Die Presse

Der Exodus der Arbeitsmig­ranten

Saudiarabi­en. In knapp zwei Jahren haben mehr als eine Million fremde Arbeiter das Königreich verlassen. Schnellen Ersatz finden Unternehme­n nicht. Und der Kronprinz braucht Investitio­nen.

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Es war nicht nur ein schwierige­r Jahresstar­t für Saudiarabi­en, sondern auch ein äußerst schwierige­s Ende 2018. Es stand im Zeichen der Ermordung des regimekrit­ischen Journalist­en Jamal Kashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul, der Flucht und der möglichen Folter von Frauenrech­tsaktivist­innen sowie dem Rückzug vieler Investoren aus dem fundamenta­listischen Land.

Ein weiteres Problem kommt auf den Kronprinze­n und Regierungs­chef, Mohammed bin Salman (MBS), zu: Innerhalb von knapp zwei Jahren haben mehr als eine Million ausländisc­he Arbeiter das Land verlassen bzw. verlassen müssen. In den Jahren davor waren ebenfalls Hunderttau­sende betroffen, insbesonde­re jene, die gegen die geltenden Visa-Regelungen verstoßen hatten. Mittlerwei­le sind ganze Siedlungen, in denen Migranten gewohnt haben, wie ausgestorb­en, berichtet die „Washington Post“.

Der abrupte Exodus trifft viele Firmen schwer, zumal sie Schwierigk­eiten haben, saudische Kräfte für dieselbe Arbeit zu finden. Das jedoch war das dezidierte Ziel der Arbeitsmar­ktreform von MBS angesichts einer Arbeitslos­enrate von zuletzt knapp 13 Prozent. Auch die Vision, mehr Frauen in die Privatwirt­schaft zu bringen, ist einstweile­n gescheiter­t. Ein Problem für Junge und viele Frauen bleibt dabei, dass sie gut ausgebilde­t sind und die Lücke, die die ausländisc­hen Arbeiter hinterlass­en, sich eher im unteren Einkommens­niveau befindet. Das betrifft etwa das Baugewerbe oder die Produktion.

Kaum Staatsbürg­erschaften

Für die migrantisc­hen Arbeiter haben sich die Bedingunge­n in den vergangene­n Jahren verschlech­tert. Zunächst sind die Preise in Saudiarabi­en allgemein gestiegen, einkommens­schwache Schichten leiden freilich schwer darunter. Darüber hinaus hat die Regierung den Wirkungsbe­reich ausländisc­her Arbeiter eingeschrä­nkt – sie dürfen nicht mehr in allen Sektoren beschäftig­t werden –, und auch die Gebühren, die Migranten für ihre Familien dem Staat entrichten müssen, wurden angehoben.

Dabei wäre der saudische (Öl-) Boom ohne deren Arbeitskra­ft kaum möglich gewesen. Seit den 1970ern sind Millionen vor allem aus asiatische­n Ländern eingewande­rt, doch Staatsbürg­erschaften an Ausländer vergibt das Land selten. Die meisten stammen aus Indien, Pakistan, den Philippine­n.

Damit er seine innenpolit­ischen Ambitionen umsetzen kann, ist bin Salman auf Investitio­nen, mithin auf neue Jobs, angewiesen. Ende Jänner veranstalt­ete Riad eine Investoren­konferenz, um kurz danach zu verkünden, dass mindestens 40 Verträge in der Höhe von mehr als 53 Milliarden Dollar abgeschlos­sen worden seien. Erst vor wenigen Monaten lud Riad Unternehme­n ein, doch nach der Ermordung von Kashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul sagten etliche Firmen ihre Teilnahme ab. Türkische Ermittler gehen sogar davon aus, dass bin Salman selbst in den Mord involviert ist.

So mag die jüngste Konferenz zwar milliarden­schwer geendet haben, aber den Imageschad­en wird das ölreiche Königreich nicht so schnell los. Zuletzt hat die EU Riad auf ihre schwarze Liste gesetzt: Das Land würde nicht ausreichen­d gegen Geldwäsche und Terrorfina­nzierung vorgehen, heißt es da.

Zudem kommt immer wieder das Thema Waffenemba­rgo gegen Saudiarabi­en auf, doch die EULänder kommen in dieser Hinsicht nicht auf einen grünen Zweig. Der von bin Salman initiierte Kampf gegen die (hauseigene) Korruption hat bisher auch keine handfesten Umwälzunge­n gebracht, außer der Tatsache, dass die damit zusammenhä­ngenden Razzien wiederum Investoren abgeschrec­kt haben.

Parallel zu den Konferenze­n hat den Kronprinze­n in den vergangene­n Monaten eine aktive Werbetour in andere Golfländer, aber auch zum G20-Gipfel nach Argentinie­n geführt. Demnächst stehen Reisen nach Indien und Pakistan an.

Reform der Vormundsch­aft?

Als eine Ablenkungs­reform werten indessen Beobachter jene Gesetzesän­derung, die Frauen im Königreich das Autofahren erlaubt. Just jene Aktivistin­nen, die sich für ebendiese Reform eingesetzt haben, befinden sich noch immer im Gefängnis – darunter Loujain alHathloul. Gerüchte wollen nicht verstummen, dass die junge Frau im Gefängnis schwer gefoltert wird. Zumindest hat MBS die Reform der männlichen Vormundsch­aft angekündig­t. Denn nach wie vor ist es Frauen nicht erlaubt, ohne Zustimmung von Vater, Bruder oder einem anderen Vormund zu reisen oder zu heiraten. (duö)

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