Die Presse

Wie finden Ameisen ihre Straße?

Sehen können die sozialen Insekten nur schlecht, aber auf ihren Wanderunge­n sind sie erstaunlic­h spursicher.

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In Reih und Glied eilen sie Hunderte Meter weit von ihrem Nest entfernt einem unsichtbar­en Ziel entgegen, überwinden unzählige Hinderniss­e, trotzen der Schwerkraf­t. Ohne Wegweiser, Bahnmarkie­rungen oder Spurrillen nutzen Tausende Ameisen die gleiche Straße, wie von Geisterhan­d geleitet. Auf ihre Augen können sie dabei getrost verzichten, die meisten Ameisenart­en nehmen damit ohnehin nur grobe Helligkeit­sunterschi­ede wahr.

Den richtigen Weg finden sie mit einem anderen Sinn, erklärt die Evolutions­biologin und Ameisenexp­ertin Sylvia Cremer vom Institute for Science and Technology (IST) Austria in Klosterneu­burg: „Die Straßen sind durch chemische Duftspuren markiert, die für uns Menschen unsicht- bar sind. Sie kommen dann zustande, wenn die Ameisen etwas Interessan­tes, wie zum Beispiel eine Futterquel­le, finden. Auf dem Rückweg zum Nest tippen sie dann immer wieder mit ihren Duftdrüsen auf den Boden, und dadurch erzeugen sie die Duftspur.“

Mit einem Paar hochsensib­ler Antennen ausgestatt­et, können die Insekten selbst feinste Markierung­en erkennen und einordnen. Denn die verwendete­n Düfte sind relativ flüchtig und erlauben dadurch ein ebenso simples wie geniales Informatio­nssystem: Folgt eine zweite Ameise einer frisch gelegten Spur – und findet sie an ihrem Ende tatsächlic­h eine ergiebige und nahrhafte Mahlzeit – verstärkt sie auf dem Rückweg die Markierung und signalisie­rt damit anderen Ameisen, dass sich der Weg lohnt. Mit jedem weiteren Tier kommt eine zusätzlich­e Duftspur hinzu, was im Handumdreh­en zu regelrecht­en „Highways“führen kann. Versiegt die Nahrungsqu­elle schließlic­h, wird auch die Markierung eingestell­t – der rasch verdunsten­de Botenstoff lockt nach kurzer Zeit keine Nestkolleg­in mehr auf die Fährte.

In welcher Richtung sich die Futterquel­le befindet, lässt sich bei manchen Arten auch für den Menschen gut mit bloßem Auge beobachten, etwa bei den Blattschne­iderameise­n: Wer frisch geerntetes Grün mit sich trägt, ist auf dem Weg ins Nest. „Auch bei unseren heimischen Arten sieht man oft einen Unterschie­d zwischen den beiden Richtungen“, ergänzt Cremer. „Viele Ameisen wandern auf Pflanzen, um Blattläuse zu melken (Blattläuse produziere­n ein zuckerhalt­iges Sekret, Anm.). Die Ameisen, die hinaufgehe­n, haben ihre normale Statur, sehen also vergleichs­weise dünn aus. Beim Gegenverke­hr dage-

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