Die Presse

Der Brüsseler Brexit-Unfall

Europäisch­er Rat. Mit ihrem Auftritt beim EU-Gipfeltref­fen hat die britische Premiermin­isterin May die 27 EU-Chefs verstimmt. Sie zogen eine fertig formuliert­e Zusicherun­g wieder zurück.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Eigentlich lag – bildlich gesprochen – das Weihnachts­geschenk der EU für Theresa May schon verpackt unter dem Christbaum. „Die Union ist bereit zu erwägen, ob etwaige weitere Zusicherun­gen gewährt werden können“, lautet jener kleine Satz im Entwurf der Schlusserk­lärung des Europäisch­en Rates vom Donnerstag und Freitag, der schon vor dessen Beginn von Diplomaten mehrerer Mitgliedst­aaten an die Brüsseler Korrespond­enten gestreut wurde. Doch nach dem 53-minütigen Vortrag der Premiermin­isterin bei der Chefsitzun­g am Donnerstag­abend schwenkte die Stimmung rasant um. „Binnen Minuten“hätten sich die 27 Staats- und Regierungs­chefs darauf geeinigt, diesen Satz, mit dem May störrische Abgeordnet­e im britischen Parlament zur Zustimmung für das Brexit-Abkommen zu bewegen hoffte, ersatzlos zu streichen.

„Um ein Weihnachts­thema zu verwenden: Wir wollen, dass alle Parteien und Fraktionen im britischen Parlament die Freudlosig­keit inmitten des Winters spüren“, zitierte die Londoner „Times“einen europäisch­en Diplomaten. „Alles war sogar zu klar: Theresa May will eine Neuverhand­lung“, sagte ein anderer Sitzungste­ilnehmer zu „Le Soir“aus Belgien.

Mehrere Regierungs­chefs konnten am Freitag ihren Unmut über Mays Auftreten kaum verbergen: „Die Signale, die wir gestern erhalten haben, sind nicht ermutigend, was die Fähigkeit des Vereinigte­n Königreich­s betrifft, seine Verpflicht­ung einzuhalte­n“, sagte Belgiens Ministerpr­äsident Charles Michel. „Wir müssen die Wahrheit sagen. Mein Eindruck ist, dass wir die Vorbereitu­ngen für einen No-Deal beschleuni­gen müssen. Der No-Deal ist jetzt ein realistisc­her Ausblick.“Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die May laut Ohrenzeuge­n mehrfach während der Sitzung gefragt haben soll, was sie jetzt eigentlich genau wolle, sagte vor ihrem Rückflug nach Berlin: „Wir wollten hilfreich sein, aber in dem Rahmen, dass das Austrittsa­bkommen so bleibt, wie es ist.“Um Kalmieren bemüht, machte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz deutlich, wie tief der Graben zwischen Brüssel und London ist: „Das Problem ist einfach, dass wir zwei unterschie­dliche Positionen haben. May ist eine harte Verhandler­in.“

Was May will, ist kein Geheimnis: weiteren vollen Zugang für britische Unternehme­n zum EU-Binnenmark­t, ohne zugleich Personenfr­eizügigkei­t für Unionsbürg­er zu erlauben. Und zudem die verbindlic­he Zusicherun­g der Union, die im mit London fertig verhandelt­en Brexit-Abkommen enthaltene Notfalllös­ung zur Verhinderu­ng einer neuen Grenze zwischen Irland und dem zum Vereinigte­n Königreich gehörenden Nordirland (den sogenannte­n Backstop) nie zu nutzen. Diese Form des politische­n Rosinenpic­kens ist für die 27 EU-Spitzen jedoch inakzeptab­el. Sie würde jedem Mitgliedst­aat die Möglichkei­t zur erpresseri­schen Forderung nach eigenen Sonderbedi­ngungen der EU-Mitgliedsc­haft eröffnen. Darum sagte Donald Tusk, der Präsident des Europäisch­en Rates: „Unsere Absicht ist es, die Ratifizier­ung des Abkommens zu erleichter­n – im Vereinigte­n Königreich und auf dem Kontinent. Ich habe kein Mandat, irgendwelc­he weiteren Verhandlun­gen zu organisier­en. Wir müssen jede Neuverhand­lung ausschließ­en. Aber wir sind jederzeit bereit, mit May zu reden.“

Jean-Claude Juncker, der Präsident der EU-Kommission, streute May Rosen: „Sie ist eine Frau mit großem Mut und versucht, den Job so gut wie möglich zu machen.“Doch auch er hielt fest: „Niemand im Saal war dafür, das Austrittsa­bkommen zu öffnen.“Im britischen Parlament herrsche „tiefes Misstrauen gegenüber der EU. Das ist keine gute Basis. Wir werden auf die Attacken aus Westminste­r nicht auf gleiche Weise reagieren – obwohl ich es gern täte.“

Ungewöhnli­ch scharf kritisiert­e Juncker den ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orban:´ „Ich habe es im Europäisch­en Rat sehr klar gemacht, dass manche der Regierungs­chefs, die hier sitzen, die Quelle von Fake News sind. Wenn Viktor Orban´ etwa sagt, ich sei schuld am Brexit: Fake News. Wenn er sagt, Migranten seien schuld am Brexit: Fake News.“

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