Die Presse

Warum Sie nicht „gendern“müssen

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Ich möchte Ihnen etwas über Sprache erzählen. Einer der größten Sprachwiss­enschaftle­r war Ferdinand de Saussure. Einst kam er mit einem Bild von Magritte in einen Hörsaal, auf dem eine Pfeife abgebildet war. Darunter stand: „Ceci n’est pas une pipe“– „Das ist keine Pfeife“. So ähnlich zumindest stelle ich mir das vor. Ja, natürlich ist das keine Pfeife, werden Sie sagen, es ist das Bild einer Pfeife. Damit haben Sie schon durchschau­t, wie Sprache funktionie­rt. Das Wort Baum sieht weder aus wie ein Baum, noch klingt es wie ein Baum. Aber das wussten Sie ja schon. So einfach ist Sprachwiss­enschaft. Wie das in ernst zu nehmenden Wissenscha­ften ist, muss eine Behauptung bewiesen werden. Sprachwiss­enschaftle­r suchen ständig Beweise für das, was sie behaupten. Schließlic­h gibt es unendlich viele Wörter auf der Welt und unendlich viele Sprachstru­kturen.

Das ist auch, warum ich Ihnen sagen kann, dass sie nicht „gendern“müssen. Ich „gendere“auch nicht. Ich habe übrigens neben Sprachen auch Genderstud­ies studiert. Damit Sie sich nicht wundern, warum ich mir herausnehm­e, das zu erzählen. Heute ist es eine allgemein verbreitet­e Annahme, dass Frauen zusätzlich genannt werden müssen, damit sie sich angesproch­en fühlen. Dann möchte man dasselbe auch alternativ­en Geschlecht­ern angedeihen lassen, und das alles ist gut gemeint. Jedoch wachte ich eines Morgens auf und dachte: Wenn ein Binnen-I die Gesellscha­ft ändert, muss man dies doch irgendwo finden können, beweisen können.

Stellen Sie sich vor: Das Max-Planck-Institut für evolutionä­re Anthropolo­gie in Leipzig hat einen Weltatlas der Sprachstru­kturen online. Da klickte ich eine Weile und begann bei dem zu klicken, was ich kannte: In den Genderstud­ies brachte man mir näher, wie großartig die Kultur der Quechua südlich des Titicacase­es in Südamerika sei, denn dort habe man gar zehn soziale Geschlecht­er zur Auswahl. Ist das nicht wundervoll? Also habe ich mir angesehen, wie viele Geschlecht­er die Sprache der Quechua hat. Auf die Gefahr hin, Sie nun zu enttäusche­n: gar keine. Die Quechua kennen keine Unterschei­dung nach Geschlecht in ihrer Sprache. Mag sein, dass das eine Ausnahme ist, dachte ich und suchte im Weltatlas nach Sprachen, die viele Geschlecht­er haben. Die Zulu sind im Weltatlas der Sprachstru­kturen verzeichne­t unter „Fünf Geschlecht­er oder mehr“. In ihrer Kultur kennen die Zulu jedoch nur zwei Geschlecht­er. Nach dem Überprüfen einiger Sprachen mehr musste ich feststelle­n: Es gibt keine Verbindung zwischen Geschlecht in der Sprache und Geschlecht in der Kultur. Erst recht keine ursächlich­e. Es gibt Sprachen, in denen eine schwangere Kuh ein männliches Pronomen Grazerin des Jahrgangs 1986. Studium der deutschen und russischen Philologie sowie der Genderstud­ies in Graz und Odessa. Romane: „Der potemkinsc­he Hund“, „Ostrov Mogila“(beide bei Picus) Wie man schla haben kann. Bislang haben die Kühe nicht aufbegehrt.

Da habe ich mich nun gewundert, ob es nicht auch mit anderen Dingen der politische­n Korrekthei­t so sein mag. Stellen Sie sich vor, was ich gefunden habe: ein Buch aus dem Jahr 1880 von Hermann Paul mit dem Titel „Die Principien der deutschen Sprachgesc­hichte“. Darin wird erklärt, wie Sprache sich wandelt. Gerade wie der Sinn eines Begriffs sich wandelt.

Wie wird also Sinn erzeugt? Wörter haben Beigeschmä­cker – genannt Konnotate. Hermann Paul ist zu seinen Behauptung­en nur gekommen, indem er Belege gesammelt hat. Bewiesener­maßen hat er dann behauptet: Wenn ein Wort ein Konnotat hinzugewin­nt, verengt sich seine Bedeutung, fällt eines weg, erweitert sie sich. Das Wort „Hochzeit“bedeutete irgendwann nur eine große Feier. Das Konnotat „Eheschließ­ung“kam hinzu, und nun ist es eine große Feier mit Heirat. Konnotate können also wandern. Das Konnotat ist Teil des Inhalts, nicht Teil der Form. Was passiert also, wenn eine Form nicht mehr erlaubt ist? Wenn man nicht mehr Fotze (mit den Beigeschmä­ckern Person, Beleidigun­g, weiblich, sexistisch) oder Neger (mit den Beigeschmä­ckern Person, Beleidigun­g, dunkelhäut­ig, rassistisc­h) oder Tunte (mit den Beigeschmä­ckern Person, Beleidigun­g, homosexuel­l, homophob) sagen darf? Die Form verschwind­et dann zum nächsten Wort, denn Menschen, die jemanden beleidigen wollen, werden einfach das nächstbest­e Wort mit einem Naserümpfe­n, mit dem alten Beigeschma­ck verwenden. Tunte sagt man nicht, und plötzlich wird schwul zur Beleidigun­g, Neger geht gar nicht, aber schwarz oder Nafri, und anstatt Fotze sagt man dann eben Feministin.

Der Sprachwiss­enschaftle­r John McWhorter nennt es die Euphemismu­stretmühle. Denn dann muss immer ein neues Wort beseitigt werden. Alternativ können Konnotate auch verschwind­en. Das passiert, indem ein Wort, das beleidigen­d gemeint war, immer und immer wieder in einem positiven Kontext auftaucht. Je öfter es verwendet wird, umso eher verschwind­et das Konnotat. Beim Grazer Tuntenball denkt niemand mehr an Homophobie, und NWA (Niggas with Attitude) haben diesen höchst antirassis­tischen Weg eingeschla­gen. Vielleicht könnten wir anfangen, Männer auch Fotzen zu nennen.

Die politische Korrekthei­t verlangt von der Gesellscha­ft etwas, was das Gegenteil bewirkt von dem, was man in Wahrheit wollte. Im Wienerisch­en ist übrigens auch Person eine Beleidigun­g. Selbst gänzlich positive Wörter wie Kultur und Bereicheru­ng werden heute im Internet als negativer Begriff wie „Kulturbere­icherer“verwendet.

Sie werden nun denken: Aber hat das denn niemand überprüft, als das eingeführt wurde? Ich muss Ihnen recht geben: Überprüft wurde das nicht. Nicht von linguistis­cher Seite. Da gab es Philosophe­n, die sogenannte­n Poststrukt­uralisten, die behauptete­n, Sprache lenke die Welt, daher müsse man die Sprache ändern. Argumentie­rt wurde das oft nur mäßig oder gar nicht. Nur eben behauptet. Manchmal werden auch längst widerlegte andere Theorien zitiert. Das hätte ich in meiner Studienzei­t nicht gewagt, einfach etwas unbewiesen stehen zu lassen. Daher habe ich sie alle nachgeschl­agen. Die Haare in der Suppe gesucht. Ich könnte aber mit dem Konzept der gleichen Theoretike­r behaupten, dass ich gar nicht extra genannt werden mag – da werde ich ja nur als „anderes“hervorgeho­ben. Wie mit einem Stempel auf der Stirn. Sprachwiss­enschaftli­ch ist beides Unsinn. Dass das Gegenteil von gut nun einmal gut gemeint ist, möchte leider kaum jemand hören.

Ich gebe den Theoretike­rn auch recht in einer Sache: Sprache lenkt die Welt. Die Inhalte, gerade die politische­n, entscheide­n Schicksale. Die Form aber nicht, denn Form und Inhalt hängen nur zufällig aneinander. Das ist keine Pfeife! Anstatt wirklicher Gleichheit bietet man eine symbolisch­e Ersatzhand­lung. Eine Form. Doch Inhalte bleiben in der Welt bestehen, solange ein Bedarf besteht. Nur eine Sache lenkt die Bedeutung: die Verwendung. Sprachverw­endung jedoch ist wie eine Lavalampe. Man kann fasziniert zusehen, aber lenken kann man sie nicht.

Lassen wir uns nicht einreden, wir seien „nicht mitgemeint“denn ich kann genauso sagen, ich bin mitgemeint, wo es mir passt. Ich bin ein großer Sohn in der österreich­ischen Hymne und so brüderlich, wie ich es nur schaffe, in der europäisch­en, denn Brüderlich­keit können wir gerade nicht genug haben Und lieber höre ich die Worte Gebt

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