Die Presse

„Antisemiti­smus ist ein No-go“

Interview. Ümit Vural, der neue Präsident der Islamische­n Glaubensge­meinschaft, hält das Tragen eines Kopftuchs für eine Gewissense­ntscheidun­g. Imame will er in Österreich ausbilden, das Verbot von türkischen Imamen sieht er aber kritisch.

- SAMSTAG, 15. DEZEMBER 2018 VON ERICH KOCINA

Die Presse: Sie haben gemeint, dass sich viele Muslime als Bürger zweiter Klasse fühlten. Weil sie schlecht vertreten werden? Ümit Vural: Das ist eine Seite. Aber wenn man sich die Politlands­chaft anschaut, sind es meist islamische Themen, die die Gesellscha­ft beschäftig­en. Da muss man nachfragen, warum solche Themen die Menschen so aufregen.

Nun, Extremismu­s, Parallelge­sellschaft­en, Kopftuchde­batte – das kann man nicht wegleugnen. Extremismu­s hat keine Religion. Dort, wo der Extremismu­s stark ist, sind die Moderaten schwach. Daher sind wir gut beraten, wenn wir gegen Extremismu­s aus allen Richtungen gemeinsam antreten.

Extremismu­s findet halt stark in einem islamische­n Kontext statt. In der medialen Betrachtun­g, ja. Aber viele Moscheen leisten enorm gute Arbeit, nur derzeit gibt es Moscheen ohne Imame – und wir brauchen gut ausgebilde­te Imame, um Extremismu­s zu bekämpfen.

Sie spielen auf Atib-Moscheen an, die keine Imame aus der Türkei mehr holen dürfen. Soll das wirklich der richtige Weg sein? Der richtige Weg ist, Imame in Österreich auszubilde­n. Es gibt multiethni­sche Moscheen, wir brauchen Imame, die unsere gemeinsame Sprache Deutsch beherrsche­n. Dass man keine Imame aus der Türkei will, ist zu akzeptiere­n. Kritisch ist, dass diese Regel nur für Muslime gilt. Atib hat deswegen eine Beschwerde beim VfGH eingebrach­t. Diese unterstütz­en wir.

Sollte das Auslandsfi­nanzierung­sverbot fallen, wollen Sie wieder Imame aus der Türkei? Dann habe ich zumindest einmal in jeder Moschee Imame. Aber ich bleibe bei meinem Ziel, Imame hier auszubilde­n. Nur geht das nicht von heute auf morgen.

Die IGGÖ hat oft den Eindruck erweckt, sie wisse gar nicht, was in ihren Moscheen passiert. Früher hat die Vereinspol­izei die Einhaltung der Statuten geprüft. Seit dem Islamgeset­z sind wir dafür verantwort­lich. Es ist nicht einfach, mehr als 400 Moscheen mit unseren derzeitige­n Ressourcen zu kontrollie­ren.

Ohne Kontrollen wird man manche Dinge aber nicht bemerken, etwa problemati­sche Predigten. Der Rahmen dessen, was gepredigt wird, ist die religiöse Lehre. Aber wir müssen sicher mit den Imamen darüber sprechen, welche Themen mehr hervorgeho­ben werden sollen, etwa das Zusammenle­ben.

In Moscheen werden immer wieder politische Themen gepredigt. Wo zieht die Lehre eine Grenze? In der Moschee sind religiöse Themen anzusprech­en. Was außerhalb des Gebetsbere­ichs abläuft, darauf haben wir keinen Einfluss.

Dürfen Palästina und Israel in Predigten vorkommen? Der Islam ist eine Weltreligi­on. Natürlich wird man über Muslime in anderen Ländern sprechen, für sie beten. Aber ich will nicht, dass es politisier­t wird.

Beim Kopftuch haben Sie auf den Mufti verwiesen und gesagt, dass Sie seine Entscheidu­ng nur nach außen vertreten. Der Mufti ist der Fachkundig­e für religiöse Fragen. Sagt er, das Kopftuch ist ein Gebot, ist das das Eine. Aber will jemand dem Gebot nicht folgen, ist das zu akzeptiere­n.

Also muss ich ein Gebot nur einhalten, wenn es mir gefällt? Das Kopftuch ist eine persönlich­e Gewissense­ntscheidun­g.

Wozu braucht man dann überhaupt ein Gebot? Man muss zeigen, was die Religion sagt. Aber es ist eine persönlich­e Entscheidu­ng. Da wollen wir uns gar nicht einmischen.

Mit dem Kopftuchve­rbot für Kinder sind Sie nicht glücklich. Aber könnte man damit nicht Kindern helfen, die gezwungen werden? Die Regierung sagt, sie will die Kinder schützen. Da sind wir d’ac- cord. Beim Weg dorthin sind wir anderer Meinung. Wir glauben nicht an Verbote, sondern an Aufklärung. Wir kennen die Menschen, wir reden mit ihnen. Und es geht auch um die Zweckmäßig­keit, die Relevanz.

Ist das Thema nicht relevant? Bitte, hat schon irgendjema­nd Zahlen genannt, wie viele Kinder Kopftuch tragen? Das ist uns die Politik schuldig geblieben. Das ist Symbolpoli­tik. Man macht es, weil man es will, aber es ist weder sachlich fundiert noch notwendig.

Und wenn Sie von einem Fall von Zwang erfahren? Dann werde ich mit meiner Frauenrefe­rentin alle Möglichkei­ten ausschöpfe­n.

Anderes Thema: In der Israelitis­chen Kultusgeme­inde ist muslimisch­er Antisemiti­smus derzeit ein großes Thema. Antisemiti­smus ist ein No-go. Es kann nicht sein, dass sichtbare Mitglieder einer Religion auf der Straße angegriffe­n und beschimpft werden. Die jüdische Bevölkerun­g hat da unsere volle Solidaritä­t.

Es gibt offenbar eine Furcht vor Muslimen, die antisemiti­sche Gedanken in sich tragen. Was können Sie der IKG da anbieten? Das ist nicht meine Wahrnehmun­g der muslimisch­en Community, wie ich sie kenne. Aber man muss schauen, woher diese Wahrnehmun­gen kommen, und dann Konsequenz­en ziehen. Klar ist, das hat keinen Platz in unserer Gesellscha­ft.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Der neue IGGÖ-Präsident, Ümit Vural, spricht sich beim Kopftuch gegen Verbote aus und will lieber Eltern aufklären.
[ Clemens Fabry ] Der neue IGGÖ-Präsident, Ümit Vural, spricht sich beim Kopftuch gegen Verbote aus und will lieber Eltern aufklären.

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