Der Kosovo legt sich eine Armee zu
Westbalkan. Serbiens Führung warnt vor einem neuen Krieg. Das kosovarische Parlament beschloss gegen den ausdrücklichen Rat der EU und der Nato, offizielle Streitkräfte aufzubauen.
Kriegsgerät, das über die holprigen Straßen des Kosovo rumpelte, kündigte die militärische Zeitenwende in Europas Armenhaus an. Mit einer Kolonne von 70 Panzerfahrzeugen rollte die internationale Schutztruppe KFOR am Vorabend der historischen Parlamentssitzung in den serbisch besiedelten Nordkosovo ein. Aus Angst vor neuen Spannungen.
Beifallumtost stimmten indes am Freitag 106 der 120 Abgeordneten in Prishtina für die Umwandlung der bisherigen Sicherheitskräfte in reguläre Streitkräfte. „Von jetzt ab haben wir offiziell eine Kosovo-Armee!“, jubilierte danach Parlamentsvorsitzender Kadri Veselli. Von der eigentlich dafür notwendigen Verfassungsänderung sah die Versammlung ab.
Die Mannschaftsstärke der leicht bewaffneten Sicherheitskräf- te soll von 2200 (nach anderen Zahlen etwa 4000) auf 5000 Soldaten erhöht werden. Doch bis daraus tatsächlich eine schlagkräftige Armee wird, dauert es nicht nur aus logistischen, sondern auch aus finanziellen Gründen noch Jahre: Für eine schnellere Aufrüstung fehlen dem bitterarmen Balkanstaat einfach die Mittel.
Die Abgeordneten der Serbischen Liste blieben dem Parlament am Freitag aus Protest fern. Belgrad tobt. Die Schaffung einer KosovoArmee stehe „im völligen Gegensatz“zu allen internationalen Abkommen, klagte Serbiens Präsident, Aleksandar Vuciˇc.´ Die „Terroristen“hätten die „sogenannte Kosovo-Armee“nur geschaffen, „um Serbien und die Serben anzugreifen“, wetterte Verteidigungsminister Aleksandar Vulin: „Doch unsere Bürger können beruhigt sein: Sie haben die absolute Unterstützung unserer Armee und unseres Präsidenten.“
Nicht nur zahlreiche EU-Partner, auch die Nato hatte Prishtina von der von den USA und Großbritannien unterstützten Umwandlung der Sicherheitskräfte in eine Armee zum derzeitigen Zeitpunkt ausdrücklich abgeraten. Er bedauere, dass die Entscheidung trotzdem getroffen worden sei, erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: „Alle Seiten müssen sicherstellen, dass die heutige Entscheidung die Spannungen in der Region nicht noch weiter erhöht.“
Tatsächlich ist in der labilen Region nicht mehr das von Brüssel forcierte Bemühen um Ausgleich, sondern wieder Grabenkrieg angesagt. Der EU, die bis vor Kurzem noch auf ein rechtlich bindendes Nachbarschaftsabkommen hoffte, scheint die Kontrolle in ihrem Wartesaal zusehends zu entgleiten. Erst verhinderte Belgrad mit einer Lobby-Kampagne im November die Aufnahme des Kosovo in die internationale Polizeiorganisation Interpol. Dann verhängte Prishtina zum Ärger Belgrads 100-prozentige Einfuhrsteuern auf serbische Importe.
Die EU-Appelle zur Rücknahme der das Freihandelsabkommen Cefta verletzenden Strafzölle stoßen in Prishtina bisher auf taube Ohren. Die EU hat in den Augen vieler Kosovaren ihre Glaubwürdigkeit verloren, weil sie die mehrfach zugesagte Aufhebung der Visumpflicht für Einreisen ins Schengenreich erneut aufgehoben hat, obwohl alle technischen Bedingungen erfüllt sind.
Ohne überzeugende Köder hat Brüssel gegenüber dem noch Lichtjahre von der EU entfernten Kosovo kaum Druckmittel in der Hand. Über Serbien ist Prishtina verärgert, von der EU indes derzeit vor allem enttäuscht. Verstärkt scheint sich das Miniland wieder in Richtung der USA zu orientieren: Auffallend zahlreich waren am Tag der Armeegründung US-Flaggen im Land gehisst.
Auch die von Serbiens Präsident Vuciˇc´ und seinem Kosovo-Amtskollegen, Hashim Thaci,¸ ins Spiel gebrachte und von der EU-Kommission zunächst unterstützte Idee eines Gebietsabtauschs stoßen in Prishtina eher auf Skepsis. Mit der Umpolung der Gespräche über die Normalisierung der Beziehungen beider Staaten in Verhandlungen über Territorien und Grenzen habe EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini „den Dialog gekillt“und den Westbalkan „destabilisiert“, poltert Premier Haradinaj.