„Antisemitismus ist ein No-go“
Interview. Ümit Vural, der neue Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, hält das Tragen eines Kopftuchs für eine Gewissensentscheidung. Imame will er in Österreich ausbilden, das Verbot von türkischen Imamen sieht er aber kritisch.
Die Presse: Sie haben gemeint, dass sich viele Muslime als Bürger zweiter Klasse fühlten. Weil sie schlecht vertreten werden? Ümit Vural: Das ist eine Seite. Aber wenn man sich die Politlandschaft anschaut, sind es meist islamische Themen, die die Gesellschaft beschäftigen. Da muss man nachfragen, warum solche Themen die Menschen so aufregen.
Nun, Extremismus, Parallelgesellschaften, Kopftuchdebatte – das kann man nicht wegleugnen. Extremismus hat keine Religion. Dort, wo der Extremismus stark ist, sind die Moderaten schwach. Daher sind wir gut beraten, wenn wir gegen Extremismus aus allen Richtungen gemeinsam antreten.
Extremismus findet halt stark in einem islamischen Kontext statt. In der medialen Betrachtung, ja. Aber viele Moscheen leisten enorm gute Arbeit, nur derzeit gibt es Moscheen ohne Imame – und wir brauchen gut ausgebildete Imame, um Extremismus zu bekämpfen.
Sie spielen auf Atib-Moscheen an, die keine Imame aus der Türkei mehr holen dürfen. Soll das wirklich der richtige Weg sein? Der richtige Weg ist, Imame in Österreich auszubilden. Es gibt multiethnische Moscheen, wir brauchen Imame, die unsere gemeinsame Sprache Deutsch beherrschen. Dass man keine Imame aus der Türkei will, ist zu akzeptieren. Kritisch ist, dass diese Regel nur für Muslime gilt. Atib hat deswegen eine Beschwerde beim VfGH eingebracht. Diese unterstützen wir.
Sollte das Auslandsfinanzierungsverbot fallen, wollen Sie wieder Imame aus der Türkei? Dann habe ich zumindest einmal in jeder Moschee Imame. Aber ich bleibe bei meinem Ziel, Imame hier auszubilden. Nur geht das nicht von heute auf morgen.
Die IGGÖ hat oft den Eindruck erweckt, sie wisse gar nicht, was in ihren Moscheen passiert. Früher hat die Vereinspolizei die Einhaltung der Statuten geprüft. Seit dem Islamgesetz sind wir dafür verantwortlich. Es ist nicht einfach, mehr als 400 Moscheen mit unseren derzeitigen Ressourcen zu kontrollieren.
Ohne Kontrollen wird man manche Dinge aber nicht bemerken, etwa problematische Predigten. Der Rahmen dessen, was gepredigt wird, ist die religiöse Lehre. Aber wir müssen sicher mit den Imamen darüber sprechen, welche Themen mehr hervorgehoben werden sollen, etwa das Zusammenleben.
In Moscheen werden immer wieder politische Themen gepredigt. Wo zieht die Lehre eine Grenze? In der Moschee sind religiöse Themen anzusprechen. Was außerhalb des Gebetsbereichs abläuft, darauf haben wir keinen Einfluss.
Dürfen Palästina und Israel in Predigten vorkommen? Der Islam ist eine Weltreligion. Natürlich wird man über Muslime in anderen Ländern sprechen, für sie beten. Aber ich will nicht, dass es politisiert wird.
Beim Kopftuch haben Sie auf den Mufti verwiesen und gesagt, dass Sie seine Entscheidung nur nach außen vertreten. Der Mufti ist der Fachkundige für religiöse Fragen. Sagt er, das Kopftuch ist ein Gebot, ist das das Eine. Aber will jemand dem Gebot nicht folgen, ist das zu akzeptieren.
Also muss ich ein Gebot nur einhalten, wenn es mir gefällt? Das Kopftuch ist eine persönliche Gewissensentscheidung.
Wozu braucht man dann überhaupt ein Gebot? Man muss zeigen, was die Religion sagt. Aber es ist eine persönliche Entscheidung. Da wollen wir uns gar nicht einmischen.
Mit dem Kopftuchverbot für Kinder sind Sie nicht glücklich. Aber könnte man damit nicht Kindern helfen, die gezwungen werden? Die Regierung sagt, sie will die Kinder schützen. Da sind wir d’ac- cord. Beim Weg dorthin sind wir anderer Meinung. Wir glauben nicht an Verbote, sondern an Aufklärung. Wir kennen die Menschen, wir reden mit ihnen. Und es geht auch um die Zweckmäßigkeit, die Relevanz.
Ist das Thema nicht relevant? Bitte, hat schon irgendjemand Zahlen genannt, wie viele Kinder Kopftuch tragen? Das ist uns die Politik schuldig geblieben. Das ist Symbolpolitik. Man macht es, weil man es will, aber es ist weder sachlich fundiert noch notwendig.
Und wenn Sie von einem Fall von Zwang erfahren? Dann werde ich mit meiner Frauenreferentin alle Möglichkeiten ausschöpfen.
Anderes Thema: In der Israelitischen Kultusgemeinde ist muslimischer Antisemitismus derzeit ein großes Thema. Antisemitismus ist ein No-go. Es kann nicht sein, dass sichtbare Mitglieder einer Religion auf der Straße angegriffen und beschimpft werden. Die jüdische Bevölkerung hat da unsere volle Solidarität.
Es gibt offenbar eine Furcht vor Muslimen, die antisemitische Gedanken in sich tragen. Was können Sie der IKG da anbieten? Das ist nicht meine Wahrnehmung der muslimischen Community, wie ich sie kenne. Aber man muss schauen, woher diese Wahrnehmungen kommen, und dann Konsequenzen ziehen. Klar ist, das hat keinen Platz in unserer Gesellschaft.