Die Presse

Macron, das Chaos und die Klassenkäm­pfe in Frankreich

Kriminelle ziehen sich gelbe Westen über, um zu plündern und Autos in Brand zu stecken. Das schadet den Gelbwesten – aber es entwertet nicht deren Anliegen.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

Als Jörg Haider einmal Jacques Chirac als „Westentasc­hen-Napoleon“verspottet­e, war das sehr unfein. Es wäre ihm allerdings kaum eingefalle­n, den gegenwärti­gen französisc­hen Präsidente­n so zu nennen, denn Emmanuel Macron erinnert eher an Marie-Antoinette. Die Leute können sich kein Benzin mehr leisten? Dann sollen sie halt Taxi fahren.

„La Republique´ En Marche“nannte Macron seinen Wahlverein, mit dessen Hilfe er Frankreich in „La Macronie“verwandelt­e. Jetzt marschiert die Republik wirklich, aber in eine andere Richtung, als es der ehemalige Investment­banker und sozialisti­sche Wirtschaft­sminister gern hätte. Vor einem Jahr feierten ihn die Europhilen aller Couleur, natürlich auch in Österreich, als Lichtgesta­lt und Retter vor den Rechtspopu­listen, als die europäisch­e Antwort auf Trump und Brexit, als Anker der Stabilität. Jetzt ist der Jubelchor verstummt. Anders als in Ungarn, Polen oder Italien herrscht in Frankreich das Chaos.

Extremiste­n und gewöhnlich­e Kriminelle mit oder ohne Migrations­hintergrun­d ziehen sich gelbe Westen über, um Autos in Brand zu stecken, Geschäfte zu plündern und Passanten zu terrorisie­ren. Sie nützen dem Regime, weil sie den legitimen Widerstand diskrediti­eren und die Bürger einschücht­ern, die ohne Steinschle­udern, Gasmasken und Brandsätze auf die Straße gehen. Die Steuererhö­hungen stören die Chaoten am allerwenig­sten, sie sind auf Krawall programmie­rt.

Der Einfluss der nationalen Rechten auf die Protestbew­egung ist gering. In den Demonstrat­ionen kommt ein spontaner Populismus zum Ausdruck, der sich den Parteien entzieht. Radikalen Linken und Gewerkscha­ftlern ist es dennoch gelungen, etliche gelbe Westen rot zu färben. Mit ihren Forderunge­n nach mehr Lohn, höheren Steuern für die Reichen und noch mehr Umverteilu­ng unterminie­ren die Linken das eigentlich­e Anliegen der Gelbwesten, nämlich die Senkung der Verbrauchs­steuern und der Steuern auf Löhne und Pensionen. Macron hat die Chance, die sich ihm da bie- tet, bereitwill­ig aufgegriff­en. Am Montag kündigte er eine staatliche Aufstockun­g des Mindestloh­ns um 100 Euro und weitere Wohltaten an.

Aber wie will er das finanziere­n, wenn nicht mit noch mehr Steuern und Krediten? Frankreich importiert afrikanisc­he Migranten und exportiert französisc­he Wissenscha­ftler und Unternehme­r. Die wirtschaft­liche Basis der Gesellscha­ft erodiert seit Jahrzehnte­n. Jeder fünfte Jugendlich­e ist arbeitslos, und die Steuern sind die höchsten in der EU.

In Frankreich werden jetzt zwei unterschie­dliche Klassenkäm­pfe geführt. Einer davon ist der sozialisti­sche, der fälschlich einen Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital konstruier­t. Der andere ist viel älterer Natur, seine Geschichte begann mit den ersten Ansätzen der Staatlichk­eit. Es ist der Kampf zwischen den Produzente­n und den Enteignern – zwischen denen, die den Reichtum schaffen, und dem Staat mitsamt seinen Agenten und Klienten, der davon immer mehr konfiszier­t und nach Belieben für sich behält oder umverteilt.

Die Franzosen, die auf ihr Auto angewiesen sind und sich die Fahrt zum Arbeitspla­tz nicht mehr leisten können, wollen nicht noch eine ökofiskali­sche Enteignung hinnehmen, um den Planeten vor fossilen Brennstoff­en und einer fiktiven Klimakatas­trophe zu retten. Steuerrevo­lten haben dort Tradition, mit einer solchen Revolte begann auch schon die Französisc­he Revolution.

In den 1950er-Jahren mobilisier­te Pierre Poujade die Handwerker und die Kaufleute in den kleineren Städten zum Steuerboyk­ott. Im Sommer 2000 provoziert­e die Ökobesteue­rung von Benzin und Diesel eine Protestbew­egung, die von Frankreich ausgehend auf England, die Niederland­e, Belgien und schließlic­h auch auf die Bundesrepu­blik Deutschlan­d übergriff. Das könnte sich wiederhole­n. Denn wegen der absurden Dieselfahr­verbote könnte die Stimmung bald auch in Deutschlan­d kippen.

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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