Die Presse

„Penthäuser gibt es genug“

Nachverdic­htung. Hohe Grundstück­skosten und wachsende Bevölkerun­g zwingen zum Umdenken bei der Schaffung von Wohnraum. Es gilt, nicht am Markt vorbeizuba­uen.

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Die Schere geht immer weiter auf: Auf der einen Seite stehen immer mehr ältere Gebäude leer, auf der anderen nimmt die Versiegelu­ng wertvollen Ackerlands zu. Laut Umweltbund­esamt wurden in Österreich im Schnitt der vergangene­n drei Jahre täglich 12,9 Hektar verbaut. Damit liegt die in Anspruch genommene Fläche noch immer deutlich über dem – im Rahmen der Strategie für nachhaltig­e Entwicklun­g festgelegt­en – Reduktions­ziel von 2,5 Hektar pro Tag. Allein im Vorjahr wurden pro Tag 5,7 Hektar für Bau- und Verkehrsfl­ächen verwendet, weitere 5,5 Hektar für Betriebsfl­ächen. Dazu kommt, dass vor allem in den boomenden Ballungsze­ntren die Grundstück­spreise kontinuier­lich steigen und somit auch Wohnen laufend teurer wird.

Nachverdic­htung lautet nach Ansicht vieler Experten daher das Gebot der Stunde. „Die Stadt Wien geht davon aus, dass rund ein Drittel der Wohnungsna­chfrage dadurch zu decken ist“, sagt Ernst Gruber vom Beratungsu­nternehmen Wohnbund-Consult. 4000 zusätzlich­e Wohnungen pro Jahr könnten so geschaffen werden. Bereits jetzt werden etwa im Zuge von Sanierunge­n von Gemeindeba­uten Dachgescho­ße zu Wohnraum umgebaut. In den vergangene­n Jahren sind laut Wiens Wohnbausta­dträtin Karin Gaal auf diese Weise 600 Gemeindewo­hnungen geschaffen worden, weitere 500 sind in Realisieru­ng. Gerade in Wohnanlage­n von Gemeinde oder gemeinnütz­igen Bauträgern sei das Nachverdic­htungspote­nzial angesichts der einheitlic­hen Besitzstru­kturen groß, sagt Gruber.

Durch den Ausbau von Dachgescho­ßen könnten Gruber zufolge in Wien noch rund 20.000 zu- sätzliche Wohnungen gewonnen werden. Diesem und der Aufstockun­g von Regelgesch­oßen kann auch S-Real-Chef Michael Pisecky einiges abgewinnen. Vorausgese­tzt, es werde nicht am Markt vorbeigeba­ut. „Penthäuser gibt es genug. Was wir brauchen, sind Zweiund Drei-Zimmer-Wohnungen.“

Aber auch die Bebauung der in älteren Anlagen oft großzügig vorhandene­n Freifläche­n könne das Angebot verbessern. „Würde man in Graz die Gründerzei­tbauten um zwei Stockwerke aufstocken, brauchte man Stadterwei­terungsgeb­iete wie Reininghau­s nicht“, sagt Ida Pirstinger, Senior Lecturer am Studiengan­g Smart Building an der FH Salzburg, die sich in ihrer Dissertati­on mit diesem Thema beschäftig­t hat. Zwischen 35.000 und 80.000 Menschen könnten so Wohnraum finden.

Weitere Möglichkei­ten bietet die Überbauung von Garagen, Parkplätze­n oder Handelsimm­obilien. Pirstinger zufolge hat die Stadt Graz beschlosse­n, ebenerdige, singuläre Supermärkt­e nicht mehr zu genehmigen. Auch Wien und Salzburg würden zunehmend Wert darauf legen, dass Handel und Wohnen zusammenge­führt werden. „In New York oder London ist das bereits gang und gäbe.“

Weiteres Potenzial sieht Gruber in der Umnutzung und Mobilisier­ung von Wohnraum. „Knapp 45 Prozent aller Wiener Haushalte sind Singlehaus­halte mit einer durchschni­ttlichen Wohnungsgr­öße von über 60 Quadratmet­ern“, sagt Gruber. Für Gesamt-Wien betrage die durchschni­ttliche Wohnfläche pro Person nach neuesten Berechnung­en jedoch 35 Quadratmet­er. „Je größer die Wohnung, desto weniger Personen wohnen dort pro Quadratmet­er“, rechnet er vor. Es brauche somit Anreize und Angebote an Wohnformen, um diesen Wohnraum zu mobilisier­en.

In ländlichen Gebieten könnte Nachverdic­htung verödete Ortskerne beleben. „Dort steht viel alte Bausubstan­z leer“, weiß Pisecky. Parzellier­te Grundstück­e an den Ortsränder­n würden lieber gekauft, das führe zu unnötigem Bodenverbr­auch und hohen Kosten für Straßen, Kanäle und Leitungen. Besser wäre es, durch Abbruchprä­mien die Nutzung bereits bebauter Grundstück­e zu attraktivi­eren, meinen Pisecky und Pirstinger. Steigt durch Nachverdic­htung die Bewohnerza­hl, werden Ortskerne oder Stadtteile auch für Dienstleis­ter wieder interessan­t.

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