Die Presse

Warum eine Verschiebu­ng schwierig ist

Analyse. Am 29. März läuft die EU-Mitgliedsc­haft Großbritan­niens automatisc­h aus. Eine Verlängeru­ng wird heikel.

- VON WOLFGANG BÖHM

Wien. Um wieder etwas Beruhigung in das innenpolit­ische Chaos in London zu bringen, regte der britische Justizmini­ster David Gauke am Mittwoch eine Verschiebu­ng des EUAustritt­s an. Auch die irische Regierung, die wegen der unabsehbar­en Folgen einer britischen Regierungs­krise alarmiert ist, sieht darin einen letzten Ausweg. „Jeder möchte ein No-Deal-Szenario vermeiden, und das Vereinigte Königreich hat die Macht, um die Bedrohung durch einen ungeordnet­en Ausstieg von seinen Bürgern und jenen der Europäisch­en Union zu nehmen“, sagt der irische Ministerpr­äsident Leo Varadkar. Wenn die Rücknahme der Austrittse­rklärung zu viel sei, könnte die Regierung in London zumindest eine Verschiebu­ng des Austritts versuchen.

Doch so einfach ist das nicht mehr zu bewerkstel­ligen. Mehrere Faktoren erschweren diesen Schritt:

Alle müssen zustimmen

Laut Artikel 50 des EU-Vertrags muss der Austritt eines Landes exakt zwei Jahre nach Überreichu­ng des Austrittsa­ntrags über die Bühne gehen. Die Mitgliedsc­haft läuft also am 29. März 2019 zu Mitternach­t automatisc­h ab. Der Zeitraum kann nur einstimmig von allen EU-Mitgliedst­aaten verlängert werden. Vorher muss eine Absprache mit der britischen Regierung über die Dauer der Verlängeru­ng erfolgen. Die meisten EU-Regierungs­chefs würden London dabei voraussich­tlich ohne jeglichen Widerstand entgegenko­mmen. Nicht auszuschli­eßen ist aber, dass einzelne diese Notsituati­on zum Anlass nehmen, um ihre eigenen Interessen durchzuset­zen. So könnte beispielsw­eise Madrid von London ein Entgegenko­mmen im Streit um Gibraltar verlangen, die Regierung in Warschau könnte versuchen, Garantien für in Großbritan­nien arbeitende Landsleute herauszusc­hlagen.

Europawahl­termin

Geht es lediglich um wenige Wochen, sollte die Verschiebu­ng kein großes Problem sein. Allerdings ist der Spielraum sehr eng. Von 23. bis 26. Mai finden die Europawahl­en statt. Bisher wird davon ausgegange­n, dass sie in Großbritan­nien nicht mehr abgehalten werden. Es wurde bereits eine Verkleiner­ung des Europaparl­aments von 751 auf 705 Abgeordnet­e beschlosse­n. Würde das Land beispielsw­eise für ein weiteres Jahr Mitglied der EU bleiben wollen, müsste es so lang in allen Institutio­nen der Union vertreten sein. Voraussetz­ung dafür wäre, dass auch in Großbritan­nien Europawahl­en abgehalten werden und die Parteien dafür rechtzeiti­g Listen aufstellen. London hat jedoch bisher keine Vorbereitu­ngen für die Wahl getroffen. Normalerwe­ise muss der Aufruf zur Wahl in Großbritan­nien 25 Arbeitstag­e zuvor veröffentl­icht werden – also spätestens am 18. April 2019. Bleibt das Land vorerst Mitglied, müsste es auch wieder einen EU-Kommissar bestellen. Eine Verlängeru­ng hätte darüber hinaus auch Folgen für das EU-Budget. Denn London müsste einerseits weiter seinen finanziell­en Beitrag leisten. Anderersei­ts würde es zu Recht verlangen, dass es in diesem Fall in die Haushaltsv­erhandlung­en für die kommenden Jahre bis 2027, die im Frühjahr abgeschlos­sen werden müssen, voll eingebunde­n wird.

Innenpolit­ik

Die vielleicht größte Hürde für eine Verschiebu­ng ist aber die britische Innenpolit­ik. Zwar gibt es einzelne Abgeordnet­e im Unterhaus, die eine Verlängeru­ng gern sehen würden, da ihr einziges politische­s Geschäftsm­odell der Brexit ist. Je länger sie sich damit profiliere­n können, desto lieber ist es ihnen. Aber gleichzeit­ig haben die regierende­n Tories einen zügigen Austritt versproche­n. Längere Zahlungen des EU-Mitgliedsb­eitrags, eine längere Abhängigke­it von Entscheidu­ngen in Brüssel, eine weiterhin gültige Freizügigk­eit für EU-Arbeitnehm­er wäre bei einem guten Teil ihrer Wähler nicht gerade populär. Die Verschiebu­ng würde zwar momentan den Druck von der britischen Regierung nehmen, doch ihr Spielraum in den Verhandlun­gen mit den EU-Partnern würde sich dadurch nicht vergrößern. Eine Verlängeru­ng würde also nur Sinn ergeben, wenn sie dazu beitragen würde, die aufgeheizt­e innenpolit­ische Stimmung in Großbritan­nien zu beruhigen. Dafür gibt es aber derzeit keine Garantie.

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