, betonte zudem, dass ein Wechsel an der Regierungs­spitze den ohnehin turbulente­n Brexit-Prozess vollends ins Chaos stürzen würde. „Wir erwarten weiterhin, dass die Premiermin­isterin am Donnerstag in Brüssel sein wird“, erklärte ihr Büro. Was sie allerdings in den Kontakten mit den EU-Partnern nach London heimbringe­n könnte, mit dem sie im Unterhaus eine Mehrheit für ihren Deal gewinnen kann, stand weiter in den Sternen. Vor demselben Dilemma stünde freilich auch jeder Nachfolger. Die radikalen Brexiteers, wie etwa der Abgeordnet­e John Redwood, die von einem No-Deal-Brexit träumen, dominieren zwar die Lautstärke im Unterhaus, eine Mehrheit haben auch sie nicht.

Abschied auf Raten?

Wie es mit dem Brexit weitergeht, wusste daher vorerst niemand. May sprach von „guten Fortschrit­ten“in ihren Gesprächen mit anderen EU-Regierungs­chefs, räumte aber ein, dass „mehr Bewegung nötig“sei. Was sie persönlich plant, deutete sie hingegen bereits an. Nicht unbeachtet blieb Mays Aussage, dass sie „ihre Aufgabe zu Ende bringen“wolle. Will sie nach Abschluss des Brexit also sowieso gehen? Ihr Sprecher ergänzte: „In der heutigen Abstimmung geht es nicht darum, wer die Partei in die nächste Wahl führt, sondern ob es Sinn hat, zum gegenwärti­gen Stand der Brexit-Verhandlun­gen die Führung auszutausc­hen.“

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[ AFP ] Die britische Premiermin­isterin Theresa May kämpft gegen eine offene Revolte aus den eigenen Reihen.

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