Raimund, leicht zerrauft
Theater in der Josefstadt. Als Weihnachtspremiere wurde ein sicherer Renner gewählt: Raimunds „Bauer als Millionär“mit Michael Dangl. Dieser Sir ist für einen Parvenu keine ideale Besetzung. Als hohes Alter begeistert Wolfgang Hübsch.
„Der Bauer als Millionär“als Weihnachtspremiere in der Josefstadt.
Auf leisen Sohlen schleicht das Alter heran. Doch manchen überfällt es jäh und grausam. Bauer Wurzel hat seine Pflegetochter übel behandelt und aus dem Haus geworfen. Die Strafe folgt prompt, ob von Gott, Göttern, Geistern gesandt oder einfach vom Schicksal, mag sich jeder aussuchen, je nach seinem spirituellen Standpunkt. Wurzels vitale Lebenstriebe erlöschen komplett. Solche Tragödien kommen in der Wirklichkeit öfter vor. Instinktiv fand der Dichter-Schauspieler Raimund hier eine zeitlose und lebensnahe Konstellation.
Josef E. Köpplinger, der für das Theater in der Josefstadt den „Bauer als Millionär“inszenierte, zeigt Fortunatus Wurzel und seine Pflegetochter ohne psychische Untiefen. Auch andere Möglichkeiten, diesen geliebten Wiener Klassiker auf die Bühne zu bringen, hat Köpplinger verschmäht, das Märchen, das Gleichnis – oder den Alptraum.
Was wollte er mit seiner Inszenierung? Das bleibt unklar. Die Aufführung zerfällt in mehr oder weniger überzeugende Bilder. Großartig ist der Mittelteil. Hier ist auch das Stück am stärksten. Die Jugend sucht den aufgeblasenen Bauern auf, um sich zu verabschieden. Die Sopranistin Theresa Dax trägt lachsfarbene Hosen, sie könnte lebhafter spielen, aber sie singt sehr schön. Auf sie folgt der Clou des Abends. Das hohe Alter ist ja die heimliche Hauptrolle im „Bauer“. Wolfgang Hübsch erscheint im Eisnebel als Gentleman im Gehrock, der sich durchs Haar fährt und sich wie ein Gestaltwandler im Film in einen lallenden Hinfälligen ver- wandelt, dem entsetzten Bauern plastisch vorführend, was ihn erwartet. Michael Dangl hat den „Verschwender“, den „Zerrissenen“gespielt, den „Schwierigen“. Er ist ein Publikumsliebling, aber auch ein erster Schauspieler. Der Wurzel, hier skurril zerrauft, ist keine ideale Rolle für ihn, speziell, wie er von der Regie angelegt ist, als grober Kerl, dessen Läuterung unscharf bleibt. Dangl hat eine wohltönende Stimme, hier muss er schnarren. Trotzdem ist er sprachlich souverän und zeigt sein Format, wenn er etwa seinem Diener von dem finsteren Wunder erzählt, das ihn reich werden ließ, wenn er sich mit kräftiger Hand an die Jugend klammert oder sein Geld verflucht.
Auf natürlichere Weise völlig authentisch wirkt Johannes Seilern als Wurzels Kammerdiener Lorenz, der mildere Verwandte des miesen Wolf aus dem „Verschwender“. Raimund hatte oft Bedenken, seine Stücke könnten zu wenig amüsant sein. Diese Sorge plagte sichtlich auch Köpplinger. An Geister glaubt er nicht, Vertreter der höheren Kräfte zeigt er als lächerliche Taschenspieler. Witzig: Alexander Pschill in der Paraderolle des patscherten Ajaxerle, „Magier aus Donaueschingen“. Wie sich Raimund über die Dialekte der Monarchie und der deutschen Nachbarn lustig machte, das ist ein essenzieller Teil des Stücks. Aber zu Beginn dominiert die melodramatische Lacrimosa (Alexandra Krismer), deren Klage seltsamerweise unfreiwillig komisch wirkt.
Walter Vogelweiders Bühnenbild offenbart morsche Behausungen und metallische Kühle. Modisch sind die Kostüme (Alfred Mayerhofer), einfallslos die Zusatzstrophen zu den Couplets. Das junge Paar wirkt charmant: Lisa-Carolin Nemec als Lottchen und Tobias Reinthaller als unmotiviert hektischer Fischer Karl. Julia Stemberger erfreut als würdige Zufriedenheit. Köpplinger bringt allerlei Fantasy, eine Horde schwarzhaariger Trolle, Elemente aus „(T)Raumschiff Surprise“. Der Hass und der Neid sehen aus wie Punker und sind Karikaturen statt der mächtigen Kräfte, die sie darstellen sollten. Exzellent einstudiert ist die Musik, selten sang das Josefstädter Ensemble so harmonisch.
Köpplinger ist auch Opernregisseur und seit 2012 Intendant des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München. Dieser „Bauer“ist sorgfältig einstudiert, aber die richtige heutige Form für dieses Werk ist noch immer nicht gefunden. Das Publikum applaudierte dem beliebten Stück begeistert und der „Hervorrufungen“(wie man früher sagte) für Hübsch und Dangl war kein Ende. Es führt jedoch, bei allem Respekt vor Regisseuren, denen Kitsch verhasst ist, nur ein Weg zurück, dem Theater wieder mehr Leben einzuhauchen: Romantik. Und wenig wäre dazu geeigneter als Raimund.