Die meisten alten weißen Männer sind gar nicht weiß!
Mit Castorf, Sloterdijk, Walser, Morrissey und Martenstein in einem Farbtopf ? Plädoyer für die Anerkennung unserer Diversität. Viele von uns sind rötlich, andere eher gelblich oder bräunlich.
Der alte weiße Mann ist überall in der Defensive“, schrieb das Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“am Mittwoch: „Das tut ihm überraschend gut.“Stimmt eigentlich, dachte ich mir: Da sitz’ ich im Kaffeehaus, bei meinem zweiten kleinen Braunen, auf meinem defensiven Stammplatz, gleich beim Zeitungstisch, die „Welt“ist in der Hand (eines anderen alten weißen Mannes), aber die „Süddeutsche“ist frei, und ich lese darin schöne Sätze wie: „Dass der alte weiße Mann überhaupt als abgrenzbare, partikulare demografische Gruppe umrissen, untersucht, interpretiert wird, ist für ihn eine entschieden neue Erfahrung.“Oder: „Die Skandalisierung abgestandener Heterosexualität hat dem alten weißen Mann überhaupt erst den Rahmen geliefert, in dem er heute reüssiert.“
Reüssiert ist vielleicht ein bisserl übertrieben, denk ich mir, aber doch, es geht ganz gut, überraschend gut, und es ist ja auch nicht schlecht, wenn man mit Castorf, Sloterdijk, Walser, Morrissey und Harald Martenstein in einen Farbtopf geworfen wird. Wir sagen es laut, wir sind weiß, wir sind stolz, wir sind viele (geburtenstarke Jahrgänge) . . .
Wobei: Richtig weiß, so weiß wie Edelweiß oder das Weiße Album, sind nur die allerwenigsten von uns alten weißen Männern, nicht einmal die, die man einst unschuldig „Topfenneger“nannte, jene also, auf die der Songtitel „A Whiter Shade of Pale“passt. Manche von uns sind das, was im Sortiment der Jolly-Buntstifte fleischfarben (Nummer 10) heißt, im Gegensatz zum Jolly-Weiß (Nummer 1), andere sind rötlich, wieder andere eher gelblich oder bräunlich, manchmal wie eine Melange, im Sommer noch mehr, nicht so wenige von uns fördern die Färbungsprozesse, indem sie ihre Haut tapfer der Sonne aussetzen, oder gar, indem sie Karottensaft trinken, dann bekommen sie einen orangefarbenen Stich, das hat auch seinen Reiz. Bei manchen haben sich die Pigmente, getrieben vom Hunger nach Vitamin D (und der Rücksicht auf die ebenso wichtige Folsäure), in Punkten zusammengerottet, bei manchen zu Flecken und Schecken. Wenn wir uns schämen, erröten wir; wenn wir frieren, werden wir bläulich; und so manchem von uns hat man schon in viszeralen Krisen einen grünlichen Teint nachgesagt.
Darf man sagen, dass wir farbig sind? Oder wäre das anmaßend? Eines sind wir sicher: divers. Über das Alter und die Männlichkeit reden wir ein andermal.