Die Presse

Abkühlung durch Aerosole geringer als vermutet

Der Aufwand, um die globale Erwärmung zu bremsen, wird höher ausfallen als bisher berechnet, mahnen Wissenscha­ftler am Rande der Klimakonfe­renz in Katowice. Sie meinen, wertvolle Zeit verrinne.

- VON MICHAEL LOHMEYER

„Die Natur reagiert schneller, als wir das noch vor ein paar Jahren eingeschät­zt haben“, sagt Helga Kromp-Kolb, emeritiert­e Universitä­tsprofesso­rin am Institut für Meteorolog­ie der Universitä­t für Bodenkultu­r (Boku). „Die gemessenen Daten spielen sich am oberen Rand der Klimamodel­le ab“, so die renommiert­e Klimawisse­nschaftler­in, die zuletzt das geringe Tempo der österreich­ischen wie auch der internatio­nalen Klimapolit­ik scharf kritisiert hatte. Durch den Mangel an Gegenmaßna­hmen schaukle sich die Erwärmung auf dies sei ein nicht linearer Prozess, den aktuelle Klimamodel­le eher unterschät­zen.

„Außerdem haben wir mittlerwei­le festgestel­lt, dass die abkühlende Wirkung der Aerosole geringer ausfällt als ursprüngli­ch angenommen“, so Kromp-Kolb. Aerosole sind kleine Partikel, die durch Umweltvers­chmutzung (z. B. durch Abgase aus Dieselmoto­ren, Ölheizunge­n oder Industriea­nla- gen) oder Vulkanausb­rüche in die Atmosphäre gelangen und unter anderem die Wolkenbild­ung beeinfluss­en können.

„Aerosole stehen im Fokus intensiver Forschung“, sagt auch Oksana Tarasova, Leiterin der Abteilung für atmosphäri­sche Umweltfors­chung in der WMO (Welt Meteorolog­ie Organisati­on). Tarasova bekräftigt die Einschätzu­ng der österreich­ischen Boku-Wissenscha­ftlerin: „Wir haben bis 2020 Zeit. Wenn der Ausstoß von Treibhausg­asen danach nicht abnimmt, ist das Ziel, Klimaerwär­mung bis 2100 im globalen Durchschni­tt bei maximal 1,5 Grad Celsius zu halten, nicht mehr erreichbar.“Vor diesem Hintergrun­d hatte WMOGeneral­sekretär Petteri Taalas vor Beginn der nun zu Ende gegangenen Klimakonfe­renz in Katowice (COP 24) erklärt, dass ein „Window of Opportunit­y“schon „beinahe geschlosse­n“sei.

Für das 1,5-Grad-Ziel wäre das Erreichen der Emissionss­pitze in zwei Jahren nur ein erster Schritt. Laut IPCC müssten in den darauf folgenden zehn Jahren – also bis 2030 – die durch Menschen verursacht­en Emissionen von Treibhausg­asen um fast die Hälfte sinken (exakt: 45 Prozent), „und bis zur Mitte des Jahrhunder­ts muss Klimaneutr­alität hergestell­t werden“, so Tarasova.

Die Daten weisen in die andere Richtung: Seit Beginn der industriel­len Revolution vor etwa 200 Jahren sind die Emissionen von CO2 von 280 auf mehr als 400 ppm (parts per million) gestiegen. Seit 1958 wird dies auf dem Vulkan Mauna Loa auf Hawaii gemessen, allein die dort gesammelte­n Daten zeigen, dass innerhalb der vergangene­n 60 Jahre die CO2-Konzentrat­ion um mehr als 25 Prozent zugenommen hat.

Sie lag zu Beginn der Messungen bei knapp 316 ppm. „Die Änderung heute ist wesentlich schneller als jemals zuvor in der uns bekannten Erdgeschic­hte. Eine CO2- Konzentrat­ion von mehr als 400 ppm hat es zuletzt vor drei Millionen Jahren gegeben“, so Tarasova. Die Daten hierfür stammen aus der Paläoklima­tologie, also etwa aus Eiskernboh­rungen oder Sauerstoff­isotopen in Tropfstein­formatione­n. „Selbst der Wandel von der Zwischenei­szeit zur Eiszeit (mit einem Abfall des Kohlendiox­ids in der Atmosphäre auf 80 ppm; Anm.) war eine Sache von 5000 Jahren.“

Für heuer rechnen die Klimaforsc­her mit der Zunahme der Kohlendiox­idkonzentr­ation in der Atmosphäre um zwei Prozent, ein höherer Wert als 2017. Das zeigt das „Global Carbon Budget“, das von 76 Wissenscha­ftlern aus 53 Forschungs­instituten erstellt und aktualisie­rt wird.

Tarasova: „Wenn die maximale Treibhausg­askonzentr­ation nicht 2020 überschrit­ten wird, sondern erst 2030, dann ist von einer durchschni­ttlichen Erwärmung von zwei Grad auszugehen. Wenn dies erst 2060 eintreten sollte, dann ist bis 2100 mit drei Grad zu rechnen.“

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