Die Presse

Kampf der Mikroben: Viren als Bakterient­öter

Immer wieder wurde die Phagenther­apie als Ausweg aus der Antibiotik­akrise gepriesen, bisher ohne nennenswer­te Erfolge. Moderne Labortechn­iken könnten ihr nun für bestimmte Anwendunge­n Aufschwung verleihen.

- SAMSTAG, 15. DEZEMBER 2018 VON WOLFGANG DÄUBLE

Es tobt ein Krieg in der belebten Welt, der alle vorstellba­ren Dimensione­n übersteigt: Seit Milliarden von Jahren wird er in jedem Winkel dieser Erde geführt, mit Heerschare­n, deren Zahl weltweit in die Quintillio­nen (1030) geht. Der beschränkt­en menschlich­en Wahrnehmun­g bleibt dieser Kampf verborgen, denn die Streitende­n sind so klein, dass sie nur mit modernsten Elektronen­mikroskope­n sichtbar gemacht werden können: Bakterien und ihre größten Feinde, die Bakterioph­agen (kurz: Phagen) – Viren, die sich auf den Befall kernloser Einzeller spezialisi­ert haben.

Im Laufe der Evolution haben sie sich zu hochpräzis­en Landekapse­ln entwickelt, deren einziger Zweck das Aufspüren und Kapern von Bakterienz­ellen ist. Jede Phagenart hat es dabei auf eine ganz bestimmte Bakteriens­pezies abgesehen: Mit Rezeptoren, die haargenau auf die Molekülstr­uktur ihrer Wirte passen, krallen sich die Bakterioph­agen an ihren Opfern fest, spritzen ihr Erbgut in die Zelle und zwingen sie dazu, Hunderte neue Viren zu produziere­n. Schließlic­h platzt das Bakterium und schleudert die frisch hergestell­ten Phagen in die Umwelt, wo sie sich auf die nächsten Zellen stürzen.

Diese Präzision und Effizienz macht die Viren auch für die medizinisc­he Forschung interessan­t, denn zur Behandlung von bakteriell­en Infektione­n werden nach wie vor Antibiotik­a eingesetzt, die im Vergleich zu den Bakterioph­agen wie Streubombe­n wirken: Neben den anvisierte­n Krankheits­erregern vernichten die Medikament­e auch jede Menge nützlicher Mikroben, z. B. im Darm oder auf der Haut. Zudem hat ihr maßloser Einsatz in den vergangene­n Jahrzehnte­n zu unzähligen multiresis­tenten Keimen geführt – laut der Weltge- sundheitso­rganisatio­n WHO eine der größten Bedrohunge­n für die menschlich­e Gesundheit. Mit Bakterioph­agen ließen sich Bakterien dagegen gezielt angreifen, während alle anderen Zellen von ihnen verschont blieben.

Das Prinzip einer solchen „Phagenther­apie“wurde bereits vor über 100 Jahren erdacht und auch – besonders in Ländern des ehemaligen Ostblocks – für manche Infektions­arten angewandt. In der westlichen Medizin konnte sie sich jedoch gegen die breite Wirkung, einfache Handhabung und die enormen Therapieer­folge von Antibiotik­a nicht durchsetze­n. Während man die Phagenther­apie wissenscha­ftlich nur unzureiche­nd erklären oder vorhersage­n konnte, verstand man die Wirkungswe­ise der Antibiotik­a gut.

Erst der rasante Fortschrit­t der DNA-Sequenzier­ung in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n, der eine immer genauere genetische Bestimmung der Bakterien ermöglicht­e, und die um sich greifenden Antibiotik­aresistenz­en haben die Phagenther­apie wieder in den Fokus der Forschung gerückt, so Alexander Belcredi, Geschäftsf­ührer von PhagoMed – einem Start- Bakterioph­agen kann man in einem einzigen Liter Meerwasser finden – man trifft sie aber auch in jedem anderen Lebensraum an, in dem Bakterien existieren.

(27,5 Nanometer) winzig ist der Bakterioph­age MS2, er gehört damit zu den kleinsten „Lebewesen“überhaupt.

reichen manchen Phagen aus, um ihren kompletten Lebenszykl­us – vom Kapern bis zum Platzen der Bakterienz­elle – zu durchlaufe­n. up-Unternehme­n, das sich auf die Entwicklun­g dieser Bakterienb­ekämpfung spezialisi­ert hat. Dafür wurde der Firma mit Sitz in Wien vergangene Woche von den Ministerie­n für Wissenscha­ft und für Digitalisi­erung der Phönix-Gründerpre­is verliehen.

Zu einer „Renaissanc­e der Phagenther­apie“möchte das Unternehme­n laut der eigenen Website beitragen. Ihre potenziell­en Einsatzgeb­iete sind aber recht spezifisch: „Wir arbeiten vor allem an Implantat-assoziiert­en Infektione­n durch das Bakterium Staphyloco­ccus aureus“, erklärt Belcredi. „Auf Implantate­n bilden sich oft sogenannte Biofilme, die mit Antibiotik­a kaum behandelba­r sind.“Bakterioph­agen sind dagegen in Biofilmen buchstäbli­ch zu Hause. Ein zweites Anwendungs­gebiet, an dem sein Unternehme­n forscht, seien Harnwegsin­fekte, so Belcredi.

Ein Ausweg aus der allgemeine­n Antibiotik­akrise sei mit Phagenther­apien in absehbarer Zeit zwar nicht zu erwarten, meint Veterinärm­edizinerin Frederike Hilbert, die an der Vet-Med-Uni Wien an antibiotik­aresistent­en Bakterien forscht. Sie könnten für bestimmte Erkrankung­en aber einen wichtigen Beitrag leisten. Vorher brauche es allerdings noch „eine Reihe an Forschungs­ergebnisse­n, insbesonde­re über die Sicherheit in der Anwendung von Phagen, um diese in der Medizin zu befürworte­n“, so Hilbert.

Einige Problemfel­der, wie die saubere Trennung der Phagen von ihren krankmache­nden Wirtszelle­n oder die Immunreakt­ion auf die geplatzten Bakterien, seien noch zu klären. Doch bei komplexen Infektione­n sieht Hilbert durchaus Potenzial. In einer Reihe von Fallstudie­n konnte die Wirksamkei­t der Viren bereits gezeigt werden, 2021 läuft die erste klinische Studie von PhagoMed an.

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[ AMI Images/Science Photo Library/picturedes­k.com ]

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