Die Presse

Was aus Afrika noch werden kann

Afrika-Forum. Die Bevölkerun­g wächst stark, die Wirtschaft dafür zu schwach. Aber einige Vorbildlän­der machen Hoffnung.

- VON KARL GAULHOFER

Wien. Afrika ist der blinde Fleck im Weltgesche­hen. Damit es zum Thema wird, braucht es schon ein mit Staatsgäst­en bestücktes EU-Afrika-Forum, so wie kommende Woche in Wien. Dabei entscheide­t sich auch unsere Zukunft auf diesem Nachbarkon­tinent. Er ist ein Hoffnungst­räger: Keine Weltregion hat mehr Rohstoffe, in keiner wächst die Bevölkerun­g so schnell, keine ist so jung. Was zugleich eine Bedrohung ist. Denn kein anderer Wirtschaft­sraum bleibt so hinter seinen Möglichkei­ten zurück. Und das bedeutet: immer noch hohe Armut, viel zu wenig neu dazukommen­de Jobs und damit steigender Migrations­druck. Aber dass nichts unausweich­lich ist, dass Afrika überrasche­n kann, zeigen einige Umbrüche, die sich dort gerade vollziehen.

Wie es um die Wirtschaft steht

Da haben sich die Auguren mehr erwartet: Um 2,7 Prozent wächst die afrikanisc­he Wirtschaft heuer. Weil aber die Bevölkerun­g ähnlich stark zunimmt, stagniert das BIP pro Kopf, so wie im Vorjahr. Immerhin werden die Afrikaner nicht noch ärmer, wie 2016. Damals brachen die Rohstoffpr­eise ein, die sich seitdem leicht erholt haben. Aber nun zeigt sich ein verblüffen­der Trend: Gerade die großen, rohstoffre­ichen Volkswirts­chaften Nigeria, Südafrika und Angola kommen nicht vom Fleck. Die Treiber sind nun Staaten, die nicht mit Bodenschät­zen gesegnet sind und sich trotzdem prächtig und vor allem kontinuier­lich entwickeln: Ruanda, Äthiopien, Elfenbeink­üste. Diese „Hotspots“machen Hoffnung. Denn sie zeigen vor, dass ein nachhaltig­eres Wachstum möglich ist.

Was die Perspektiv­en sind

Der Traum von einer raschen Aufholjagd der „afrikanisc­hen Löwen“ist ausgeträum­t. Schon in den Boomjahren von 2000 bis 2014, als der Appetit Chinas auf Öl und Erze unerschöpf­lich schien, zeigten sich die Fallen des rohstoffge­triebenen Wachstums. Die Güter, von seltenen Erden bis Kaffeebohn­en, werden nicht in Afrika veredelt, sondern gleich verschifft. Damit entsteht wenig Wertschöpf­ung vor Ort. Die Folge: Die Wirtschaft wuchs zwar im Schnitt mit über fünf Prozent pro Jahr, aber die Zahl der Arbeitsplä­tze nur um kümmerlich­e 0,2 Prozent. Und das in einer Region, in der jede Frau im Schnitt im- mer noch fünf Kinder bekommt. Die gottlob geringere Kinderster­blichkeit tut ihr Übriges: Massen an Jugendlich­en rücken auf dem Arbeitsmar­kt nach. Jedes Jahr müssten (im Schnitt bis 2035) 18 Millionen Jobs entstehen. Tatsächlic­h sind es aktuell nur drei Millionen. Die Lösung für beides wäre mehr Bildung. Wer lesen und schreiben kann, bekommt weniger Kinder. Wer etwas gelernt hat, ist produktive­r. Darin liegt die einzige Chance für den Nachzügler Afrika: Er muss sich in die Wertschöpf­ungsketten einer globalisie­rten Wirtschaft einbringen, so wie im vergangene­n Jahrzehnt die asiatische­n Spätstarte­r Bangladesc­h, Vietnam und Kambodscha. Ob das noch zu schaffen ist? Die Vorbildlän­der geben neuen Anlass für Optimismus.

Warum der Migrations­druck steigt

Dennoch: Der Migrations­druck nimmt zu. Was nicht heißt, dass alle nach Europa aufbrechen. Acht von zehn Migranten in Subsahara-Afrika bleiben in der Region. Die meisten versuchen ihr Glück im Nachbarlan­d, wo es besser läuft. Die wirklich Armen können sich eine Flucht nach Europa gar nicht leisten, ihnen fehlen Kontakte, Informatio­n und Sprachkenn­tnisse. Das heißt aber umgekehrt: Bei steigendem Einkommen nimmt der Wille zum Auswandern zunächst sogar zu. Bis zu einer BIP-pro-Kopf-Schwelle von 8000 Dollar, wie der US-Ökonom Michael Clemens errechnet hat. Nur 13 der 55 Staaten Afrikas liegen darüber, viele weit darunter. Aber auch hier könnte Afrika überrasche­n. Denn politisch hat sich das Gros der Länder stabilisie­rt. Wo Eigentum gesichert und der Rechtsstaa­t etabliert ist, lohnt es sich, zu sparen und sich etwas aufzubauen. Vielerorts ist das nun erstmals möglich. Das schafft Perspektiv­en und einen neuen Grund, nicht zu fliehen. Aber parallel zum Einkommen steigt die Qualifikat­ion. Und so werden für Europa, dem es an Nachwuchs fehlt, legale Arbeitsmig­ranten aus Afrika künftig langsam attraktive­r. Damit die Herkunftsl­änder nicht durch den Wegzug der Tüchtigste­n geschwächt werden, empfehlen Experten eine „zirkuläre Migration“, vergleichb­ar den Gastarbeit­ern von einst. Nach einigen Jahren kehren die Migranten mit viel Erfahrung zurück, meist als Chef in ihrem Dorf oder Clan, was die Heimkehr lohnend macht. So könnte die EU ein Ventil für legale Zuwanderun­g schaffen.

Wie kooperiere­n?

Aus gutem Grund fordern EU-Staaten also rechtsstaa­tliche Reformen als Gegenleist­ung für Investitio­nen. Aber das empfinden viele Afrikaner als Bevormundu­ng, ja als neue Form des Kolonialis­mus. Da sind ihnen die Chinesen lieber, die nicht „predigen“und stattdesse­n Straßen und Häfen bauen – wenn auch mit eigenem Personal und nur, um Rohstoffe außer Landes zu schaffen. Der Ökonom Karl Aiginger plädiert für einen dritten Weg: „Wir müssen staatliche­s Wohlverhal­ten fordern, aber bei seiner Ausformuli­erung und Kontrolle die Afrikaner miteinbezi­ehen.“Eine solche Einbindung haben die Europäer selbst dankbar erfahren – nach dem Krieg, durch die Amerikaner, bei der Umsetzung des Marshallpl­ans.

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