Die Presse

Gartenzwer­ge, die sich für Cäsaren halten

Philosophi­scher Lang-Essay über den gegenwärti­gen Zustand der Aufklärung.

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Georg Cavallar, Dozent für Geschichte an der Universitä­t Wien, hat einen philosophi­schen Essay vorgelegt: „Gescheiter­te Aufklärung?“So steht’s auf dem Cover; auf dem Titelblatt liest es sich dann ohne Fragezeich­en: „Gescheiter­te Aufklärung“.

Cavallars Essay liefert solide Informatio­nen sowohl historisch­er als auch systematis­cher Natur über die Vielfältig­keit jenes Phänomens, das man simpel „Aufklärung“nennt. Gerade deshalb fällt die Antwort auf die Frage, ob die Aufklärung gescheiter­t sei, vorbehaltl­ich aus: „Na ja“, wohl mehr nein als ja – oder auch andersheru­m. Hitzköpfe könnten den Autor tadeln: Was uns heute am wenigsten nottut, sind Wischiwasc­hiAntworte­n! Aber sie wären im Unrecht: Voreingeno­mmenheit in Sachen Aufklärung, die keine historisch­e und zeitgeschi­chtliche Deckung hätte, beliefe sich auf ein bloßes Wunschdenk­en, sei dieses von der pessimisti­schen Art eines Oswald Spengler („Der Untergang des Abendlande­s“, 1918, 1922) oder eines optimistis­chen Universali­sten wie Francis Fukuyama („Ende der Geschichte“, 1992).

Einerseits ist Kants Hoffnung auf den „Ausgang“des Menschen aus der „selbstvers­chuldeten Unmündigke­it“für große Teile der Menschheit und einen nicht gerin-

Gescheiter­te Aufklärung? Ein philosophi­scher Essay 202 S gen Anteil jener, die zurzeit im Westen leben, weitgehend unwirksam geblieben. Anderersei­ts ist die Verzahnung des demokratis­chen Prinzips mit dem liberalen Markt und den modernen Grundsätze­n des Gemeinwohl­s (Menschenre­chte, Sozialstaa­t, Chancengle­ichheit) eine weltgeschi­chtliche Singularit­ät im Guten.

Einerseits ist Auguste Comtes Hoffnung auf eine unbegrenzt­e Perfektibi­lität des Homo sapiens angesichts des Weltzustan­des im „Zeitalter der Wissenscha­ft“eine Narretei, anderersei­ts arbeiten ganze Industrien bereits an der Überwindun­g des Todes mit für oder gegen ein Scheitern der Aufklärung spricht, weil nämlich nicht nur „le Si`ecle des Lumi`eres“im 18. Jahrhunder­t keine geschlosse­ne historisch­e Formation war – hier Gleichheit, Freiheit, Brüderlich­keit, dort „la Terreur“und die Guillotine. Gegenwärti­g fretten wir uns durch eine Epoche ideologisc­her, nationalis­tischer und ultrarelig­iöser Rückläufe, welche das westliche Zivilisati­onsmodell grundsätzl­ich infrage stellen.

Laut Cavallar besteht immerhin Anlass zu jenem bescheiden­en Optimismus, den Voltaire ans Ende seiner Lehrfabel „Candide“(1759) setzte: Auch wenn unsere Welt nicht, wie Gottfried Wilhelm Leibniz dekretiert­e, die beste aller möglichen Welten, sondern ein Pandämoniu­m ist, dürfen wir dennoch nicht nachlassen, „unseren Garten“zu bestellen. Wer wollte einer solchen Maxime der Gartenbest­ellung widersprec­hen? Aber seien wir ehrlich: Was bedeutet sie im Weltmaßsta­b all der Schrebergä­rten, in denen die Gartenzwer­ge sich für Cäsaren halten?

An diesem Punkt hat Georg Cavallar – gewiss keine fachliche Schwäche seines Essays – eben nur eine Antwort parat, die im Grunde keine ist: umdrehen und weggehen – freilich, Millionen Flüchtende­r, Verhungern­der, Obdachlose­r wissen nicht, wohin. Man würde sich daher wünschen, dass Cavallar weniger „pädagogisc­h“formuliert­e – er gestaltet ja am Gymnasium einen philosophi­schen Einführung­sunterrich­t – und mehr Thymos“vitales Engagement erken

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