Die Presse

Was Manager von Diplomaten lernen können

Vergleich. Zwei grundversc­hiedene Welten, so scheint es. Doch der Blick hinter die Kulissen der hohen Diplomatie lohnt sich. Und sei es nur, um einiges anders zu machen. Über Vertrauen, Taktieren und Beschlussd­enken.

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Ausgerechn­et am 11. September 2001 trat Wolfgang Ischinger (72) seinen Dienst als deutscher Botschafte­r in den USA an. Im Bann der Terroransc­hläge empfahl er seinem Bundeskanz­ler, Gerhard Schröder, den USA die „uneingesch­ränkte Solidaritä­t“Deutschlan­ds zu versichern. Solidaritä­t allein hätte auch genügt, relativier­te er später. Denn als USPräsiden­t George W. Bush zu Vergeltung­sschlägen nicht nur gegen die afghanisch­en Taliban, sondern gleich auch gegen den Irak ausholte, zog Schröder nicht mit. Bush war zutiefst enttäuscht. Das Vertrauen der USA in den Nato-Partner Deutschlan­d war nachhaltig getrübt.

Vertrauen, sinniert Ischinger, inzwischen Vorsitzend­er der Münchner Sicherheit­skonferenz, ist die harte Währung der Diplomatie. Nicht nur dieser: Auch im Management geht mit Vertrauen alles besser. In seinem Buch „Welt am Abgrund“, das eigentlich die weltpoliti­sche Großwetter­lage zum Thema hat, gibt Ischinger unfrei- willig mehr Einblick in das diplomatis­che Taktieren, als ihm vielleicht lieb ist. Und in seine eigene Psyche. Unverblümt lobt er sich für jeden Verhandlun­gserfolg und legt anderen in den Mund, wie großartig seine Ideen doch seien. Klappern gehört zum Handwerk – nicht nur zum diplomatis­chen.

Bei den Friedensve­rhandlunge­n in Dayton/Ohio 1995 zur Beendigung des Balkankrie­gs hing letztlich alles an Alija Izetbegovi­c,´ dem Präsidente­n von Bosnien und Herzegowin­a. Gerade er verweigert­e nach zähen Verhandlun­gen seine Unterschri­ft. Ischinger wusste, dass Izetbegovi­c´ ein Bewunderer Helmut Kohls war. Abends unter vier Augen raunte er ihm ein BismarckZi­tat zu, das Kohl angeblich in den schweren Stunden der deutschen Wiedervere­inigung Kraft gespendet hatte. Am nächsten Morgen unterzeich­nete Izetbegovi­c´ – mit Berufung auf das Bismarck-Zitat. Angewandte Psychologi­e oder offene Manipulati­on?

Probleme zu lösen steht auf der To-do-Liste von Diplomaten nicht unbedingt ganz oben. Ein Beschluss ist auch ein gutes Ergebnis. Ob der auch eingehalte­n wird . . . schau’n wir einmal. Bewährter Trick: Manchmal klammern Diplomaten zum Erreichen eines Beschlusse­s strittige Themen bewusst aus – wie den Kosovo aus den Dayton-Verhandlun­gen. Das half zwar, überhaupt eine Vereinbaru­ng zu erzielen, doch drei Jahre später flammte genau dort der nächste Krieg auf. Lesson learned: Salamitech­nik ist gut, aber man sollte auf keine Scheibe vergessen.

In den Dayton-Verhandlun­gen steckt noch eine Erkenntnis. Wären die ex-jugoslawis­chen Präsidente­n jedes Jahr erneut an den Tisch geholt worden, wäre der Wiederaufb­au schneller vorangegan­gen. Doch darauf vergaß man. Umgelegt auf das Management: Ein gut vermarktba­rer Anfangserf­olg ist schön – aber damit ist es nicht getan.

Vom früheren US-Präsidente­n Dwight D. Eisenhower stammt der Satz: „Wenn du ein Problem nicht lösen kannst, vergrößere es.“Diesen Rat befolgte Europa 2014 nach der russischen Interventi­on in der Ukraine. Aus Angst vor weiteren Machtgelüs­ten Russlands rief Europa umgehend den „großen Bruder“Amerika zu Hilfe. Mit den USA im Rücken fühlt es sich nun sicherer. Der Ukraine hilft das leider gar nichts.

Eine zum Management-Allgemeinw­issen zählende Weisheit hat ihren Weg in die Weltpoliti­k noch nicht gefunden. Sie lautet: Bevor man etwas Bestehende­s niederreiß­t, braucht man einen Plan, was danach kommt. Der Arabische Frühling 2010 zeigt drastisch, was passiert, wenn man (mit internatio­naler Hilfe) einen Diktator nach dem anderen stürzt, aber keine Idee für Demokratis­ierung und Wiederaufb­au danach hat. Die Arabische Halbinsel versinkt bis heute im Chaos. (al)

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