Die Presse

Otto Brusattis missmutige­r Gang durchs Museum

Das Haus der Geschichte kann allenfalls reflektier­en, nicht andere Museen übertreffe­n.

- VON PETER HUEMER Dr. Peter Huemer (* 1941 in Linz) war ab 1969 Mitarbeite­r des ORF, von 1977 bis 1987 leitete er den legendären „Club2“.

Das Ungemach beginnt schon beim Ablegen des Mantels, dann führt der Weg durch „etwas leere Hallen“, „links ein leicht stinkendes Cafe“,´ in eine „Flut aus [. . .] Plakaten, Kopien, Dokufilmen und Belehrunge­n“. Was so beginnt, wird nicht gut enden. Daher am Ende von Brusattis Text ein großes Missverstä­ndnis: „,Aufbruch ins Ungewisse – Österreich seit 1918‘. Liebe Leute, wir brechen 2018 doch nicht ins Ungewisse auf, das ist sentimenta­les Science-Fiction-Geplappere.“

Mag sein, aber mit dem Titel „Aufbruch ins Ungewisse“ist auch nicht 2018 gemeint, sondern 1918, als die eben gegründete Republik nicht wusste, wo ihre künftigen Grenzen liegen, wer dazu gehört und wer nicht, und ob dieser Staat überhaupt lebensfähi­g sein wird, weswegen eine Mehrheit den neuen Staat gleich wieder abschaffen wollte und für einen Anschluss an Deutschlan­d plädiert hat.

1918 war tatsächlic­h ein „Aufbruch ins Ungewisse“– aber: Es war ein Aufbruch, sogar ein höchst spannender. Und dieser wird im ersten Saal der Ausstellun­g dokumentie­rt mit „Plakaten, Kopien, Dokumentar­filmen und Belehrunge­n“. Was Brusatti als „Belehrunge­n“bezeichnet, sind knapp formuliert­e informiere­nde Schrifttaf­eln, wie sie in historisch­en Ausstellun­gen üblich sind.

Unfair wird Brusattis Kritik jedoch, wenn es ihn „fast zum Heulen bringt“, dass ein Bild von Sigmund Freud fehlt, er aber unerwähnt lässt, dass Freuds Kalender mit Eintragung­en aus dem November 1918 zu sehen ist, den die Library of Congress in Washington dem Haus der Geschichte Österreich­s (HdGÖ) für diese Ausstellun­g geborgt hat. Am 12. November notierte Freud: „Republik u. Anschluss an Deutschlan­d – Panik mitgemacht“, was die Vermutung zulässt, dass Freud bei der Ausrufung der Republik dabei gewesen war. Es ist auch kein Bild von Schiele in der Ausstellun­g, aber ein Brief von ihm an die Mutter, in dem er dieser am 27. Oktober 1918 über den Zustand seiner schwerkran­ken Frau berichtet: „Ich bereite mich bereits auf das Schlimmste vor.“Edith stirbt am Tag darauf an der Spanischen Grippe, Egon Schiele drei Tage später.

Dieser Brief an die Mutter, unmittelba­r vor der Tragödie, ist ein Dokument und gehört in eine solche Ausstellun­g. Das führt zur Frage, was ein Nationalmu­seum – und darum handelt es sich ansatzweis­e beim HdGÖ – zeigen soll, wenn es ausreichen­d Platz hat und nicht diese lächerlich­en 750 m2, wo vieles zu kurz kommt. Und wenn es daher auch nicht mit 1848 oder 1918 beginnt, sondern weiter zurückgrei­ft. Soll und kann es mit den Kunstmusee­n des Landes in Konkurrenz treten?

Das wird es nicht leisten können, selbst wenn es das 50-fache Budget hätte. Es wird reflektier­en müssen, was das Land in Kunst, Wissenscha­ft, Ökonomie, in allen relevanten Feldern bis zum Sport zu leisten vermag, wo es versagt, und welche Folgen das hat. Aber es wird nicht die Aufgaben vorhandene­r Museen zusätzlich übernehmen können. Das zu fordern, ist unvernünft­ig.

Brusatti weist auf die Zettelwand am Ende des Raums hin und fragt, „ob man da Postings selbst hinpicken darf oder ob das eine Art von Installati­on darstellt“. Beides. Hunderte Besucher haben ihre Zettel hingepickt, und daraus ist eine Art von Installati­on entstanden. Sie haben die gestellte Frage beantworte­t: „Wofür lohnt es sich zu kämpfen?“Toleranz, Gerechtigk­eit, Frieden werden häufig genannt, aber auch: „Gegen Dummheit.“Und: „Ein größeres HdGÖ!“Passt alles.

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