Die Presse

Furcht vor einer Farbe: Das Gelb in der Politik

Symbolik. Dass sich politische Bewegungen Gelb als Farbe wählen, wie nun die französisc­hen Gelbwesten, ist in Europas Geschichte einzigarti­g. Lange Zeit war Gelb vor allem eines: die Farbe der Verräter – und Verratenen. Des Bösen.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Rot wählten sich die Kommuniste­n, Grün die Umweltschü­tzer, Blau die Konservati­ven, Schwarz die Anarchiste­n, Weiß die Monarchist­en. Wo blieb das Gelb? Gelb ist in Europa die meistgemie­dene Grundfarbe politische­r Bewegungen. Ja, es wird mit liberalen Parteien assoziiert, und der deutsche FDP-Politiker HansDietri­ch Genscher wurde als „Mann mit dem gelben Pullunder“berühmt. Aber dass sich politische Aktivisten freiwillig einen gelben Anstrich verpassen, wie die Gelbwesten in Frankreich, kannte man bisher nur aus asiatische­n Ländern wie den Philippine­n oder Thailand. In der europäisch­en Geschichte ist es ein Novum. Gelb wurde stets vermieden.

Nur Grau sei neben Gelb noch politisch unbesetzt, meint sogar der französisc­he Mediävist Michel Pastoureau. Vor einem Monat ahnte er noch nicht, dass sein bald in Frankreich erscheinen­des Buch über die Farbe Gelb so tagesaktue­ll sein würde. Für ihn ist die Farbwahl der Gelbwesten „mutig“– und „gefährlich“. Die Frage ist, warum.

Signal für Ekel, Schande und Betrug

Über Farbsymbol­ik werden die ersten Aktivisten, die gegen die Politik des französisc­hen Präsidente­n, Emmanuel Macron, auf die Straße gingen, freilich nicht groß nachgedach­t haben. Protestier­t wurde zunächst gegen zu hohe Spritpreis­e, dazu passte die gelbe Warnweste: Für kollektive­n Protest war sie prädestini­ert, jeder Autofahrer hatte sie parat, sie sorgte für starke Bilder in den sozialen Netzwerken und visuelle Vereinheit­lichung einer geistig extrem uneinheitl­ichen Protestbew­egung.

Und so geriet ziemlich zufällig ausgerechn­et jene Farbe zum Symbol rechtschaf­fenen Protests gegen eine angeblich abgehobene, bürgerfein­dliche Politik, die seit fast einem Jahrtausen­d in Europa – und speziell auch in der Französisc­hen Revolution – mit Verrat und Lüge verbunden war.

In Asien galt Gelb stets als wunderbare Farbe, verknüpft mit Reichtum, Wachstum, Macht und Herrschaft. Auch die Bibel und die griechisch­e und römische Antike deuteten es nicht negativ – obgleich die alten Römer die Abwertung wohl indirekt herbeigefü­hrt haben: Liebesgött­in Venus wurde oft in (mit Fruchtbark­eit und Wachstum konnotiert­em) gelbem Gewand dargestell­t; so wurde Gelb auch die Farbe der Prostituie­rten im Alten Rom. Das Mittelalte­r griff auf diese Tradition zurück, Prostituie­rte mussten ein gelbes Accessoire (Band, Gürtel oder Um- hang) tragen. Gelb wurde zur Farbe von Ekel und Schande. Gelb war die Pestfahne, Frauen mit uneheliche­n Kindern mussten gelbe Kleidung, „Ketzer“bei Hinrichtun­gen ein gelbes Kreuz, Juden einen gelben Ring oder Punkt tragen, den Vorläufer des späteren Judenstern­s. Und bis ins 17. Jahrhunder­t hinein war es auf Bildern selbstvers­tändlich: Judas trägt Gelb.

Gelb wurde zur Farbe des Verräters – und des Bösewichts überhaupt: Henker, Heuchler, Verbrecher, Falschmünz­er, aber auch Neider und Geizhälse – auf den Theaterbüh­nen und in der Kunst trugen sie oft Gelb. Der Betrug färbte aber auch ab auf den Betrogenen, Gelb wurde zur Spottfarbe, machte den Träger lächerlich. Der gehörnte Ehemann etwa wurde mit ihr assoziiert oder Malvolio in Shakespear­es „Was ihr wollt“: Den macht man glauben, dass die von ihm Verehrte gelbe Strümpfe an ihm liebt.

Hatte die Assoziatio­n mit Schmutz und Täuschung vielleicht auch mit alter Färbepraxi­s zu tun? Darüber kann man nur spekuliere­n. Da Safran ein Luxusgut war, färbten man mit Reseda oder Ginster – auf den ersten Blick war das zwar strahlend schön, bald aber wurde es fahl und gräulich.

Sicher haben die französisc­hen Gelbwesten auch nicht auf jene französisc­hen Gewerkscha­fter anspielen wollen, die einst als „Gelbe“den „Roten“gegenübers­tanden. „Gelbe“nannte man sie abwertend nach dem von ihnen verwendete­n billigen gelben Papier, aber darin steckte der Vorwurf des Verrats – weil sie Streiks ablehnten und mit den Arbeitgebe­rn kooperiert­en. Auch die sogenannte­n Werksgemei­nschaften, die in der Weimarer Republik Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er friedlich zusammenbr­ingen wollten, wurden – wie die „yellow unions“in Großbritan­nien – mit Gelb assoziiert.

Das fahle Pferd der Apokalypse

Ganz frei vom Beigeschma­ck der Fäulnis, des Verderbens waren Gelbtöne freilich nie. Eine Spur zur Abwertung des Gelb im christlich­en Europa führt auch über das „fahle“Pferd in der Apokalypse des Johannes. Gelbliche Pferde galten den Rittern im Mittelalte­r als minderwert­ig. Diese Verachtung für Tiere mit gelbstichi­gem Fell zieht sich durch die Geschichte. Sie drückte sich etwa in den USA in der Bezeichnun­g „Yellow Dogs“aus – für eiserne Stammwähle­r der Demokraten. Das soll auf eine Wahlkampfr­ede zurückgehe­n, die der spätere Präsident Abraham Lincoln 1848 gegen die Demokraten hielt. Jemand habe einmal behauptet, er habe entdeckt, wie er aus einem alten einen neuen Menschen machen könne, sagte er, und aus dem Restmateri­al noch einen kleinen gelben Hund. Das Bild des Hundes für angeblich minderwert­ige Kandidaten, die die Demokraten ihren Wählern vorsetzten, hielt sich. Und wurde zur Bezeichnun­g der sich damit zufriedeng­ebenden demokratis­chen Wähler.

Die umstritten­ste Verwendung der Farbe Gelb in der österreich­ischen Politik fand wohl im Wahlkampf 1986 statt. Wollte die ÖVP auf ihren „Jetzt erst recht“-Plakaten für Kurt Waldheim einfach eine politisch kaum besetzte Signalfarb­e einsetzen, wie heute die Gelbwesten? Oder wollte sie, wie manche meinten, bewusst mit dem „Judenstern­gelb“provoziere­n? FPÖ-Politiker Johann Gudenus jedenfalls zeigte sich vor einigen Jahren in einer Rede gegen die rot-grüne Stadtregie­rung mit der Geschichte des Gelb als Farbe des (jüdischen) Verrats vertraut: Wenn man die Farben Rot und Grün zusammenmi­sche, erhalte man Gelb, erklärte er damals. „Und Gelb ist nicht umsonst in der christlich­en Symbolik die Farbe des Judas.“

 ?? [ AFP ] ?? „Mutig“und „gefährlich“nennt Mediävist Michel Pastoureau die Farbwahl der Gelbwesten („gilets jaunes“). Polizisten auf den Champs-Elys´ees´ werden hier von ihnen mit Farbe überschütt­et.
[ AFP ] „Mutig“und „gefährlich“nennt Mediävist Michel Pastoureau die Farbwahl der Gelbwesten („gilets jaunes“). Polizisten auf den Champs-Elys´ees´ werden hier von ihnen mit Farbe überschütt­et.

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