Die Presse

Die zahnlose Gefährderl­iste? Frankreich und die „Akte S“

Terror. Trotz der umfangreic­hen Erfassung von mutmaßlich­en Staatsgefä­hrdern konnte Paris etliche Attentate nicht verhindern.

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Ayoub El K. war auf der Liste. Vor drei Jahren eröffnete er in einem Schnellzug zwischen Belgien und Frankreich das Feuer, ehe er von anderen Passagiere­n überwältig­t werden konnte. Und Cherif C. stand auf der Liste. Der Verdächtig­e und Flüchtige soll am Dienstag in der Innenstadt von Straßburg Schüsse abgefeuert und mindestens zwei Menschen getötet haben. Immer wieder sind es islamistis­che Attentäter, deren Namen auf der behördlich­en „Sicherheit­sakte S“auftauchen. Und immer wieder stellen sich die Franzosen nach den Angriffen die Frage: Warum konnte man die Terrorakte trotz Liste nicht verhindern?

Seit knapp fünf Jahrzehnte­n führt Frankreich bereits das umfangreic­he Verzeichni­s, das gesuchte oder verdächtig­e Personen auflistet und mit FPR abgekürzt wird. Es sind verschiede­ne Kategorien: flüchtige Jugendlich­e, Entflohene aus dem Gefängnis, Mitglieder von kriminelle­n Vereinigun­gen, Umweltakti­visten oder jene, die Frankreich aus einer Reihe von Gründen nicht betreten dürfen. In die Kategorie S fallen demnach Personen, die eine Gefahr für die staatliche Sicherheit darstellen: Das können Islamisten sein, aber auch Hooligans oder andere Gefährder. In französisc­hen Medien kursiert seit wenigen Jahren die Zahl 20.000 – so viele Namen beinhaltet offenbar die Liste „Fiche S“, wobei die Hälfte davon dem radikalisl­amischen Milieu zuzuordnen sei.

„Fiche S“dient den Behörden als eine Art Warnsystem. Es heißt nicht, dass die Betroffene­n automatisc­h und systematis­ch überwacht werden; vielmehr sind die Personen grundsätzl­ich einmal zugeordnet. Wenn sie beispielsw­eise in Polizei- oder Grenzkontr­ollen geraten, sollen die Beamten wissen, mit wem sie es zu tun haben – und genauer kontrollie­ren. Denn die Personen auf der „Liste S“stehen zwar im Verdacht, die Staatssich­erheit zu gefährden, aber sie haben sich nicht unbedingt strafbar gemacht. Auf der „Fiche S“finden sich – neben Straftäter­n – auch die Namen derer, die lediglich Kontakt mit einem bekannten Terroriste­n oder sich auf radikalen Webseiten aufgehalte­n haben. Auch innerhalb der Kategorie S unterschei­den die Behörden nach Gefährlich­keit. So fasst S14 die Namen jener zusammen, die aus den Kriegsgebi­eten in Syrien und im Irak zurückgeke­hrt sind.

Für die Kritiker geht die Gefährderl­iste nicht weit genug, doch der Staat argumentie­rt damit, dass nur aufgrund eines Verdachtes Personen nicht inhaftiert werden können. Darüber hinaus können Namen aus der „Fiche“wieder gelöscht werden, auch das ist den Kritikern ein Dorn im Auge. Jedenfalls teilen die französisc­hen Behörden ihre Datei mit den Schengen-Staaten, nicht zuletzt deswegen, weil sich die „Fiche S“-Personen frei bewegen können. Alle zwei Jahre wird die Liste aktualisie­rt.

Der 29-jährige Cherif C. kam nach einer Haftstrafe zwischen 2013 und 2015 auf die S-Liste, weil er als potenziell­er Radikaler galt – im Gefängnis soll C. radikalisi­ert worden und anschließe­nd mit einem Bekehrungs­eifer aufgefalle­n sein. C. war Medienberi­chten zufolge sogar auf der Überwachun­gsliste der Behörden.

C. ist zwar französisc­her Staatsbürg­er, aber für Paris ist die Frage nach der Staatsange­hörigkeit nicht ausschlagg­ebend, ob jemand in die „Fiche S“-Datei kommt. Wie im Fall C. auch, veranlasst meist der Inlandsgeh­eimdienst die Aufnahme in die Datei. Die Betroffene­n selbst erhalten freilich keine Benachrich­tigung. (duö)

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