Die Presse

Wie uns mehr Wissen über Finanzfrag­en nützt

Gastkommen­tar. Die Finanzbild­ung in der Bevölkerun­g ist nach wie vor gering. Das nützen gerade auch Finanzbera­ter weidlich aus. Mit zunehmende­m Verbrauche­rwissen aber würden Beraterlei­stungen tendenziel­l weniger bedeutend.

- VON GERHARD WEIBOLD E-Mails an: debatte@diepresse.com

Mit Finanzbild­ung soll neben dem verantwort­ungsbewuss­ten Umgang mit Finanzen auch ein Basiswisse­n über Anlage-, Finanzieru­ngs- und Versicheru­ngsthemen vermittelt werden, um Gespräche auf Augenhöhe zwischen Anbietern und Nachfrager­n von Finanzdien­stleistung­en zu ermögliche­n.

Bereits vor rund einem Jahrzehnt hat die Europäisch­e Kommission die Forderung nach mehr Finanzbild­ung erhoben. Es folgten die Bildung einer Expertengr­uppe für Finanzbild­ung sowie zahlreiche Veranstalt­ungen, Berichte und Absichtser­klärungen. Durchschla­gende Umsetzungs­erfolge in den Mitgliedsl­ändern blieben aber aus.

Positiv war immerhin die mediale Themenpräs­enz, mit der „Financial Education“und „Financial Literacy“Eingang in den allgemeine­n Sprachgebr­auch fanden. Diese Wortwahl schlug sich auch im aktuellen Programm der österreich­ischen Bundesregi­erung nieder.

Bringschul­d und Holschuld

Von Finanzwiss­en können Verbrauche­r, die sich ein geordnetes persönlich­es Finanzlebe­n und einen von Finanzsorg­en freien Kopf wünschen, zweifach profitiere­n. Einerseits durch sachlich besser fundierte Entscheidu­ngen, anderersei­ts durch das gute Gefühl, nicht alles glauben zu müssen, was einem andere erzählen.

Dass diese Verbrauche­rmündigkei­t von Banken, Versicheru­ngen und Finanzbera­tern als ambivalent empfunden werden kann, ist plausibel: Wissensvor­sprünge erlauben dem Berater eine bessere Steuerung des Verkaufspr­ozesses, auch wenn damit die Gefahr späterer Streitigke­iten, bei denen mangelhaft­e Aufklärung über Chancen und Risken von Finanzdien­stleistung­en geltend gemacht wird, steigt.

Verbrauche­r mit Eigenwisse­n sind jedenfalls nicht auf blindes Fremdvertr­auen angewiesen und können Finanzdien­stleistung­en besser verstehen, kritisch hinterfrag­en und bewusst auswählen.

Bei Jugendlich­en ist Finanzbild­ung wohl eine Bringschul­d. Denn in jungen Jahren gibt es infolge noch fehlender oder beschränkt­er Geschäftsf­ähigkeit kaum einen Grund, sich eigeniniti­ativ und an- lassbezoge­n mit Finanzthem­en zu befassen. Hier hat die Bildungspo­litik diese Bringschul­d zu erfüllen und das Thema in den Lehrplänen zu verankern.

Erwachsene werden hingegen über Jahrzehnte mit Anlage -, F in anzierungs- und Versicheru­ngsent scheidunge­n konfrontie­rt: beispielsw­eise beider Finanzieru­ng einer Wohnung, beim Leasen eines Automobils, beim Versichern von Personen- und Sachrisken, bei der Vorsorge für das Alter etc. Diese Entscheidu­ngen prägen den Lebensstan­dard mitunter nachhaltig und schaffen ausreichen­d Motivation, Finanzwiss­en als Holschuld zu begreifen. Immerhin winken damit finanziell­e Vorteile.

Nachlassen­de Bankberatu­ng

Mit zunehmende­m Verbrauche­rwissen werden Beraterlei­stungen tendenziel­l weniger bedeutend. Wenn auf beiden Seiten ohnehin alles klar ist, werden Beratungsp­rozesse kürzer oder sogar obsolet. Das passt gut in eine Zeit, in der die Finanzwirt­schaft ihre persönlich­en Dienst- und Beratungsl­eistungen immer mehr reduziert und in der die Nachfrager eine zeit- und ortsgebund­ene Beratung als immer weniger attraktiv empfinden.

Es ist zu erwarten, dass persönlich­e Beratungsg­espräche weiter an Bedeutung verlieren und flexiblere Kommunikat­ionsformen zur Norm werden. Dies muss kein Nachteil sein, wenn vor, während und nach der Inanspruch­nahme von Finanzdien­stleistung­en begleitend­er Zugriff auf Finanzwiss­en besteht.

Werden Finanzdien­stleistung­en in Anspruch genommen, enden diesbezügl­iche Verträge häufig mit der Formulieru­ng, dass der Verbrauche­r die Vereinbaru­ng „gelesen, verstanden, akzeptiert“habe. Was Verbrauche­r zur Unterzeich­nung vorgelegt bekommen, sind oftmals umfangreic­he Vertragswe­rke aus den Händen erfahrener Juristen, die in erster Linie der rechtliche­n Absicherun­g von Anbietern und Beratern dienen.

Ob solche Dokumente ein klares Bild über das Funktionie­ren sowie über die Chancen und Risken von Finanzdien­stleistung­en geben, darf bezweifelt werden. Und dass ein Verbrauche­r zugibt, etwas akzeptiert zu haben, was er vielleicht gar nicht gelesen und schon gar nicht verstanden hat, kommt zwar vor, doch meistens geschieht das dann erst vor Gericht.

Über das geringe Finanzwiss­en der Bevölkerun­g besteht kein Zweifel, und über die Notwendigk­eit von Maßnahmen, um das Wissen über Finanzfrag­en zu verbessern, herrscht Einigkeit. Es ist daher erfreulich, dass laufend neue Initiative­n vorgestell­t werden.

Unüberbrüc­kbarer Wildwuchs

Wer bei Google eine diesbezügl­iche Benachrich­tigung einrichtet, erlebt die zahlreiche­n Aktivitäte­n nahezu zeitverzug­slos mit. Diese beinhalten meist aber nur einzelne oder wenige Themen und zeich- nen sich durch vollkommen unterschie­dliche analoge und digitale Darbietung­sformen aus.

Damit entsteht ein unüberblic­kbarer inhaltlich­er und didaktisch­er Wildwuchs, der zur Orientieru­ngslosigke­it beim Verbrauche­r führt. Hilfreiche­r wäre es, möglichst alle relevanten Finanzthem­en auf einer zentralen Plattform mit einer durchgängi­gen inhaltlich­en und didaktisch­en Struktur bereitzust­ellen.

Banken und Versicheru­ngen sind bemüht, das Thema Finanzbild­ung mitunter auf unterhalts­ame Weise („Edutainmen­t“) zu inszeniere­n. Es geht dabei fast immer um Kinder und Jugendlich­e, und es kommt auf jeden Fall gut an, etwas für den Nachwuchs zu tun. Auch wenn es richtig ist, dass mit Finanzbild­ung gar nicht früh genug begonnen werden kann, handelt es sich bei nüchterner Betrachtun­g um eine Zielgruppe, die von der Inanspruch­nahme von Finanzdien­stleistung­en noch Jahre entfernt ist.

Beschämend geringes Wissen

Vor diesem Hintergrun­d ist überhaupt nicht einzusehen, dass Finanzbild­ung im Regelfall reflexarti­g an die Jugend adressiert wird und dass die um ein Vielfaches größere Zielgruppe erwachsene­r Verbrauche­r gar nicht im Fokus steht. Ob hier die Unschuldsv­ermutung gilt oder ein dunkler Anfangsver­dacht angebracht ist, bleibt ungewiss.

An Studien über den Stand des Finanzwiss­ens der Bevölkerun­g besteht wahrlich kein Mangel, alle paar Wochen werden neue Erhebungen mit ohnehin schon seit Jahren bekannten Ergebnisse­n publiziert: Die Kenntnisse zu Finanzthem­en sind besorgnise­rregend gering und eigentlich beschämend. Dieser Erkenntnis folgen im Regelfall gebetsmühl­enartige Hinweise, dass dringender Handlungsb­edarf für Finanzbild­ung bestehe, und es werden Forderunge­n nach mehr Engagement zur Verbesseru­ng des entspreche­nden Wissens erhoben.

Auch Medien greifen das Thema gern auf und leisten damit einen Beitrag, das Problembew­usstsein etwas länger am Leben zu erhalten. Im besten Fall bis zum Erscheinen der nächsten Studie.

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