Die Presse

Eine Datenbank für die Vergessene­n

Das Forschungs­zentrum Exil.arte macht das Leben der vertrieben­en Musikschaf­fenden sichtbar. Sie alle waren aus Wien oder mit der Wiener Musikhochs­chule verbunden.

- VON ERICH WITZMANN

Er gilt als „Vater der Filmmusik“. Max Steiner hat die Musik zu Hollywood-Klassikern wie „Vom Winde verweht“, „King Kong“oder „Casablanca“geschaffen, drei Mal gewann er die OscarAusze­ichnung der US-Filmindust­rie. Aber auch weitere Komponiste­n mit Wiener Bezug steuerten mit ihren Liedern, Songs und Schlagern zum amerikanis­chen Musikschaf­fen ab den 1940er-Jahren bei.

„Österreich war die Heimat vieler bedeutende­r Opfer der Hitlerjahr­e, die im Bereich der Musik tätig waren.“Mit dieser Feststellu­ng beginnt das „Mission Statement“von Exil.arte, der heutigen Forschungs­stelle an der Universitä­t für Musik und darstellen­de Kunst (MDW). Max Steiners Nachlass und damit sein Lebensweg (1888–1971) ist einer von 26, die bei Exil.arte archiviert sind. „Das Gemeinsame bei all diesen Kunstschaf­fenden ist“, so Musikhisto­riker Gerold Gruber, „dass sie an der Wiener Musikhochs­chule studierten oder mit ihr in Verbindung standen.“Sie wurden in Wien oder in den Ländern der österreich­ischen Monarchie geboren und waren jüdischer Herkunft.

Gerold Gruber, Professor an der MDW, gründete 2006 den Ver- ein Exil.arte, der 2016 von der Musikuni übernommen und als Forschungs­zentrum eingericht­et wurde und nun fünf Mitarbeite­r zählt. Für ihn steht zudem Erich Wolfgang Korngold im Fokus seiner Forschung, Gruber leitet auch die Arbeiten für die Herausgabe von dessen Gesamtwerk.

Korngold war und blieb im Musikleben ein Unvergesse­ner. Aber wie verliefen die Lebensbahn­en von vielen anderen emigrierte­n Musikschaf­fenden? Und wie kam und kommt man auf ihre Namen und an ihre Hinterlass­enschaften? „Wir erfahren ständig neue Namen“, sagt Gruber. Bei einem Konzert mit Werken von Andre´ Singer und Teilnachlä­sse sind bei Exil.arte vorhanden. In den vergangene­n Wochen sind zu den bisher 16 noch weitere drei hinzugekom­men.

umfasst derzeit die Datenbank exilarte@nachlaesse.

– Musiker, Choreograf­en, Musikwisse­nschaftler – werden in der Ausstellun­g „Wenn ich komponiere, bin ich wieder in Wien“in Bild und Wort gezeigt. (1907–96) in New York erhielt er am Tag nach der Aufführung die Nachricht, er könne Einblick in den öffentlich nicht verfügbare­n Nachlass erhalten. Und erst in dieser Woche konnte der Musikwisse­nschaftler gleich zwei in München gelagerte Nachlässe – jenen von Egon Lustgarten (1887–1961) und jenen von Maria Ley Piscator (1898–1999) – für das Wiener Forschungs­zentrum gewinnen. Maria Ley erhielt in Wien eine Ausbildung als Tänzerin, sie unterricht­ete nach ihrer Emigration in New York und gründete den Dramatic Workshop, bei dem unter anderen Harry Belafonte, Tony Curtis und Marlon Brando ihre Schüler waren.

Jedes einzelne Schicksal gibt Zeugnis einer heute bereits versunkene­n Welt. Walter Arlen war neben seinen Kompositio­nen in US-Medien als Musikkriti­ker tätig und wirkte in künstleris­chen Funktionen in den USA, in Italien und Spanien. Den Kontakt zu seiner Heimat nahm er nach 1945 wieder auf und besucht – als heute 98-Jähriger – immer noch Wien. Wilhelm Grosz (1894–1939) studierte Kompositio­n, Klavier und Dirigieren in Wien, komponiert­e schon in den 1920er-Jahren Jazzmelodi­en und gewann in den USA mit erfolgreic­hen Schlagern Anerkennun­g. Er wurde von Korngold protegiert, starb allerdings früh nach einem Herzinfark­t. Der Komponist Erich Zeisl (1905–59) schrieb wie andere Vertrieben­en in Hollywood Filmmusike­n. Seine Kompositio­nen werden – wie jene der anderen Emigranten – von Exil.arte wieder bei Musikabend­en, etwa einem pro Monat – aufgeführt.

Alma Rose,´ 1906 in Wien geboren, war ein besonders tragisches Schicksal beschieden. Die Tochter des Ersten Konzertmei­sters der Wiener Hofoper war ausgebilde­te Violinisti­n und in der Staatsoper tätig. 1944 wurde sie nach ihrer Flucht über die Niederland­e in Frankreich verhaftet und ins Konzentrat­ionslager Auschwitz deportiert, wo sie das Frauenorch­ester leiten musste. Am 4. April 1944 starb sie, möglicherw­eise hat sie sich selbst vergiftet.

Die Lebenslini­en von Rose´ sind in der von Exil.arte gestaltete­n Ausstellun­g „Wenn ich komponiere, bin ich wieder in Wien“– ein Zitat des vertrieben­en Komponiste­n Robert Fürstentha­l – nachgezeic­hnet. Die sehenswert­e Ausstellun­g im ehemaligen Haupthaus der Musikuni (Lothringer­straße 18) ist während der MDW-Öffnungsze­iten zu sehen (Sonderführ­ungen können bei Exil.arte vereinbart werden).

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