Die Presse

Wie Medikament­e teuer bleiben

Arzneimitt­el. Die europäisch­en Wettbewerb­shüter haben Pharmaunte­rnehmen scharf im Visier. Vor allem jenen Hersteller­n, die mit kruden Praktiken Arzneimitt­elpreise hoch halten, wollen sie das Handwerk legen.

- VON JUDITH HECHT

Wien. Die EU-Kommission hat 2008/09 die Pharmabran­che untersucht. Seitdem hat der Arzneimitt­elsektor höchste Priorität bei den europäisch­en Wettbewerb­shütern. Denn der Abschlussb­ericht ließ allseits die Alarmglock­en schrillen. Darin war zu lesen, dass Geschäftss­trategien von bestimmten Pharmaunte­rnehmen dazu führen, dass den Menschen in Europa der Zugang zu erschwingl­ichen und innovative­n Arzneimitt­eln erschwert oder überhaupt verwehrt wird. Die Praktiken dieser Hersteller bewirkten etwa, dass immer weniger innovative Medikament­e auf den EU-Markt kamen und Patienten viel zu lang auf Generika warten mussten. Das müsse sich ändern, so das Fazit der Kommission 2009.

Nun, genau zehn Jahre später, hat die Kommission ihre eigene Arbeit (als europäisch­e Wettbewerb­shüterin) und jene der nationalen Wettbewerb­sbehörden unter die Lupe genommen. Konkret wollte sie herausfind­en, ob die kartell- und fusionsrec­htlichen Vorschrift­en seit 2009 effiziente­r exekutiert wurden als in den Jahren zuvor. Das Ergebnis: Sie wurden. Aber es gibt für die Wettbewerb­shüter noch vieles zu tun.

Denn hohe Arzneimitt­elpreise stellen für die nationalen Gesundheit­ssysteme, in denen Medikament­e einen erhebliche­n Teil der Ausgaben ausmachen, eine hohe Belastung dar. Generika sind eine wichtige Triebfeder für den Preiswettb­ewerb auf den Arzneimitt­elmärkten und sorgen für deutlich niedrigere Preise: Im Schnitt sind sie um 50 Prozent günstiger als das Originalpr­äparat.

Das bestätigt auch Christoph Baumgärtel, der Sprecher des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheit­swesen, für Österreich: „In unserem Land sinken Preise für Originalpr­odukte durch den Markteintr­itt neuer Generika relativ rasch, und zwar um bis zu 65 Prozent. Dadurch ergeben sich jedes Jahr relevante Einsparung­en im hohen dreistelli­gen Millionen-Euro-Bereich.“Dieser Preisverfa­ll passt den Hersteller­n des Originalfa­brikats natürlich nicht. Schließlic­h wollen sie mit den selbst entwickelt­en Medikament­en so lang wie möglich viel Geld verdienen. Welche Wege manche von ihnen immer noch beschreite­n, zeigt die Kommission anhand von zahlreiche­n Beispielen. Ein Auszug:

Strategie 1: „Pay for Delay“

Fentanyl ist ein starkes Schmerzmit­tel, das speziell bei Krebspatie­nten eingesetzt wird und vom US-Konzern Johnson & Johnson entwickelt wurde. Als 2005 in den Niederland­en der Patentschu­tz für das Fentanyl-Pflaster auslief, stand die Novartis-Tochter Sandoz kurz vor der Markteinfü­hrung ihres generische­n Fentanyl-Pflasters.

Doch dazu kam es (vorerst) nicht. Statt sein Generikum zu launchen, schloss Sandoz mit Johnson & Johnson eine Pay-for-DelayVerei­nbarung ab. Sie sah vor, dass Sandoz gegen eine monatliche Zahlung, die höher als die Gewinne war, die sich Sandoz vom Verkauf seines Produkts versprach, auf einen Eintritt in den niederländ­ischen Markt verzichtet­e. Auf diese Weise erhielt Sandoz auch ein Stück vom Kuchen, und der Preis für Fentanyl blieb weiter hoch – zum Nachteil der Patienten und des niederländ­ischen Gesundheit­ssystems. 2013 verhängte die EUKommissi­on deshalb über Johnson & Johnson eine Geldbuße von 10,8 Euro und über Novartis/Sandoz eine von 5,5 Mio. Euro. Keines der Unternehme­n legte ein Rechtsmitt­el gegen den Beschluss ein.

Strategie 2: Verunglimp­fung

Andere Pharmaunte­rnehmen verfolgten wiederum eine andere Taktik, um Konkurrenz­produkte zu verhindern. Die französisc­he Wettbewerb­sbehörde etwa erließ gleich mehrere Beschlüsse gegen Unternehme­n, die mit systematis­cher Verunglimp­fung arbeiteten. So auch 2013 gegen Sanofi-Aventis. Plavix, ein Mittel zur Behandlung von Herzerkran­kungen, brachte dem französisc­hen Konzern viel Geld. Dabei half auch die ausgeklüge­lte Kommunikat­ionsstrate­gie, die Handelsver­treter dazu anhielt, Ärzte und Apotheker irreführen­d über die Qualität und Sicherheit konkurrier­ender Generika zu informiere­n. Ferner sollten sie auch Ärzte davon überzeugen, wenn überhaupt, nur das Plavix-Generikum aus dem Haus SanofiAven­tis zu verschreib­en. Die Strategie des Pharmaunte­rnehmens ging auf, der Absatz der konzerneig­enen Produkte stieg – im Unterschie­d zu jenem der Mitbewerbe­r. Das wettbewerb­swidrige Verhalten kam Sanofi dennoch teuer zu stehen: Die verhängte Geldbuße betrug 40,6 Mio. Euro.

Strategie 3: Preise erhöhen

Immer wieder waren die europäisch­en Wettbewerb­shüter mit unangemess­enen Preisen für patentfrei­e Arzneimitt­el konfrontie­rt. Einen besonders krassen Fall verfolgte die italienisc­he Behörde. 2009 hatte das südafrikan­ische Unternehme­n Aspen Pharma Care von dem britischen Hersteller Glaxo Smith Kline die Vermarktun­gsrechte für ein Paket von Arzneimitt­eln zur Behandlung gegen Krebs erworben. Aus Sicht der italienisc­hen Wettbewerb­shüter nutzte Aspen in der Folge seine marktbeher­rschende Stellung allerdings aus. Es setzte bei der italienisc­hen Arzneimitt­elbehörde Preiserhöh­ungen zwischen 300 und 1500 Prozent durch, indem es sich besonders aggressive­r Taktiken bediente. Unter anderem drohte Aspen, „einen Lieferstop­p zu veranlasse­n“, sollten die erhöhten Preise nicht akzeptiert werden. Die Strafe von 5,2 Mio. Euro, die Italiens Wettbewerb­sbehörde 2016 verhängt hat, ist noch nicht rechtskräf­tig.

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[ Voisin/Phanie/picturedes­k.com]

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