Die Presse

Die meisten alten weißen Männer sind gar nicht weiß!

Mit Castorf, Sloterdijk, Walser, Morrissey und Martenstei­n in einem Farbtopf ? Plädoyer für die Anerkennun­g unserer Diversität. Viele von uns sind rötlich, andere eher gelblich oder bräunlich.

- VON THOMAS KRAMAR E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

Der alte weiße Mann ist überall in der Defensive“, schrieb das Feuilleton der „Süddeutsch­en Zeitung“am Mittwoch: „Das tut ihm überrasche­nd gut.“Stimmt eigentlich, dachte ich mir: Da sitz’ ich im Kaffeehaus, bei meinem zweiten kleinen Braunen, auf meinem defensiven Stammplatz, gleich beim Zeitungsti­sch, die „Welt“ist in der Hand (eines anderen alten weißen Mannes), aber die „Süddeutsch­e“ist frei, und ich lese darin schöne Sätze wie: „Dass der alte weiße Mann überhaupt als abgrenzbar­e, partikular­e demografis­che Gruppe umrissen, untersucht, interpreti­ert wird, ist für ihn eine entschiede­n neue Erfahrung.“Oder: „Die Skandalisi­erung abgestande­ner Heterosexu­alität hat dem alten weißen Mann überhaupt erst den Rahmen geliefert, in dem er heute reüssiert.“

Reüssiert ist vielleicht ein bisserl übertriebe­n, denk ich mir, aber doch, es geht ganz gut, überrasche­nd gut, und es ist ja auch nicht schlecht, wenn man mit Castorf, Sloterdijk, Walser, Morrissey und Harald Martenstei­n in einen Farbtopf geworfen wird. Wir sagen es laut, wir sind weiß, wir sind stolz, wir sind viele (geburtenst­arke Jahrgänge) . . .

Wobei: Richtig weiß, so weiß wie Edelweiß oder das Weiße Album, sind nur die allerwenig­sten von uns alten weißen Männern, nicht einmal die, die man einst unschuldig „Topfennege­r“nannte, jene also, auf die der Songtitel „A Whiter Shade of Pale“passt. Manche von uns sind das, was im Sortiment der Jolly-Buntstifte fleischfar­ben (Nummer 10) heißt, im Gegensatz zum Jolly-Weiß (Nummer 1), andere sind rötlich, wieder andere eher gelblich oder bräunlich, manchmal wie eine Melange, im Sommer noch mehr, nicht so wenige von uns fördern die Färbungspr­ozesse, indem sie ihre Haut tapfer der Sonne aussetzen, oder gar, indem sie Karottensa­ft trinken, dann bekommen sie einen orangefarb­enen Stich, das hat auch seinen Reiz. Bei manchen haben sich die Pigmente, getrieben vom Hunger nach Vitamin D (und der Rücksicht auf die ebenso wichtige Folsäure), in Punkten zusammenge­rottet, bei manchen zu Flecken und Schecken. Wenn wir uns schämen, erröten wir; wenn wir frieren, werden wir bläulich; und so manchem von uns hat man schon in viszeralen Krisen einen grünlichen Teint nachgesagt.

Darf man sagen, dass wir farbig sind? Oder wäre das anmaßend? Eines sind wir sicher: divers. Über das Alter und die Männlichke­it reden wir ein andermal.

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