Furcht vor einer Farbe: Das Gelb in der Politik
Symbolik. Dass sich politische Bewegungen Gelb als Farbe wählen, wie nun die französischen Gelbwesten, ist in Europas Geschichte einzigartig. Lange Zeit war Gelb vor allem eines: die Farbe der Verräter – und Verratenen. Des Bösen.
Rot wählten sich die Kommunisten, Grün die Umweltschützer, Blau die Konservativen, Schwarz die Anarchisten, Weiß die Monarchisten. Wo blieb das Gelb? Gelb ist in Europa die meistgemiedene Grundfarbe politischer Bewegungen. Ja, es wird mit liberalen Parteien assoziiert, und der deutsche FDP-Politiker HansDietrich Genscher wurde als „Mann mit dem gelben Pullunder“berühmt. Aber dass sich politische Aktivisten freiwillig einen gelben Anstrich verpassen, wie die Gelbwesten in Frankreich, kannte man bisher nur aus asiatischen Ländern wie den Philippinen oder Thailand. In der europäischen Geschichte ist es ein Novum. Gelb wurde stets vermieden.
Nur Grau sei neben Gelb noch politisch unbesetzt, meint sogar der französische Mediävist Michel Pastoureau. Vor einem Monat ahnte er noch nicht, dass sein bald in Frankreich erscheinendes Buch über die Farbe Gelb so tagesaktuell sein würde. Für ihn ist die Farbwahl der Gelbwesten „mutig“– und „gefährlich“. Die Frage ist, warum.
Signal für Ekel, Schande und Betrug
Über Farbsymbolik werden die ersten Aktivisten, die gegen die Politik des französischen Präsidenten, Emmanuel Macron, auf die Straße gingen, freilich nicht groß nachgedacht haben. Protestiert wurde zunächst gegen zu hohe Spritpreise, dazu passte die gelbe Warnweste: Für kollektiven Protest war sie prädestiniert, jeder Autofahrer hatte sie parat, sie sorgte für starke Bilder in den sozialen Netzwerken und visuelle Vereinheitlichung einer geistig extrem uneinheitlichen Protestbewegung.
Und so geriet ziemlich zufällig ausgerechnet jene Farbe zum Symbol rechtschaffenen Protests gegen eine angeblich abgehobene, bürgerfeindliche Politik, die seit fast einem Jahrtausend in Europa – und speziell auch in der Französischen Revolution – mit Verrat und Lüge verbunden war.
In Asien galt Gelb stets als wunderbare Farbe, verknüpft mit Reichtum, Wachstum, Macht und Herrschaft. Auch die Bibel und die griechische und römische Antike deuteten es nicht negativ – obgleich die alten Römer die Abwertung wohl indirekt herbeigeführt haben: Liebesgöttin Venus wurde oft in (mit Fruchtbarkeit und Wachstum konnotiertem) gelbem Gewand dargestellt; so wurde Gelb auch die Farbe der Prostituierten im Alten Rom. Das Mittelalter griff auf diese Tradition zurück, Prostituierte mussten ein gelbes Accessoire (Band, Gürtel oder Um- hang) tragen. Gelb wurde zur Farbe von Ekel und Schande. Gelb war die Pestfahne, Frauen mit unehelichen Kindern mussten gelbe Kleidung, „Ketzer“bei Hinrichtungen ein gelbes Kreuz, Juden einen gelben Ring oder Punkt tragen, den Vorläufer des späteren Judensterns. Und bis ins 17. Jahrhundert hinein war es auf Bildern selbstverständlich: Judas trägt Gelb.
Gelb wurde zur Farbe des Verräters – und des Bösewichts überhaupt: Henker, Heuchler, Verbrecher, Falschmünzer, aber auch Neider und Geizhälse – auf den Theaterbühnen und in der Kunst trugen sie oft Gelb. Der Betrug färbte aber auch ab auf den Betrogenen, Gelb wurde zur Spottfarbe, machte den Träger lächerlich. Der gehörnte Ehemann etwa wurde mit ihr assoziiert oder Malvolio in Shakespeares „Was ihr wollt“: Den macht man glauben, dass die von ihm Verehrte gelbe Strümpfe an ihm liebt.
Hatte die Assoziation mit Schmutz und Täuschung vielleicht auch mit alter Färbepraxis zu tun? Darüber kann man nur spekulieren. Da Safran ein Luxusgut war, färbten man mit Reseda oder Ginster – auf den ersten Blick war das zwar strahlend schön, bald aber wurde es fahl und gräulich.
Sicher haben die französischen Gelbwesten auch nicht auf jene französischen Gewerkschafter anspielen wollen, die einst als „Gelbe“den „Roten“gegenüberstanden. „Gelbe“nannte man sie abwertend nach dem von ihnen verwendeten billigen gelben Papier, aber darin steckte der Vorwurf des Verrats – weil sie Streiks ablehnten und mit den Arbeitgebern kooperierten. Auch die sogenannten Werksgemeinschaften, die in der Weimarer Republik Arbeitgeber und Arbeitnehmer friedlich zusammenbringen wollten, wurden – wie die „yellow unions“in Großbritannien – mit Gelb assoziiert.
Das fahle Pferd der Apokalypse
Ganz frei vom Beigeschmack der Fäulnis, des Verderbens waren Gelbtöne freilich nie. Eine Spur zur Abwertung des Gelb im christlichen Europa führt auch über das „fahle“Pferd in der Apokalypse des Johannes. Gelbliche Pferde galten den Rittern im Mittelalter als minderwertig. Diese Verachtung für Tiere mit gelbstichigem Fell zieht sich durch die Geschichte. Sie drückte sich etwa in den USA in der Bezeichnung „Yellow Dogs“aus – für eiserne Stammwähler der Demokraten. Das soll auf eine Wahlkampfrede zurückgehen, die der spätere Präsident Abraham Lincoln 1848 gegen die Demokraten hielt. Jemand habe einmal behauptet, er habe entdeckt, wie er aus einem alten einen neuen Menschen machen könne, sagte er, und aus dem Restmaterial noch einen kleinen gelben Hund. Das Bild des Hundes für angeblich minderwertige Kandidaten, die die Demokraten ihren Wählern vorsetzten, hielt sich. Und wurde zur Bezeichnung der sich damit zufriedengebenden demokratischen Wähler.
Die umstrittenste Verwendung der Farbe Gelb in der österreichischen Politik fand wohl im Wahlkampf 1986 statt. Wollte die ÖVP auf ihren „Jetzt erst recht“-Plakaten für Kurt Waldheim einfach eine politisch kaum besetzte Signalfarbe einsetzen, wie heute die Gelbwesten? Oder wollte sie, wie manche meinten, bewusst mit dem „Judensterngelb“provozieren? FPÖ-Politiker Johann Gudenus jedenfalls zeigte sich vor einigen Jahren in einer Rede gegen die rot-grüne Stadtregierung mit der Geschichte des Gelb als Farbe des (jüdischen) Verrats vertraut: Wenn man die Farben Rot und Grün zusammenmische, erhalte man Gelb, erklärte er damals. „Und Gelb ist nicht umsonst in der christlichen Symbolik die Farbe des Judas.“