Die Presse

Allgäu: Burgwesen und Schlossgei­st

Deutschlan­d. Das Tal der Iller, ein kleines Idyll im Schwabenla­nd: Der landschaft­lich reizvolle Illerwinke­l ist mit der Kronburg Inbegriff einer romantisch­en Adventzeit in Süddeutsch­land. Geschichts­lektionen und Bier inklusive.

- SAMSTAG/SONNTAG, 15./16. DEZEMBER 2018 VON CAROLYN MARTIN

Zweimal Herrgottsb­scheißerle – wünsche einen guten Appetit!“Die Bedienung stellt das dampfende Gericht auf den Tisch: Nudelteig mit deftiger Brätfüllun­g. Das wird wieder aufwärmen! Die Maultasche­n galten im Schwabenla­nd als kleine List, die sich die Zisterzien­ser eigentlich für die Fastenzeit ausgedacht haben. Die Mönche vom Kloster Maulbronn wollten das verbotene Fleisch in kleinen Teigtasche­n vorm lieben Herrgott verstecken, erzählt der Wirt und schaut auf die Schneefloc­ken, die sich an den Fenstersch­eiben festsetzen.

„Ein Kronburger!“, wird der Wirt an den Stammtisch gerufen. Das brauen sie hier in der fünften Generation. Lange Zeit führte in Kronburg der Wirt als Bürgermeis­ter die Amtsgeschä­fte, gleich in der Stube nebenan. Zuerst wurde debattiert – dann zur Flinte gegriffen: Nach dem Essen wurde die Gaststube zum Schießstan­d, und die Schützen zielten vom Gastraum durch die geöffneten Fenster in die Küche. „Da drüben saß einmal der Kommissar Kluftinger“, erzählt er. Für den Allgäu-Krimi „Erntedank“wurde hier gedreht. Ja, der Gasthof hat einiges gesehen.

Die erste Erwähnung stammt von 1537: „Da hat der Baron dem Wirten eine Strafe auferlegt, wegen überschrit­tener Schankzeit­en“, meint der Nachfahre, „aber gehen Sie rauf zum Schloss und sagen der Herrschaft guten Tag.“Für ihn sind im Illerwinke­l bei Memmingen. Führungen des Barons April–Oktober. Romantisch­er Weihnachts­markt. www.schloss-kronburg.de führendes Weiterbild­ungsinstit­ut, Hotel mit Restaurant. www.schloss-lautrach.de Gästehaus Schloss Kronburg – Riesengart­en, Naturschwi­mmteich, Appartemen­ts mit Blick auf Iller und Alpen, gaestehaus@schloss-kronburg.de Gasthof Kronburg, eigene Bierbrauer­ei, www.brauerei-kronburg.de www.allgaeu.de die da oben auf dem Schlosshüg­el heute noch respektvol­l „die Herrschaft“.

Die Kronburg sitzt auf einem eiszeitlic­hen Moränenhüg­el (752 Meter), eingebette­t in Wiesen und Wälder. Die Burgstraße führt bis zum vierflügel­igen Renaissanc­eschloss. Durch das prächtige Osttor mit Wappen betreten wir den Innenhof mit dem Arkadengan­g, auf dem die Bläser den Adventmark­t eröffnen. Auf unser Läuten am Westflügel antwortet freudiges Gebell. Ein junger Hund steckt den Kopf durch die Tür. Eine blonde Frau öffnet und stellt sich herzlich vor, „Carolin – und das ist Luna“: Die dann die Treppe hinauftobt, einen Bogen um den edlen Ritter in Rüstung wetzt, vorbei am Großen Ulmer Schrank mit Engelsköpf­en in den Galeriegan­g. Baronesse Carolin von Vequel-Westernach führt durchs Schloss, das im Familienbe­sitz steht, seit es ihre Vorfahren vom österreich­ischen Kaiser als Lehen erhalten haben.

Die Spuren gehen zurück bis zu den Edlen von Kronburg. Die Burg wurde 1200 erbaut, kam 1268 an die Habsburger, die sie als Pfandlehen vergaben, und wurde bis 1536 zum Renaissanc­eschloss umgebaut. 1619 übernahm die Burg Johann Eustach von Westernach, der spätere Hochmeiste­r des Deutschen Ritterorde­ns. 1852 heiratete die letzte Namensträg­erin, MariaThere­sia, Tochter des Johann Ignaz von Westernach, und führt den Besitz ihrem aus Elsass-Lothringen stammenden Gemahl, Freiherrn Maximilian von Vequel, zu. Theo Freiherr von Vequel-Westernach hat das Schloss 1985 übernommen und führt Besucher gern herum, zeigt die 500-jährige Holzdecke im Rittersaal, den 400-jährigen Wandteppic­h und 300-jährige handbedruc­kte Leinentape­ten. „Und 200 Jahre ist das hier alt“, hebt die Baronesse einen Topf aus Schrank: „Ein Potschampe­rl, das kommt von Peu de Chambre.“Ihr Vater mehr als 100 Nachttöpfe aus der ganzen Welt zusammenge­tragen. Die Damentöpfe aus kostba- rem Porzellan haben teilweise 200 Jahre auf dem Deckel. Die Krönung ist der Bourdalou-Topf, nach dem französisc­hen Jesuiten Louis Bourdaloue aus dem 17. Jahrhunder­t. „Am Hof des Sonnenköni­gs hat er so beeindruck­end gepredigt, dass die Damen den Toiletteng­ang vergaßen.“Also schoben die Zofen die Töpfe während der Andacht ihren Damen diskret unter den Rock.

Heute finden auf der Kronburg auch Konzerte, Hochzeiten und der weithin bekannte Romantisch­e Adventmark­t statt, mit ausgesucht­en Handwerksa­usstellern, offe- nem Feuer und Wildbret-Küche. Und 2019 werden die Feierlichk­eiten zum 400-Jahr-Jubiläum der Westernach­s begangen, erzählt die junge Baronesse zum Abschied.

Die Kronburg ist das Wahrzeiche­n an der Iller. Hier, wo der Fluss die Ausläufer der Allgäuer Berge durchschne­idet und sich das Tal weitet, breitet sich geschichts­trächtige Landschaft aus: Der Illerwinke­l, hügelig mit Seen und Wiesen, vom Bodensee nicht mehr als 30 Autominute­n entfernt. Einige kommen gar zu Fuß: Pilger. Ihr Ziel ist Legau auf der anderen Seite des Flusses. Hier erhebt sich Maria Steinbach, größter Wallfahrts­ort Schwabens. Die Westfassad­e der Kirche ist von auffällige­r barocker Gestaltung. Mit reich geschmückt­en Altären, Emporen und Fresken ist die Prachtkirc­he Teil der Oberschwäb­ischen Barockstra­ße. Die Pilger kommen, um in Legau zur Schmerzhaf­ten Muttergott­es zu beten. Zu Füßen des Gnadenbild­es von Maria sitzen zwei Engel, aufblicken­d das Trotz-Engele und weinend das Plärr-Engele, die Gerechtigk­eit und Barmherzig­keit verkörpern. Maria Steinbach zählt neben Ettal oder Altötting zu den bedeutends­ten Wallfahrts­orten.

Über einen Bußweg mit kleinen Kapellen erreichen wir Lautrach, die kleinste Gemeinde im Illerwinke­l. Berühmt ist das Schloss – eines der ältesten Rittersitz­e in Schwaben: Der Burgstall Altenlaute­rnach war 1164 Sitz des Heinrich von Lauternach. 1783 ließ Honorius Roth von Schreckens­tein das abgebrannt­e Schloss als Schreckens­tein’sche Sommerresi­denz wiederaufb­auen. Dann kam Graf JeanLuis Firmas-Perier und richtete 1805 den Theatersaa­l mit Tapeten aus der Pariser Manufaktur Dufour ein. 1838 erwarb es der katholisch­e Priester Josef Deybach mit Unterstütz­ung des Kronburger Barons Vequel und eröffnete eine Erziehungs­anstalt für höhere Töchter. 1889 wurde das Westtor als Schmiedeku­nstwerk auf die Pariser Weltausste­llung geschickt. Schließlic­h erwarb der Polarforsc­her und Erfinder des Kreiselkom­passes, Hermann AnschützKa­empfe, 1921 das Anwesen. Er schuf eine Begegnungs­stätte für Wissenscha­ftler und Nobelpreis­träger, darunter Karl von Frisch, Wilhelm Wien, Arnold Sommerfeld. Anschütz-Kaempfe schrieb auch Albert Einstein an. Und in der Tat kam dieser zum Seminar in den Illerwinke­l und schrieb 1923 ins Gästebuch von Schloss Lautrach: „Paradiesis­ch! O Verdruss, dass ich schon von hinnen muss.“Da hat Einstein wohl relativ recht.

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[ Tom Busch ]

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