Macron, das Chaos und die Klassenkämpfe in Frankreich
Kriminelle ziehen sich gelbe Westen über, um zu plündern und Autos in Brand zu stecken. Das schadet den Gelbwesten – aber es entwertet nicht deren Anliegen.
Als Jörg Haider einmal Jacques Chirac als „Westentaschen-Napoleon“verspottete, war das sehr unfein. Es wäre ihm allerdings kaum eingefallen, den gegenwärtigen französischen Präsidenten so zu nennen, denn Emmanuel Macron erinnert eher an Marie-Antoinette. Die Leute können sich kein Benzin mehr leisten? Dann sollen sie halt Taxi fahren.
„La Republique´ En Marche“nannte Macron seinen Wahlverein, mit dessen Hilfe er Frankreich in „La Macronie“verwandelte. Jetzt marschiert die Republik wirklich, aber in eine andere Richtung, als es der ehemalige Investmentbanker und sozialistische Wirtschaftsminister gern hätte. Vor einem Jahr feierten ihn die Europhilen aller Couleur, natürlich auch in Österreich, als Lichtgestalt und Retter vor den Rechtspopulisten, als die europäische Antwort auf Trump und Brexit, als Anker der Stabilität. Jetzt ist der Jubelchor verstummt. Anders als in Ungarn, Polen oder Italien herrscht in Frankreich das Chaos.
Extremisten und gewöhnliche Kriminelle mit oder ohne Migrationshintergrund ziehen sich gelbe Westen über, um Autos in Brand zu stecken, Geschäfte zu plündern und Passanten zu terrorisieren. Sie nützen dem Regime, weil sie den legitimen Widerstand diskreditieren und die Bürger einschüchtern, die ohne Steinschleudern, Gasmasken und Brandsätze auf die Straße gehen. Die Steuererhöhungen stören die Chaoten am allerwenigsten, sie sind auf Krawall programmiert.
Der Einfluss der nationalen Rechten auf die Protestbewegung ist gering. In den Demonstrationen kommt ein spontaner Populismus zum Ausdruck, der sich den Parteien entzieht. Radikalen Linken und Gewerkschaftlern ist es dennoch gelungen, etliche gelbe Westen rot zu färben. Mit ihren Forderungen nach mehr Lohn, höheren Steuern für die Reichen und noch mehr Umverteilung unterminieren die Linken das eigentliche Anliegen der Gelbwesten, nämlich die Senkung der Verbrauchssteuern und der Steuern auf Löhne und Pensionen. Macron hat die Chance, die sich ihm da bie- tet, bereitwillig aufgegriffen. Am Montag kündigte er eine staatliche Aufstockung des Mindestlohns um 100 Euro und weitere Wohltaten an.
Aber wie will er das finanzieren, wenn nicht mit noch mehr Steuern und Krediten? Frankreich importiert afrikanische Migranten und exportiert französische Wissenschaftler und Unternehmer. Die wirtschaftliche Basis der Gesellschaft erodiert seit Jahrzehnten. Jeder fünfte Jugendliche ist arbeitslos, und die Steuern sind die höchsten in der EU.
In Frankreich werden jetzt zwei unterschiedliche Klassenkämpfe geführt. Einer davon ist der sozialistische, der fälschlich einen Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital konstruiert. Der andere ist viel älterer Natur, seine Geschichte begann mit den ersten Ansätzen der Staatlichkeit. Es ist der Kampf zwischen den Produzenten und den Enteignern – zwischen denen, die den Reichtum schaffen, und dem Staat mitsamt seinen Agenten und Klienten, der davon immer mehr konfisziert und nach Belieben für sich behält oder umverteilt.
Die Franzosen, die auf ihr Auto angewiesen sind und sich die Fahrt zum Arbeitsplatz nicht mehr leisten können, wollen nicht noch eine ökofiskalische Enteignung hinnehmen, um den Planeten vor fossilen Brennstoffen und einer fiktiven Klimakatastrophe zu retten. Steuerrevolten haben dort Tradition, mit einer solchen Revolte begann auch schon die Französische Revolution.
In den 1950er-Jahren mobilisierte Pierre Poujade die Handwerker und die Kaufleute in den kleineren Städten zum Steuerboykott. Im Sommer 2000 provozierte die Ökobesteuerung von Benzin und Diesel eine Protestbewegung, die von Frankreich ausgehend auf England, die Niederlande, Belgien und schließlich auch auf die Bundesrepublik Deutschland übergriff. Das könnte sich wiederholen. Denn wegen der absurden Dieselfahrverbote könnte die Stimmung bald auch in Deutschland kippen.